49-Euro-Ticket

Deutschlandticket wird zur Konkurrenz für lokale Tarife

Tuttlingen / Lesedauer: 5 min

Ein Zehntel der regionalen Pendler im ÖPNV haben ihr Tarif-Abo umgewandelt. Warum sich jeder den Wechsel zum 49-Euro-Ticket gut überlegen sollte.
Veröffentlicht:26.05.2023, 11:50

Von:
  • Author ImageMatthias Jansen
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Für 49 Euro im Monat durch ganz Deutschland: Das ist seit Monatsbeginn möglich. Aber ist das vom Bundeshaushalt subventionierte Deutschlandticket nun ein Segen für den Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)? Oder aber ein Fluch, weil es die lokalen Tarife entwertet. Wir haben uns umgehört.

Bei einer Veranstaltung des Landesverkehrsministeriums in Tuttlingen hatte ÖPNV–Referentin Sarah Holt eine eindeutige Meinung: „Das Deutschlandticket ist für die Tarife vor Ort wie eine Abrissbirne.“ Die Befürchtung: Durch die Möglichkeit, alle Busse und Bahnen im Regional– und Nahverkehr zu nutzen, würden lokale Beförderungsangebote für die Kunden uninteressant.

Ein Zehntel der Pendler bei Move hat gewechselt

Stimmt das auch? Für eine endgültige Bilanz ist es nach nicht einmal zwei Monaten, in denen das Deutschland–Ticket gekauft werden kann, noch zu früh. Eine lokale Tarif–Trümmerlandschaft hat die Einführung des Deutschlandtickets aber nicht verursacht. Von 5000 Erwachsenen, die bisher ein Jahresabo bei Move — dem Tarifverbund der Landkreise Tuttlingen, Rottweil und Schwarzwald–Baar — hatten, haben nur 518 Kunden ihr Abo in ein Deutschlandticket umgewandelt.

Deutschlandticket zieht neue Kunden an

Positiv ist, dass der 49 Euro–Fahrschein durch ganz Deutschland mehr Menschen dazu gebracht hat, Bus und Bahn zu nutzen. „Zum 1. Mai haben wir 627 Deutschlandtickets verkauft. Davon 249 als Handyticket und 378 als digitale Chipkarte“, schreibt Nathalie Holzhauer, die bei Move für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing zuständig ist. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hatte der Landkreis Tuttlingen — damals über TUTicket — von Juli bis August insgesamt 11.392 Neun–Euro–Tickets verkauft.

Das Deutschlandticket kostet mit 49 Euro pro Monat etwas mehr als die Move–Abocard Erwachsene für 40,60 Euro pro Monat.

Nathalie Holzhauer von Move

Und, das macht Holzhauer deutlich, könne man auch nicht von Verlusten sprechen, die das Deutschlandticket vor Ort verursache. „Das Deutschlandticket kostet mit 49 Euro pro Monat etwas mehr als die Move–AboCard Erwachsene für 40,60 Euro pro Monat. Insofern kommt es dabei zu keinen Einnahmeverlusten, sondern zu Mehreinnahmen“, teilt sie mit. Es gebe zwar auch Tarife, die über den 49 Euro liegen. „Der Bund und das Land gleichen etwaige Einnahmeverluste allerdings aus, sodass wir nicht davon ausgehen, dass beim Verbund Einnahmeausfälle entstehen“, sagt Holzhauer.

Einer, der das Verbund– schon gegen das Deutschlandticket eingetauscht hat, ist Phillip Kannappel. „Ich muss im Mai zweimal nach Konstanz und einmal nach Karlsruhe fahren. Da fiel die Entscheidung leicht, für ein paar Euro mehr deutschlandweit fahren zu können“, sagt der Immendinger. Für den Aufpreis von 8,40 Euro zum Tarif–Abo hätte er die Strecke sicher nicht fahren können.

Kritik: Abo–Tarif hätte früher günstiger werden sollen

Dass die Landkreise mit dem Abopreis deutlich heruntergegangen sind — bei Kannappel von 56 auf 40,60 Euro — sei mit der bevorstehenden Einführung des Deutschlandtickets wenig überraschend gewesen. „Ich denke, sie haben erkannt, dass sie auf jeden Fall Kunden an das Deutschlandticket verlieren werden. Wer fährt für 56 Euro schon in drei Landkreisen, wenn er für sieben Euro weniger durch ganz Deutschland fahren kann?“ Als Kundenbindung sei die Entscheidung aber zu spät gekommen, findet er.

Lieber nicht mehr über die Bahn ärgern

Und auch er selbst wird bald aussteigen. Das Abo wird zum 1. Juli gekündigt, weil Kannappel berufsbedingt über Monate im Ausland sein wird. „Daher benötige ich kein Ticket mehr und — bei allem Respekt — ich bin froh, mich nicht mehr jeden Tag über Verspätungen und Zugausfälle ärgern zu müssen“, sagt er.

Geredet werde im Zug eigentlich immer über die Zugverbindungen und die Deutsche Bahn, sagt Hans–Martin Schwarz. Und das nicht immer positiv. Der Tuttlinger LBU–Stadtrat fährt seit 20 Jahren als Pendler zur Arbeit nach Donaueschingen. Und zwar als „solidarischer überzeugter Bahnfahrer“. Er selbst hat weiterhin sein Abo bei Move und noch kein Deutschlandticket. Sollte er sich die 49 Euro–Variante einmal kaufen, dann werde er es bei dem Verkehrsverbund vor Ort tun.

Abo–Tarif hat in der Region Vorteile

Allerdings, so betont Schwarz, biete ihm der Tarifverbund aktuell mehr Vorteile. Am Wochenende und gesetzlichen Feiertagen kann man bei Move einen weiteren Erwachsenen und bis zu vier Kinder auf seiner Abokarte mitnehmen. „Das geht mit dem Deutschlandticket nicht“, sagt Schwarz.

Wer fährt für 56 Euro schon in drei Landkreisen, wenn er für sieben Euro weniger durch ganz Deutschland fahren kann?

Pendler Phillip Kannappel

Wenn — auch ausgelöst durch den Preis von 49 Euro — mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen, dann ist das für Schwarz positiv. Erst die Infrastruktur auszubauen, um dann Fahrgäste gewinnen zu wollen, das sei der falsche Ansatz. „Das klappt nicht. Wir brauchen eine Masse an Fahrgästen — eine Bahnfahrerlobby –, die Veränderungen einfordern. Es ist besser, wenn sich drei Millionen Menschen mehr über die Infrastruktur aufregen.“

Auch Kannappel schimpft über die Bahn und nutzt sie momentan dennoch weiter. Für Termine in Konstanz und Karlsruhe sei der Zug eine gute Alternative zum Auto. „Aber nur im Abo. Bei Einzelfahrpreisen ist das undenkbar und keine Alternative zum Auto. Und wenn die Bahn jetzt noch zuverlässiger wäre, dann wäre es ein Traum“, sagt Kannappel.