Versuchte Selbstjustiz

Sie wollten Pädophile bestrafen - und landen selbst vor Gericht

Ehingen / Lesedauer: 4 min

Zwei Jugendliche nahmen im Frühjahr 2021 das Recht in ihre eigenen Hände. Keine gute Idee.
Veröffentlicht:13.04.2023, 11:50
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  • Author ImageVerena Pauer
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Sie haben Pädophile bestrafen wollen. Das geben die beiden angeklagten Jugendlichen als Motiv vor dem Ehinger Amtsgericht an. Angeklagt sind sie dort wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung. Mit einer Schreckschusspistole wollten sie ihr Opfer zwingen, ihnen mehrere Hundert Euro zu geben.

Nun wurden sie nach dem Jugendstrafrecht zu jeweils 100 Arbeitsstunden und einem achtseitigen Aufsatz über Selbstjustiz verurteilt. Jedoch betonte Richterin Katja Meyer bei der Urteilsverkündung: „Sie sind Täter einer schweren Straftat.“ Nur dank des Jugendstrafrechts kämen sie um eine Gefängnisstrafe herum.

Täter verabredeten sich mit Opfer über Internet

Zwei Jahre ist es her, dass der 21– und der 19–Jährige einen heute 60–Jährigen abends in den Wald in der Nähe des Ehinger Waldkindergartens lockten. Dazu verabredete sich der Jüngere der beiden mit dem Mann zu sexuellen Handlungen am Parkplatz an der Jungviehweide.

Mit einer Taschenlampe habe er ihm ein Lichtsignal gegeben, um ihm die Richtung zu zeigen, erinnerte sich das spätere Opfer, das vor Gericht als Zeuge aussagte. Er sei dem Signal gefolgt und habe dort den Jugendlichen vorgefunden und sich kurz mit ihm unterhalten. Er habe das Alter wissen wollen, sagte der Zeuge heute: „Weil ich da in nichts reingeraten wollte.“ Gegen ihn läuft wegen des Vorfalls an dem Abend ebenfalls ein Verfahren.

Mit Waffe versuchen sie, Geld zu erpressen

Der Ältere der beiden Täter sei dann von hinten an den 60–Jährigen herangetreten. Das habe der im ersten Moment nicht realisiert. Erst als er hörte, wie eine Waffe durchgeladen wurde, sei ihm die zweite Person aufgefallen. „Da ist mir alles andere als wohl gewesen“, sagte der Mann vor Gericht.

Mit der Schreckschusspistole wollten die beiden Täter ihr Opfer laut Anklage dazu bringen, mit ihnen zur Bank zu fahren und mehrere Hundert Euro abzuheben. Doch auf dem Weg zum Auto konnte das Opfer die Polizei anrufen. Als sich eine Stimme im Lautsprecher des Handy meldete, seien die Täter geflohen, sagte der Mann aus. Über ihre Anwälte gaben die beiden Angeklagten die Tat zu. Es tue ihnen leid.

Videos im Internet inspirieren

Sein Mandant habe aufgrund persönlicher Erfahrungen eine Abneigung gegenüber erwachsenen Männern, „die sich an Kindern und Jugendlichen vergreifen“, sagte der Anwalt des 21–Jährigen. Er habe bereits in einem Fall als Zeuge ausgesagt, doch sei das Verfahren damals eingestellt worden. Das habe ihn frustriert.

Im Internet habe er dann Videos von Leuten gesehen, die Pädophile bestrafen, so die Erklärung des Anwalts. Er wisse, dass das eine Dummheit von ihm gewesen sei, sagte der Anwalt im Namen des 21–Jährigen weiter. Die Verfolgung mutmaßlicher Straftäter überlasse er mittlerweile dem Staat.

Jugendstrafrecht schützt sie vor dem Gefängnis

„Vor zwei Jahren, das war nicht unbedingt eine Glanzleistung“, sagte Oberstaatsanwalt Michael Bischofberger. Ihr Auftreten am Prozesstag sowie die Tatsache, dass sie seitdem nicht mehr auffällig geworden seien, zeige, dass sie das mittlerweile ebenfalls so sehen. Bischofberger bezweifelte jedoch, dass es lediglich darum gegangen sei, Pädophile zu bestrafen. Denn dann wäre es den beiden Tätern nicht um Geld gegangen.

Wie die Richterin stellte er klar, dass sie definitiv ins Gefängnis gegangen wären, wären sie ein wenig älter gewesen — und wären sie als Erwachsene verurteilt worden. Schließlich müsse man sich in das Opfer hineinversetzen, das in einem dunklen Wald zwei Personen mit einer Schusswaffe gegenüberstand. Er attestierte den beiden Jugendlichen eine „kriminelle Energie“.

Verurteilte müssen Aufsatz schreiben

In ihrer Erklärung stellte auch Richterin Meyer noch einmal klar: „Es gibt keine Opfer erster und zweiter Klasse.“ Es gebe lediglich Täter und Opfer und hier seien die beiden Täter einer schweren Straftat. Sie verurteilte die beiden zu jeweils 100 Sozialstunden, zu verrichten bis zum 31. Juli.

Außerdem müssen sie jeweils einen achtseitigen handgeschriebenen Aufsatz darüber schreiben, warum Selbstjustiz problematisch ist. Der 21–Jährige trägt außerdem die Kosten des Verfahrens.