Nach der tödlichen Messerattacke auf die 14-jährige Ece kommt die Gemeinde Illerkirchberg im Alb-Donau-Kreis weiterhin nicht zur Ruhe. Ein 25-Jähriger, der im Zusammenhang mit der Tat vorübergehend in Verdacht geraten war, hat sich am Mittwoch wohl das Leben genommen. Zudem werden Vorwürfe an die Kommunalpolitik lauter, einzelne Protestaktionen sorgen für Aufruhr.
Am Mittwoch wurde das getötete Mädchen in Oberkirchberg beigesetzt, mehr als 1000 Menschen nahmen Abschied von ihr. Während auf dem Friedhof vor allem getrauert wurde, entluden sich nur kurze Zeit nach Ende der Beisetzung andere Emotionen vor dem Rathaus in Illerkirchberg.
Dort hatte die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung ein Banner gehisst, das Bezug auf die Messerattacke nahm. Die Polizei begleitete den Protest, die bei der zuständigen Versammlungsbehörde im Vorfeld mit zehn Teilnehmern unter dem Motto „Schützt unsere Kinder“ angemeldet war.
Auf Nachfrage ist von einer Sprecherin des Landratsamtes Alb-Donau-Kreis zu erfahren, dass noch weitere Anmeldungen zu Demonstrationen im Zusammenhang mit der Tat in Illerkirchberg eingereicht wurden. Die Anfragen kommen laut Sprecherin Daniela Baumann von „unterschiedlichen Gruppierungen und Parteien“.
Tatverdächtiger bisher nicht polizeibekannt gewesen
Der 27-jährige Tatverdächtige befindet sich wegen des dringenden Verdachts des Mordes an der 14-Jährigen und des versuchten Mordes an einer 13-Jährigen, die aber außer Lebensgefahr ist, in Untersuchungshaft in einem Justizvollzugskrankenhaus. Er ist bisher nicht polizeibekannt gewesen, wurde lediglich einmal als Schwarzfahrer erwischt.
Dass der Tatverdächtige ein Asylbewerber aus Eritrea ist, befeuert die Diskussion über die Aufnahme sowie Unterbringung von Flüchtlingen. Das ist auch dem Polizeipräsidium Ulm bewusst, seit Montag sind die Beamten deshalb in Illerkirchberg verstärkt präsent, „um Ansprechpartner für die Bürger zu sein“, so Polizeipressesprecher Wolfgang Jürgens .
„Es ist wichtig, dass wir uns dort jetzt zeigen, denn es sind viele Ängste und Emotionen im Zusammenhang mit der Tat aufgekommen.“ Die Region gelte zwar als durchaus sicher. „Bei derartigen Ereignissen leidet jedoch das Sicherheitsgefühl der Bürger“, erläutert Jürgens.
Einzelne Bürger nahmen den Umstand, dass der Tatverdächtige ein Asylbewerber ist, während einer Gedenkminute am Montagabend in Illerkirchberg zum Anlass, um „hetzerische Parolen“ von sich zu geben, wie Illerkirchbergs Bürgermeister Markus Häußler berichtet.
„Ich danke all jenen Bürgern, die während der Mahnwache diesen Menschen Einhalt geboten haben. In unserer gemeinsamen Trauer um den Verlust eines so jungen Lebens haben Grenzüberschreitungen keinen Platz“, schreibt er in einem offenen Brief an seine Bürger.
Ansonsten hält sich Häußler aktuell eher bedeckt. Aufgrund der zahlreichen Medienanfragen aus ganz Deutschland hat die Gemeinde eine Pressereferentin ins Haus geholt, Fragen können nur schriftlich gestellt werden. Eine Anfrage zu den Vorwürfen aus den Reihen der Bevölkerung blieb bis jetzt unbeantwortet.
Dabei richten sich Wut und Verzweiflung der Bürger auch gegen ihn: Immer wieder ist rund um den Tatort in Illerkirchberg zu hören, dass Asylbewerber durchaus schon negativ aufgefallen seien – die Gemeinde bis jetzt aber nichts dagegen getan habe.
Es ist sogar von Belästigungen junger Mädchen die Rede, in Chatgruppen und sozialen Netzwerken äußern sich immer wieder angebliche Bürger von Illerkirchberg dazu. Auch das Entsetzen über die mehrfache Vergewaltigung eines jungen Mädchens 2019 in einer anderen Asylunterkunft im Illerkirchberger Teilort Beutelreuch kocht wieder hoch.
Laut einer Anwohnerin, die am Mittwoch am Tatort mit Pressevertretern sprach, seien durchaus bereits entsprechende Beschwerden über „die Asylbewerber, die in dem Haus am Tatort wohnten“ an die Gemeinde gerichtet worden.
Bürgermeister Markus HäußlerMir fehlen die Worte dafür, welche schrecklichen Ereignisse in unserer kleinen Gemeinde geschehen.
In Illerkirchberg sind derzeit rund 50 Asylbewerber in kommunalen Anschlussunterkünften und knapp 30 ukrainische Geflüchtete in privaten Wohnungen untergebracht. In der Anschlussunterkunft, in die der Verdächtige nach der Tat flüchtete, hatten sich zwei weitere Asylbewerber aus Eritrea aufgehalten, die ebenfalls vorübergehend festgenommen, kurz darauf aber wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.
Einer der Männer, gegen die sich der Verdacht auf Beteiligung an der Messerattacke nicht erhärtete, nahm sich am Mittwoch wohl das Leben. Der 25-Jährige sei gegen 13 Uhr, kurz vor Beginn der Beisetzung des getöteten Mädchens, vor einen Güterzug auf die Schienen gesprungen, wie die Staatsanwaltschaften Memmingen und Ulm und die Polizeipräsidien Schwaben Süd/West und Ulm berichten. Der Lokführer konnte nicht rechtzeitig halten, der junge Mann starb an Ort und Stelle.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der 25-Jährige aus „eigener Entscheidung und ohne fremdes Zutun“ gehandelt hat. Warum der 25-Jährige, gegen den also kein Tatverdacht hinsichtlich einer Beteiligung am Angriff auf die beiden Mädchen in Oberkirchberg bestand, Selbstmord beging, ist nun Gegenstand weiterer Ermittlungen.
„Mir fehlen die Worte dafür, welche schrecklichen Ereignisse in unserer kleinen Gemeinde geschehen“, heißt es in einer Stellungnahme von Bürgermeister Häußler. An Spekulationen dazu wolle man sich nicht beteiligen.
„Aber ich wiederhole eindringlich meine Bitte: Nehmen Sie Geflüchtete aller Nationen nicht in Generalverdacht, sondern begegnen Sie ihnen offen und schreiten Sie ein, wenn Sie Zeuge von Grenzüberschreitungen werden.“
„Unter Hochdruck“ wird derweil auch weiter im Fall des Messerangriffs ermittelt. Laut Staatsanwaltschaft werden jetzt die Handys der Beteiligten ausgewertet und Zeugen befragt. Bisher gibt es keine Anhaltspunkte, dass Ece und der Tatverdächtige sich kannten, so Staatsanwaltschaft Michael Bischofberger.
Auch auf die Ausländerakte des 27-Jährigen, der seit 2016 in Deutschland lebt und über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, wartet die Staatsanwaltschaft weiter. Die könnte weitere Aufschlüsse bringen. Sämtliche Unterlagen über das Vorleben des Mannes werden derzeit im Landratsamt Alb-Donau zusammengestellt.
Diese könnten den Ermittlern Auskunft über weitere Unterkünfte, in denen der Tatverdächtige bisher lebte, und Betreuer geben, die etwas über ihn sagen können. So soll der Frage nach dem „Warum“ auch ohne Aussage des Mannes weiter auf den Grund gegangen werden.