Willenskraft
„Motivation ist eine Diva“
Tuttlingen-Möhringen / Lesedauer: 4 min

Schwäbische.de
„Der Abend wird vergnüglicher als Sie glauben“, hat Marc Gassert am Donnerstagabend seinen Zuhörern versprochen. Und das Kunststück, das spröde Thema „Disziplin“ auf zündend unterhaltsame Weise in einen Vortrag zu packen, ist ihm tatsächlich gelungen. Wer den letzten der diesjährigen „Erfolgsmacher“-Vorträge in der Möhringer Angerhalle besucht hat, durfte einen Höhepunkt der Reihe erleben.
Wie wirkt Selbstdisziplin? Gibt es Tricks, um Faulheit, Angst, Zweifel und Lethargie zu überwinden? Diese Eingangsfragen waren beinahe vorhersehbar. Doch Gasserts Präsentation überraschte – durch seinen trockenen bayerischen Humor, durch seine 150-prozentige Bühnenpräsenz und durch eindringliche Shaolin-Demonstrationen.
Während einer dreiminütigen, mit gegrätschten Beinen gehaltenen Kniebeuge waren im Gesicht des mutigen jugendlichen Probanden aus dem Publikum tatsächlich die Stufen der Willenskraft abzulesen: vom ersten körperlichen Unbehagen bis zum Überschreiten der Schmerzgrenze in den letzten Sekunden. Derselbe Proband vermochte es, allein durch Fokussieren ein zwischen seinem eigenen und Gasserts Hals angesetztes Stahlrohr zu verbiegen. Das Ergebnis von zu großem Druck von außen versinnbildlichte Grassert an einer Wasserflasche, deren Boden allein durch den Druck seiner Hände auf die Flaschenöffnung plötzlich barst. „Auch ein Ei wird durch zuviel Druck von außen zerstört. Die wahre Kraft kommt von innen.“
Karriere-Abzweig im Shaolin-Kloster
Statt einer Promotion hat Marc Gassert nach seinem Studium der Kommunikationswissenschaft mal eben einen Karriere-Abzweig genommen: in das berühmte Shaolin-Kloster in China. Nicht unbedarft, denn er war schon seit seiner Kindheit in fernöstlicher Kampfkunst ausgebildet worden: „Ich hatte gefühlt Schwarze Gürtel bis zum Hals“, sagte er am Donnerstag.
Doch das Leben bei den Shaolin-Mönchen erwies sich als Herausforderung. Um 4.30 Uhr weckte ein Gong zum täglichen Halbmarathon-Lauf. Danach sei selbst die „Reisschlonze“ zum Frühstück eine Wohltat gewesen – und gleichzeitig Auftakt fürs 15-stündige tägliche Training, das Körper und Geist der Mönche gleichermaßen schult.
„Wir Deutsche wollen die Wirkungsmechanismen rational erkennen, bevor wir etwas tun. Die Chinesen gehen übers Erleben“, erklärte Gassert. Ein 90-minütiger Vortrag kann nicht die lebenslange Selbsterfahrung eines Shaolin-Mönchs ersetzen, doch Gassert hat in seiner Präsentation seine fernöstlichen Erfahrungen für die Denkstrukturen westlich geprägter Zuhörer aufbereitet. Die Balance der Gegenpole „Yin und Yang“ sei das stete Ziel, doch: „Diesen Zustand werden Sie nie erreichen, es sei denn, Sie sind tot oder ein Stein.“
Die inhaltlichen Antworten auf die Eingangsfragen standen zu befürchten: Um auch in Stressphasen durchzuhalten, braucht es Willenskraft, und wie der Proband aus dem Publikum zeigte, manchmal auch die Überwindung von Schmerz. „Nicht das Anfangen wird belohnt, sondern das Durchhalten.“ Niemand solle sich nur auf Motivation verlassen: „Sie ist wie eine Diva, man sollte nicht erwarten, dass sie einfach vorbeikommt.“
Willenskraft durch Essen, Trinken oder Sex
Als „Treibstoffe“ für die Willenskraft nannte Gassert biologische Antriebe wie Essen, Trinken oder Sex. Fehle eine dieser Komponenten, löse das automatisch Aktivität aus. Auf kulturellen oder inidviduellen Werten basierende Antriebe könnten die biologischen jedoch übertrumpfen. So könne etwa der Entschluss zur Verteidigung schützenswerten Lebens den Fluchtreflex außer Kraft setzen. „In 90 Prozent der Fälle verwenden wir aber die Willenskraft.“
Und eben diese Willenskraft müsse trainiert werden, wie ein Muskel. Mit einem ausgewogenen Verhältnis von körperlichen Anspannungs- und Entspannungs-Übungen. So gerate bei der Ruhigstellung des Körpers während einer morgendlichen Meditation der Geist zunächst in Aufruhr, Gedanken prasselten durch den Kopf. „Denken Sie jeden Gedanken nur einmal, und leiten Sie ihn dann weiter. Am Ende tröpfeln die Gedanken nur noch.“ In diesen Pausen könne sich das Gehirn tief entspannen, während zuvor alles Wichtige für den Tag gedacht worden sei.
Grassert warnte eindringlich vor Krafträubern wie „Aufschieberitis“, Jammern und Lästern. Aktives Fokussieren auf ein Ziel war dagegen eines von Gasserts Zauberworten. Und er hatte auch eine gute Nachricht dabei: Das Erreichen von Zielen löse die Ausschüttung von Hormonen aus, die den Stressabbau begünstigten und damit auch das Durchhalten erleichterten. So könne man sich etwa schon morgens für das Erreichen eines Etappenziels loben: für das Zurückschlagen der Bettdecke.