Ein „weiter so“ in der Landwirtschaft war und ist für Benedikt Haerlin keine Option, er gehörte zum Aufsichtsrat des Weltagrarberichtes und hält nach zehn Jahren Rückschau über die Entwicklung der Landwirtschaft in diesen zehn Jahren. Rund 100 Zuhörer im Hotel Rose in Berg, eingeladen von vier Verbänden, hörten ihm gespannt zu.
„Wenn wir so weitermachen wie bisher, fahren wir die Landwirtschaft an die Wand. Wir brauchen eine zukunftsfähige enkeltaugliche Landwirtschaft“, sagte Haerlin und erinnerte seine Zuhörer an die Kernbotschaften des Weltagrarberichtes von 2009, die eine multifunktionale Landwirtschaft befürwortete, bei der es auf die Kleinbauern ankäme. Frauen machen den Unterschied, hieß es da, weil eben viele der Kleinbetriebe in Asien und Afrika von Frauen bewirtschaftet werden. Mehr öffentliche Forschung und Innovation mit dem Wissen von Bäuerinnen und Bauern wurde ebenso gefordert wie Ernährungssouveränität.
„Bei der Ernährung des Menschen kommt es auf die kleinen Betriebe an, Frauen spielen dabei eine wesentliche Rolle, haben aber kaum Schulbildung und kein eigenes Konto. Wir müssen Landwirtschaft neu lenken, genügend Land fruchtbar halten und brauchen dafür mehr öffentliche Forschung, die die Bauern mit einbezieht“, forderte Haerlin.
In Deutschland sei, so Haerlin, die Ernährungssouveränität zurückgegangen, die Bauern können nicht mehr souverän entscheiden, was sie produzieren wollen. Zum Hunger in der Welt erklärte er, es gäbe 821 Millionen Hungernde, zwei Drittel davon in Asien und ein Drittel in Afrika , das habe mit Kriegen und dem Wetter zu tun, 2,5 Milliarden würden an verstecktem Hunger leiden, ihnen fehlen Vitamine und Mineralstoffe. Dagegen sind zweieinhalb Milliarden Menschen auf der Welt übergewichtig, eine Milliarde davon adipös. Erhöhte Zuckerwerte wachsen sich zu einer Seuche aus, so Haerlin.
Globale Landflucht in Afrika und Asien in riesige Slums der Städte sind dort das Problem. Es würde dort immer schwieriger, Landwirtschaft zu betreiben, sagte Haerlin.
„Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, 80 Prozent des Klimagases zu vermeiden, ist die größte Herausforderung für Landwirtschaft und Ernährung. Wir müssen anders produzieren, wir müssen uns anpassen. Mais, Reis, Gerste und Weizen werden angebaut, um Kalorien zu erzielen, eine andere Fruchtfolge ist zwingend notwendig“, forderte der Agrarexperte.
Zwischen 1961 und 2009 haben sich die Erntemengen durch verstärkten Einsatz von Mineraldünger verdreifacht. 43 Prozent der erzeugten Lebensmittel dienen zur Ernährung des Menschen, ein Drittel des Getreides wird als Viehfutter gebraucht, ein Fünftel der Ackerfläche in Deutschland wird für Biogasanlagen genutzt.
Die Landwirtschaft ist weltweit der wichtigste Arbeitgeber, sagte Haerlin, entscheidend für die Umwelt und die Wirtschaft. 90 Prozent aller Höfe auf dieser Welt sind kleiner als zwei Hektar, 50 Prozent aller Lebensmittel produzieren Familienunternehmen, die etwa 20 Prozent allen Ackerlandes nutzen, 70 Prozent der Arbeit wird von Frauen erledigt, hier liegt, so Haerlin, das entscheidende Entwicklungspotential für die Welternährung und die ländliche Entwicklung.
Lokale Ernährungssysteme
„Wir müssen lokale Ernährungssysteme schützen, die Vorstellung, dass nur patentiertes Saatgut auf den Markt kommt, aufgeben. Wir brauchen gezielte Förderung lokaler Anbaumethoden“, forderte Haerlin. Weitere Lösungsmöglichkeiten sah er in der Verbesserung der Wassernutzung, biologischem Ersatz für Mineraldünger und weniger Abhängigkeit vom Erdöl. „Agrarökologie versucht mit Vielfalt anzusetzen und bringt erstaunliche Erträge“, sagte der Agrarexperte und zeigte Bilder von einem Musterbauernhof, der mit 2000 Quadratmetern Acker einen Menschen ein ganzes Jahr ernähren kann.
Aber es sei auch so, dass viele ökologische Maßnahmen mehr Arbeit bedeuten und sie deswegen nicht umgesetzt würden. „Sind wir bereit, diese Arbeit zu leisten? Wie viel ist uns eine gesunde Ernährung wert, Wohlstand ist mehr als Reichtum“, fragte Haerlin in die Runde seiner Zuhörer. „Die EU Agrarpolitik hat nichts begriffen, aber in den Köpfen der Menschen hat sich viel getan, es gibt eine neue junge Generation von Biobauern mit großer Begeisterung“, sagte Haerlin mit Blick in die Zukunft.