Klimawandel
„Halbherzige Wischi-Waschi-Energiepolitik“ – was sagen die Bundestagskandidaten zum Klimawandel?
Tuttlingen / Lesedauer: 11 min

Schwäbische.de
Die einen wollen die EEG-Umlage abschaffen, die anderen die Energiewende als Mitmachprojekt aufziehen, wieder andere zweifeln generell am Klimawandel: Die Bundestagskandidatinnen und -kandidaten im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen stellen sich unseren Fragen zum Klimawandel.
Wer muss aus Ihrer Sicht den Kampf gegen den Klimawandel im Geldbeutel spüren, wer braucht dagegen finanzielle Unterstützung?
Maria-Lena Weiss, CDU : Der Kampf gegen den Klimawandel braucht Akzeptanz. Deshalb soll niemand den Kampf gegen den Klimawandel im Geldbeutel spüren müssen. Wir müssen vielmehr für bezahlbaren Strom sorgen, indem die Steuern und Abgaben auf den Strompreis gesenkt werden. Die Einnahmen aus dem Emissionshandel sollen in vollem Umfang an die Betriebe und die Bürgerinnen und Bürger durch Stromverbilligung und Entlastungen in den Bereichen Wohnen und Mobilität zurückgegeben werden. Als erstes schafft die CDU hierfür die EEG-Umlage ab. Mit Blick auf die Wettbewerbssituation unserer Industrie brauchen wir einen wettbewerbsfähigen Industriestrompreis. Wir wollen aber auch Energieeffizienz fördern und setzen hier vor allem auf technologische Weiterentwicklung und Innovationen – bei Produkten ebenso wie bei Verfahren.
Mirko Witkowski , SPD: Klimaschutz wird nur gelingen, wenn er auf breite Akzeptanz stößt. Wir machen die Energiewende zum Mitmachprojekt für alle. Wir wollen Klimaschutz nicht über den Preis erzwingen. Wir brauchen kostengünstige und klimafreundliche Alternativen bei Antriebstechnologien und im Gebäudebereich. Denn andernfalls belasten höhere C02-Preise vor allem untere und mittlere Einkommen. Bis 2040 wollen wir unseren Strombedarf ausschließlich aus erneuerbaren Energien decken. Damit die Energiewende bezahlbar bleibt, werden wir die EEG-Umlage bis 2025 abschaffen. Das Abgabe- und Umlagesystem wird reformiert. Wir werden erneuerbare Energien günstiger machen. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz 2021 haben wir unter anderem den Weiterbetrieb ausgeförderter Anlagen gesichert.
Joachim Bloch, AfD: Kann der Mensch den Klimawandel überhaupt entscheidend bremsen oder sind wir gegen die Kräfte der Natur weitgehend machtlos? Dazu gibt es unter Fachleuten sehr unterschiedliche Standpunkte. Sicher ist folgendes: Die ideologisch gesteuerte, wirtschaftsfeindliche Klima-Rettung vernichtet in Deutschland Arbeitsplätze und unseren Wohlstand. Die weitere Erhöhung der Spritpreise lehne ich ganz entschieden ab. Bereits jetzt lastet auf jedem Liter Benzin eine Energiesteuer von 65 Cent, bei Diesel sind es 47 Cent. Obendrauf kommt dann noch die Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Die Autofahrer bluten schon genug. Wo bleibt die staatliche Gegenleistung in Form eines leistungsfähigen Straßennetzes? Fehlanzeige! Stattdessen und zeitraubende Staus ohne Ende. Hier würde ich im Interesse der Umwelt ansetzen.
Annette Reif, Grüne: Es gilt, den Klimawandel beherzt anzugehen. Es wird aber logischerweise so sein, das klimaförderndes und CO2-neutrales Verhalten belohnt werden. Nachteile z.B. bei der CO2-Bepreisung für Pendler oder sozial Schwächere müssen durch eine kluge Sozialpolitik ausgeglichen werden. Starke Schultern können und sollen einfach mehr tragen. Wir können es uns nicht leisten, Klima- und Sozialpolitik gegeneinander auszuspielen oder auf ein „Weiter so“ setzen.
Andreas Anton, FDP : Die FDP fordert ein striktes und jährlich sinkendes CO2-Limit. Überall, wo CO2 ausgestoßen wird, müssen vorher Zertifikate erworben werden, die auf dem Markt gehandelt, jährlich weniger und damit teurer werden. Dadurch schaffen wir starke Anreize zur Reduktion von CO2 und ermöglichen echte Technologieoffenheit und einen fairen Wettbewerb um die besten Ideen und technischen Lösungen. Auf diese Weise wird darüber hinaus Verlässlichkeit bei der CO2-Reduktion erzielt und die Kosten des Kampfes gegen den Klimawandel verteilen sich auf viele Schultern. Die zusätzlichen Einnahmen durch den Zertifikatehandel werden in Form von niedrigeren Strompreisen und einer Klimadividende an die Bürger zurückgegeben. Einkommensschwache Haushalte könnten so unterm Strich finanziell sogar profitieren.
Aynur Kalikli, Die Linke: Wir streben selbstverständlich 100 Prozent erneuerbare Energien an, so schnell wie möglich und im Übrigen schneller als in den Programmen aller anderen Parteien. Dies geht aber nicht nur durch den Ausbau dieser Kapazitäten, sondern es muss ganz konkret auch Energie eingespart werden. Der Energiemix aus den bekannten erneuerbaren Energien, wie Solar, Wind, Geothermie und vor allem auch Wasser kann die benötigten Energiemengen liefern. Das Problem sind eher die Netze und deren Besitzer:innen. Sie erlauben häufig keine kleinteilige und flexible Nutzung und Auslastung weil sie hochgradig zentralisiert und monopolisiert sind. Deswegen müssen diese zurück in den Besitz der Menschen vor Ort. Konkret bedeutet das: kleinteilige und flexible Energiegenossenschaften, statt einer Handvoll Energiekonzerne.
Atom- und Kohleausstieg! Woher soll unser Strom künftig kommen?
Maria-Lena Weiss , CDU: Die Erneuerbaren Energien müssen deutlich schneller ausgebaut werden. Die CDU setzt auf einen intelligenten und diversifizierten Energiemix, der nachhaltig und sicher ist. Dazu gehören Sonnen- und Windenergie genauso wie nachhaltige Biomasse, Wasserkraft und Geothermie. Klar ist aber auch, dass wir für das Ziel der CO2-Neutralität in einem Industrieland wie Deutschland wesentlich mehr Ökostrom benötigen, als bisher verfügbar ist. Deshalb sind wir auf Kooperationen mit Staaten über die EU-Grenzen hinaus angewiesen. Wir müssen z.B. mit afrikanischen Ländern Energiepartnerschaften schließen, um auch grünen Strom zu importieren. Außerdem müssen wir einen starken europäischen Markt für nachhaltige Wasserstofftechnologien schaffen, der dann als globales Vorbild dienen kann.
Mirko Witkowski, SPD: Bis zum Jahr 2040 wollen wir unseren Strom vollständig aus erneuerbaren Energien beziehen. Da die Energieversorgung an vielen Orten zentral und dezentral stattfindet, müssen wir die Bürger*innen und die Unternehmen wieder dafür begeistern mitzumachen. Die Beteiligungsmöglichkeiten an den Erneuerbare-Energien-Anlagen für die Kommunen und ihre Bürger*innen wollen wir weiter ausbauen. Wasserstoff wird in der industriellen Produktion eine Schlüsselrolle einnehmen. Dieser wird mit „grünem“ Strom hergestellt. Die Ausbauziele bei den Erneuerbaren Energien müssen wir so anpassen, dass bis 2030 ein Bruttostromverbrauch von 680 Terawattstunden gedeckt werden kann. Damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien besser funktioniert, wollen wir das Planungs- und Genehmigungsrecht reformieren.
Joachim Bloch, AfD: Der eigenmächtige Ausstieg der Kanzlerin aus dem Atom- und Kohlestrom war ein kapitaler Fehler. Durch die Energiewende haben wir den höchsten Strompreis der Welt und eine extrem unsichere Versorgung: Am 14. August 2021 brach die schwankende Solarstrom-Produktion von über 30 Gigawatt auf 3 Gigawatt ein. Die Netzbetreiber mussten alle Reserven abrufen. Pumpspeicherkraftwerke und Kohlekraftwerke auf Höchstlast reichten nicht aus. Atom- und Kohlekraftwerke in Nachbarländern konnten nicht ausgleichend liefern wie sonst so oft. Deshalb stoppten die Netzbetreiber in Not kurz vor 20 Uhr u.a. die Versorgung eines großen Aluminium-Herstellers, dessen Stromverbrauch dem Bedarf von etwa 700 000 Haushalten entspricht.
Annette Reif, Grüne: Der zukünftige Strom kommt vor allem aus Wind und Sonne. Mit einer klaren Richtungsentscheidung und neuen Gesetzen werden nicht nur die bereits bestehenden Lösungen der Wirtschaft für die Speicherung in Arbeitsplätze umgesetzt, es wird auch einen Forschungs- und Effizienzschub geben. Die wirtschaftlichen Unternehmen sind bereit, aber sie brauchen Klarheit. Es muss Schluss sein mit der halbherzigen Wischi-Waschi-Energiepolitik der großen Koalition von CDU und SPD. Das nachfossile Zeitalter ist kein Rückschritt in die Steinzeit, sondern ein Fortschritt in eine enkel- und urenkeltaugliche Zukunft. Wenn uns allen ein Licht aufgeht, dann werden keine Lichter ausgehen. Natürlich braucht es Übergangsregelungen, neue Trassen und eine internationale Kooperation.
Andreas Anton, FDP: Ein steigender CO2-Preis wird fossile Energie immer unattraktiver machen und dazu führen, dass der Zubau erneuerbarer Energien schnell vorankommt. Eine sichere und zuverlässige Versorgung mit Strom, Wärme und Kraftstoff muss dabei immer oberste Priorität haben. Sie darf durch klima- und energiepolitische Maßnahmen nicht gefährdet werden. Außerdem darf der Strompreis nicht zu stark steigen. Dazu müssen die die Umlagen, Steuern und Abgaben auf Energie umfassend reformiert werden. Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe (‚E-Fuels‘) müssen als weitere Säulen das künftigen Energiesystem ergänzen. CO2-neutraler Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe können fossile Brennstoffe in der Industrie ersetzen, Autos, Schiffe sowie Flugzeuge antreiben oder Gebäude heizen.
Aynur Kalikli, Die Linke: Wir streben selbstverständlich 100 Prozent erneuerbare Energien an, so schnell wie möglich und im Übrigen schneller als in den Programmen aller anderen Parteien. Dies geht aber nicht nur durch den Ausbau dieser Kapazitäten, sondern es muss ganz konkret auch Energie eingespart werden. Der Energiemix aus den bekannten erneuerbaren Energien, wie Solar, Wind, Geothermie und vor allem auch Wasser kann die benötigten Energiemengen liefern. Das Problem sind eher die Netze und deren Besitzer:innen. Sie erlauben häufig keine kleinteilige und flexible Nutzung und Auslastung weil sie hochgradig zentralisiert und monopolisiert sind. Deswegen müssen diese zurück in den Besitz der Menschen vor Ort. Konkret bedeutet das: kleinteilige und flexible Energiegenossenschaften, statt einer Handvoll Energiekonzerne.
Deutschland legt bei den Klimazielen vor, aber der Rest der Welt zieht nur bedingt mit. Wie wollen Sie andere, vor allem ärmere, Länder davon überzeugen, beim Klimawandel mitzumachen?
Maria-Lena Weiss, CDU: Deutschland muss als Industrieland eine große Verantwortung übernehmen, damit bis 2050 weltweit CO2-Neutralität erreicht wird. Wir müssen Vorbild für andere Länder sein, indem die modernsten Technologien bei uns entwickelt und anschließend anderen Ländern zur Verfügung gestellt werden. Das gelingt nicht durch Deindustrialisierung, sondern nur mit einer starken Wirtschaft. Internationale Klimapartnerschaften können Entwicklungsländer bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Umweltschutz durch den Transfer von technischem Wissen unterstützen. Mit einer modernen Handelspolitik müssen hohe Standards und wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz global durchgesetzt werden. Zur Eindämmung der Erderwärmung ist entscheidend, dass Entwicklungs- und Schwellenländer ihre Wirtschaft von Anfang an klimafreundlich aufbauen.
Mirko Witkowski, SPD: Deutschland ist eine der wichtigsten Industrienationen weltweit. Uns allen ist bewusst, dass wir handeln müssen. Wir werden die Entwicklungszusammenarbeit auf eine nachhaltige Grundlage stellen. Unser Ziel ist es, Frieden, Demokratie, den Klimaschutz und die Menschenrechte in der Welt zu stärken. Wir wollen Handelsabkommen dazu nutzen, international anerkannte Menschenrechte, Sozial- und Umweltstandards bei den Partner*innen einzufordern. Wir werden den Klimaschutz und internationale Organisationen stärken. Gleichberechtigte Bildung ist der Schlüssel für Entwicklung. Und auch die Folgen des Klimawandels können wir nur mit Hilfe der multilateralen Organisationen meistern. Unser ambitioniertes nationales Lieferkettengesetz soll die Blaupause für eine europäische Lösung sein.
Joachim Bloch, AfD: Auch die großen Industrienationen mit dem höchsten CO2-Ausstoß (USA, China, Russland) ziehen nicht mit. Japan will zwar 114 seiner 140 Kohlekraftwerke bis 2030 schließen. Geplant sind jedoch 22 neue saubere Kohlekraftwerke mit gigantischer Leistung. Zusätzlich will die japanische Regierung viele der 54 alten Atommeiler wieder hochfahren, die 2011 zur Sicherheitsüberprüfung schrittweise abgeschaltet wurden. Die Kraftanstrengung für eine saubere Umwelt im Interesse künftiger Generationen kann nur weltweit erfolgen, nicht im Alleingang. Kein anderes Land der Welt leistet sich ein so hirnverbranntes Energiekonzept wie Deutschland. Sinnvoll wäre es, Verbrennungsmotoren mit synthetischem Sprit klimafreundlich zu machen – eine Idee von MdB Dr. Spaniel (AfD), die FDP-Chef Lindner übernommen hat.
Annette Reif, Grüne: Da eine ungebremste Klimaerwärmung vor allem auch die ärmeren Länder langfristig durch zunehmende Katastrophen noch ärmer macht, gibt es zu den von uns Grünen für Deutschland, für Europa und letztlich für die Menschheit angedachten Klimazielen keine Alternativen. Darauf – ausgedrückt in dem 1,5 Grad-Ziel - hat sich im Pariser Klimaabkommen auch die Staatengemeinschaft geeinigt. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Pro Kopf CO Emission in Deutschland höher ist als z.B. in China.Viele Länder schauen wie es mit der Wirtschaft, der Energiegewinnung und dem Erhalt von Lebensqualität in Deutschland weitergeht. Hier haben wir sowohl die Chance für eine Vorbildfunktion als auch für eine nachhaltige Exportwirtschaft. Das EEG von 2000 war z.B. so ein Vorbild für über 100 andere Staaten.
Andreas Anton, FDP: Ein entscheidender Vorteil des CO2-Zertifikatesystems besteht darin, dass man es leicht auf andere Länder übertragen kann. In einem ‚Klimaklub‘ könnten sich alle Industrienationen zusammenschließen, die sich dem Zertifikate-Handelssystem angeschlossen haben. Länder, die den CO2-Ausstoß nicht bepreisen, hätten so einen Wettbewerbsvorteil. Dieser könnte jedoch durch Klimazölle ausgeglichen werden. Damit würde auch ein starker ökonomischer Anreiz geschaffen, dem ‚Klimaklub‘ beizutreten. Darüber hinaus sollten Möglichkeiten genutzt werden, Klimaschutzprojekte in ärmeren Staaten zu finanzieren und die entsprechenden Treibhausgasreduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen. Artikel 6 des Pariser Abkommens sieht das ausdrücklich vor.
Aynur Kalikli, Die Linke: Das ist leider nur die Selbstwahrnehmung. Deutschland ist laut Klimaschutzindex nur Mittelmaß. Tatsächlich liegen einige Länder die deutlich ärmer sind als wir im Klimaschutzindex deutlich vor Deutschland. Die Menschen und Staaten spüren die Auswirkungen ja sehr direkt und kennen ebenfalls die Berechnungen, dass wir eigentlich jetzt schon keine Zeit mehr dafür haben, viel Überzeugung ist tatsächlich gar nicht mehr von Nöten. Gleichzeitig ist es die Chance schlechthin, die friedlichen und diplomatischen internationalen Organisationen nicht nur faktisch, sondern auch in der Relevanz aller Menschen zu stärken. UN, OSZE und weitere brauchen einen Fond, finanziert auf Basis des BSP der Mitgliedsländer, welcher global die Infrastruktur aller Länder auf den notwendigen Stand bringt, welche nicht nur wir brauchen, sondern welche mittlerweile die gesamte Biosphäre des Planeten braucht.