„Dann habe ich nochmal zugetreten“ - Prozess um versuchten Mord in Ulm
Ulm / Lesedauer: 6 min

Zwei Männer im Alter von 28 und 35 Jahren müssen sich seit Donnerstag vor dem Ulmer Landgericht verantworten. Ihnen wird der Versuch heimtückisch begangenen Mordes vorgeworfen. Zum Prozessauftakt schildert einer der Angeklagten die Tat, die sich Anfang August vor einer Lokalität in der Ulmer Frauenstraße zugetragen haben soll, bis ins Detail. Dabei offenbart sich die schiere Brutalität der beiden Angreifer.
„Meine Wut ist einfach übergekocht“
„Geraten Sie öfter mal in solche Situationen, wie an diesem Abend?“, will der Vorsitzende Richter Wolfgang Tresenreiter von dem 28-jährigen Ulmer auf der Anklagebank wissen. „Nicht mehr so häufig wie früher“, nuschelt der 1,80 Meter große Mann, dessen Füße durch stählerne Fesseln verbunden sind. Diese Zeiten seien vorbei. Weil er so undeutlich ins Mikrofon spricht, muss ihn Tresenreiter immer wieder darum bitten, seine Sätze zu wiederholen. Der Angeklagte nickt, gelobt Besserung. „Ich weiß nicht, wie das eskalieren konnte“, erinnert er sich an bewussten Abend, auf den der Vorsitzende Richter anspielt. „Ich war total perplex. Und dann ist meine Wut einfach übergekocht.“
Tritte gegen den Kopf des Bewusstlosen
Alles begann mit einem Streit in einem Lokal in der Ulmer Frauenstraße am 3. August vergangenen Jahres, der vor der Tür brutal fortgesetzt wurde: Die beiden Männer, die sich von der Arbeit kennen, gerne mal ein Bierchen trinken und jetzt gemeinsam auf der Anklagebank sitzen, sollen an jenem Sommerabend vereinbart haben, ihr 33-jähriges Opfer unter einem Vorwand in eine Falle zu locken. Statt eines klärenden Gespräches, um einen vorangegangenen Disput in der Kellerbar wie versprochen aus der Welt zu schaffen, sollen sie vor dem Lokal auf den Mann eingeschlagen haben, bis dieser zu Boden sank. Der Geschädigte soll mehrere Tritte gegen den Kopf erhalten haben, auch nachdem er bereits das Bewusstsein verlor. Ein 33-jähriger Gast, der sich laut Staatsanwaltschaft schützend vor das regungslose Opfer gestellt haben soll, erlitt von den Angeklagten ebenfalls Schläge gegen Kopf und Oberkörper. Anschließend, so geht es aus der Anklage hervor, sollen die Männer den Helfer auch noch bedroht und ausgeraubt haben.
Staatsanwalt spricht von lebensgefährlichen Handlungen
Massive Blutspuren vor dem Eingang des Lokals und auf dem Shirt eines Barkeepers zeugen auf Fotos im Gericht von der schieren Brutalität der Tat in jener Nacht. Der junge Mitarbeiter des Lokals, der das regungslose Opfer auf der Straße versorgt hatte und einen Rettungswagen alarmierte, erzählt von „ganz viel Blut im Hals“ des Opfers. „Er atmete nicht mehr.“ Erster Staatsanwalt Rainer Rackl spricht von „lebensgefährlichen Handlungen.“ Es sei den Tätern egal gewesen, ob der Mann schwer verletzt oder sogar getötet werde.
Der 28-jährige Angeklagte, der die Haare kurz und den Bart dafür etwas länger trägt, hört sich das alles an, ohne eine Miene zu verziehen. Den anfänglichen Streit in der Bar sowie die vielen Tritte gegen den Kopf seines Kontrahenten gibt er vor dem Landgericht unverblümt zu. Allerdings, so versichert der Mann, der bis zu seiner Verhaftung einen Job als selbständiger Mediengestalter in Ulm ausübte, sei der erste Angriff an diesem Abend von dem Geschädigten ausgegangen. Die heimtückische Verabredung zum Hinterhalt bestreitet er. „Ich stecke mir gerade eine Zigarette an, da kommt er nach oben. Er macht einen Schritt aus der Tür, guckt mich an und schlägt mir ins Gesicht“, will sich der ehemalige Kickboxer an die Situation vor dem Lokal erinnern. „In dem Moment war ich einfach zu wütend und habe zum Tritt angesetzt – ins Gesicht.“
Angreifer und Opfer waren gute Freunde
Bemerkenswert: Nur wenige Wochen vor der Tat sollen der 28-jährige Angeklagte und sein Opfer noch „gute Freunde“ gewesen, ehe man sich wegen eines Streits vorerst aus dem Weg gehen wollte. Im Lokal begegneten sich die alten Kumpel dann zufällig wieder – mit fatalen Folgen. „Ich wusste nicht, dass er auch da ist“, erzählt der Angeklagte vor Gericht. Er sei von seinem ehemaligen Freund zur Rede gestellt worden, als er noch nicht einmal seinen ersten Whiskey Cola ausgetrunken habe. „Ihm hat nicht gepasst, mit welchen Leuten ich rumhänge.“ Der 28-Jährige erzählt von homophoben Ausdrücken und Ohrfeigen. Zeugen berichten von einem Wortgefecht, auch von Schlägen ist die Rede.
Nach Eingreifen des Barpersonals, soll sich die angespannte Situation nach draußen verlagert haben. Dort will sich der Angeklagte mit Tritten gegen den Kopf seines Kontrahenten für die „Schellen“ revanchiert haben, bis dieser auf den Boden sank. „Als er nochmal aufstand, hatte ich Panik“, schildert er die brutale Tat. „Dann habe ich nochmal zugetreten und dann dieses Schnarchen gehört. Ich kenne das vom Kampfsport, wenn jemand mit gebrochenen Jochbein atmet. Man denkt sich: Gut, er atmet. Also habe ich abgelassen und mich auf der Straße eingemischt.“
Angeklagter muss sich auch für Kokain-Handel verantworten
Dort, mitten auf der Kreuzung, soll es nach Angaben des Angeklagten zu einem weiteren Zweikampf gekommen sein. Ein 35-Jähriger, der zweite Angeklagte in diesem Prozess, soll sich mit dem 33-Jährigen geprügelt haben, der sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft zuvor schützend vor das Opfer gestellt haben soll. Gemeinsam sollen die beiden Angeklagten nun mehrfach auf den Helfer eingeschlagen haben, bis auch dieser zu Boden sank. Anschließend sollen die Täter den Mann bedroht und zudem aufgefordert haben, sein Geld sowie sein Handy herauszugeben. Die Täter sollen nach der Auseinandersetzung geflohen sein, wurden aber später festgenommen. Ein Handy soll laut Staatsanwaltschaft in der Rosengasse gefunden worden sein.
Der 28-Jährige will seinen ehemaligen Freund, der über fünf Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden musste, laut Rechtsanwalt Ingo Hoffmann durch einen Täter-Opfer-Ausgleich finanziell entschädigen. Sein Mandat sei fassungslos ob des Schadens und wolle sich dafür entschuldigen, erklärte der Verteidiger. Der 35-jährige Angeklagte beantwortete am Donnerstag zunächst keine Fragen des Richters. Ihm wird darüber hinaus besonders schwerer Raub zur Last gelegt. Dem jüngeren Angeklagten wird daneben bewaffnetes, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. Er soll Anfang Juni 2022 Kokain vertrieben haben. Bei einer Verkehrskontrolle habe er ein CS-Reizgasspray sowie ein Schweizer Taschenmesser mit sich geführt.
Urteil noch nicht ausgesprochen
Der Prozess wird am Montag im Landgericht fortgeführt. Dann sollen auch die beiden 33-jährigen Geschädigten als Nebenkläger zu Wort kommen. Insgesamt sind noch vier Verhandlungstage eingeplant. Mit einem Urteil wird am 28. Februar gerechnet.