Klassikkonzert
Nach 36 Jahren Recherche: Verschollenes Trompetenkonzert begeistert Zuhörer
Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Matthias Jansen
Absolut begeistert, fantastisch, spitze: Es gab kaum ein Lob, das nach dem Auftritt der Neuen Philharmonie in der Tuttlinger Stadthalle nicht zu hören war. Die Musiker bescherten den mehr als 550 Besuchern im Rahmen der Konzertreihe „Schwäbische.Klassik.Sterne!“ nicht nur feinen Hörgenuss klassicher Musik. Sie hatten auch die ein oder andere Überraschung bereit.
Konzertbesucher dürfen erst einmal selbst singen
Mit vertauschten Rollen begann der Abend. Nach der Begrüßung bat Lutz Schumacher zunächst die Zuschauer, aktiv zu werden. „Es ist nicht schwer. Das Lied kennt auch jeder. Wir singen es mal zusammen“, sagte der Geschäftsführer der SV-Gruppe, zu der auch Schwäbisch.Media gehört, und stimmte „Alle meine Entchen an.“ Zunächst in Dur, dann in Moll.
Lutz SchumacherEr war die letzten zwölf Jahre seines Lebens taub, wohl auch schon als er die Moldau komponierte.
Dies, so Schumacher, sei die Melodie, die auch im ersten Stück des Abends zu hören war: die Moldau vom Bedrich Smetana.
Ein Welterfolg, der aufgrund der Lebensgeschichte des tschechischen Komponisten umso bemerkenswerter erscheint. Smetana, so erzählt Schumacher, sei nicht nur ein „armer Schlucker“, sondern wie Ludwig van Beethoven auch krank gewesen.
„Er war die letzten zwölf Jahre seines Lebens taub, wohl auch schon als er die Moldau komponierte.“ Aus dem Kopf schuf er dann ein Werk, das den Lauf der Moldau von den Quellen bis nach Prag darstellt.
SV-Geschäftsführer forscht seit der Jugend nach Musikstück
Eine sehr persönliche Beziehung offenbarte Schumacher bei der Vorstellung des zweiten Stücks. Als Jugendlicher habe er klassische Musik aus dem Radio auf Kassette aufgenommen.
Lutz SchumacherIch habe 36 Jahre lang gesucht, wer das war.
Bei einem Trompetenkonzert sei er damals aber etwas zu spät gewesen, sodass er nicht mitbekommen hatte, wer der Schöpfer des Werkes war. „Ich habe 36 Jahre lang gesucht, wer das war“, erzählte Schumacher, dem es letztlich gelang, die Partitur des Trompetenkonzerts B-Dur von Karl Pilss in der österreichischen Nationalbibliothek ausfindig zu machen.

Dieser habe die Noten seines 1934 entstandenen Werkes nie gedruckt. Mit Hilfe einer Musikwissenschaftlerin wurden die Noten dann doch für das Orchester aufbereitet.
Ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Schon das Spiel der gut 40 Musiker aus 20 Nationen unter der Leitung von Dirigent Stefan Malzew begeisterte die Zuschauer. Solist Phillip Hutter, der als Trompeter im Luzerner Sinfonieorchester engagiert ist, stach heraus. Die Klänge des Orchesters schien er aufzusaugen, um bei seinen Einsätzen umso beeindruckender aufzuspielen.
Trompeter Hutter mit Botschaft gegen Antisemitismus
Obwohl er lang anhaltend und mehrfach vom Applaus der Zuschauer von der Bühne verabschiedet worden war, kehrte Hutter dann noch einmal zurück.

Auch zur Überraschung des Dirigenten. „Ich bin jetzt etwas unvorbereitet. Die Noten liegen auch hinter der Bühne“, sagte Hutter, der als „Statement gegen den wieder grassierenden Antisemitismus“ ein jüdisches Volkslied präsentierte. „Das passt zu Psalm 23: Gutes und Barmherzigkeit werden Dir folgen ein Leben lang.“
Weit weniger freundlich war die Atmosphäre, die die Klänge von „Die Nacht auf dem kahlen Berge“ von Modest Mussorgski vermittelten. Der Russe hatte sich im 19. Jahrhundert mit Landsleuten zusammengeschlossen, um seinem Heimatland eine eigene musikalische Identität zu geben.
Das Problem bei dem sogenannten „Mächtigen Häuflein“ war, dass es alles keine ausgebildeten Musiker waren. Zu den Gelegenheitskomponisten, die nicht viele Werke vollendeten, zählten Chemiker und Soldaten.
Und auch das Werk von Mussorgski, das für Klavier konzipiert war, musste erst um die Orchesterfassung von Maurice Ravel ergänzt und von Nikolai Rimski-Korsakow überarbeitet werden.
Dieser hatte bei der Komposition, die das wilde Treiben von Hexen auf dem slawischen Blocksberg schildert, auch das Feiern einer schwarzen Messe gestrichen, um nicht zu sehr mit der Kirche in Konflikt zu geraten. Sanfte Klänge der Harfe und das Klingen von Kirchenglocken zum Schluss stimmten die Kleriker dann aber milde.
Eine Musik, wie aus dem Micky-Maus-Film
Nach der Tannhäuser-Overtüre von Richard Wagner folgte die heitere und sehr ausgelassene „Ungarische Rhapsodie Nr. 2“ von Franz Liszt im zweiten Teil des Stücks.
Wahrscheinlich, so meinte Schumacher, könnten Laien der klassischen Musik nicht einmal drei Werke des österreichischen Komponisten aufzählen. Dabei habe dieser rund 1300 Werke geschrieben. „Er ist einer der wichtigsten Musiker des 19. Jahrhunderts. Wahrscheinlich hat nur Johann Sebastian Bach mehr Stücke geschrieben“, sagte Schumacher.
Fast drei Stunden klassische Musik
So zählt die zweite Rhapsodie zu den meistgespielten Werken von Liszt und findet sich als Hintergrundmusik auch bei Comicfiguren wie Bugs Bunny oder Mickey Mouse wieder.
Mit der Karelia Suite des finnischen Komponisten Jean Sibelius als Zugabe endete ein fast dreistündiges Konzert. Die begeisterten Besucher honorierten das große Können und die Ausdauer der Musiker mit langanhaltenden stehenden Ovationen.