Fest gemauert in der Erde
Im Fundament dieses Denkmals versteckt sich ein Geheimnis
Spaichingen / Lesedauer: 5 min

Frank Czilwa
Es gibt insgesamt drei Denkmäler für den romantischen Dichter Nikolaus Lenau in Deutschland. Eines davon steht in Spaichingen. Im Fundament des Kleindenkmals ist, wie dieser Tage wieder bekannt wurde, ein Dokument verborgen, das an die Umstände erinnert, unter denen das Monument 1960 entstand.
Gäste aus aller Welt
Donauschwaben aus aller Welt werden vom 18. Juni bis 28. Juli zu Gast in Spaichingen sein. (Wir haben berichtet.) Zum Fototermin im Vorfeld zu diesem Großereignis haben Jürgen und Gerhard Harich, Josef Koch und Johannes „Hansi“ Winze, vier engagierte Spaichinger mit donauschwäbischen Wurzeln, ganz bewusst vor das Lenau–Denkmal geladen.
Jürgen HarichDarauf können wir schon sehr stolz sein.
Das Denkmal am „Zimmerplatz“ ist nicht zu übersehen, wenn man von der Schuraer Straße her in den Stadtteil „Im Grund“ hinein fährt. Nikolaus Lenau ist ein Dichter der Romantik, auf den Donauschwaben in aller Welt besonders stolz sind. (Selbst in Cincinnati, Ohio, in den USA gibt es einen Lenau Park.)
Wo die anderen beiden Denkmäler stehen
Das Spaichinger ist eines von nur drei Lenau–Denkmälern, die es heute in Deutschland gibt. „Darauf können wir schon sehr stolz sein“, findet Jürgen Harich, stellvertretender Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Donauschwaben und Vizepräsident des Weltdachverbandes der Donauschwaben.
Die anderen beiden stehen in Esslingen am Neckar (dieses Denkmal gibt es schon seit 1903) und Sindelfingen (1961). Früher gab es wohl ein weiteres Lenau–Denkmal in Stuttgart–Zuffenhausen, dieses ist aber laut einem Bericht der Stuttgarter Zeitung nicht mehr vorhanden.
Tarzan aus dem Banat
Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau (1802—1850), genannt Nikolaus Lenau, gilt als einer der bedeutendsten Dichter Österreichs im 19. Jahrhundert. Er wurde im Banat im heutigen Rumänien (damals Königreich Ungarn) als Sohn eines deutschsprachigen Beamten geboren. Er gilt daher neben Literatur–Nobelpreisträgerin Herta Müller oder dem bei Temeswar geborenen Olympia–Schwimmer und Tarzan–Darsteller Johnny Weissmüller (1904—1984) als einer der berühmtesten „Banater Schwaben“.
Dichter des Weltschmerzes
Dennoch dürfte Lenau und sein Werk den meisten Deutschen heute weitgehend unbekannt sein. Auch Bürgermeister Markus Hugger musste erstmal in Wikipedia nachschauen, wer Lenau war, und stieß dort auf eine Charakterisierung als der „wichtigste deutschsprachige Dichter des Weltschmerzes und Pessimismus“.
Josef Koch bat bei dieser Gelegenheit den Bürgermeister darum, dass die Stadt das in die Jahre gekommene Denkmal ein wenig säubern möge und die Inschrift erneuere. Auf der Vorderseite steht der Name „Lenau“, an der Seite — inzwischen nur noch schwer zu entziffern — ein Zitat des Dichters: „Als Gedanke ist der Geist das Licht, Wärme ist im Herzen er als Liebe“, aus dem Lenau–Gedicht „Inneres Gericht“. Was man aber naturgemäß gar nicht mehr lesen kann, das ist das Dokument, das seit der Einweihung 1960 in einer eingemauerten Dose im Fundament unterhalb des Sockels verborgen ist.
Das Dokument
Der aus Hatzfeld im Banat stammende damalige Spaichinger Stadtrat Josef Klein hatte sich für die Errichtung des Denkmals eingesetzt. Das Dokument in der Dose, dessen Inhalt Gerhard Harich bei Geschichtskenner Fitz Mattes erfragt hat, lautet dem Inhalt nach: „Nach schrecklichen Zeiten der Flucht und der Vertreibung aus dem Erbe ihrer Väter an der mittleren Donau kamen zahlreiche Donauschwaben auch nach Württemberg.
Sie siedelten unter anderem in der Stadt und dem Landkreis Tuttlingen, in einer besonders stattlichen Zahl aber in Spiachingen und Umgebung ... Möge die Stadt Spaichingen in Zukunft dieses Denkmal als ein Kulturgut der Stadt und als kulturelles Vermächtnis der Donauschwaben für die späteren Nachkommen zur Pflege und Wahrung des geistigen Erbes in Obhut nehmen.“
Bildhauer aus der Batschka
Bildhauer des anlässlich des 110. Todestages des Dichters am 23. Oktober 1960 eingeweihten Spaichinger Denkmals ist Friedrich A. Müller (1914—1976), der aus der Batschka im heutigen Serbien stammt, und der auch das Lenau–Denkmal in Sindelfingen geschaffen hat. Auf dem 1,7 Meter hohen Tufstein–Sockel steht die klassizistische Bronzebüste.
Der Stadtteil „Im Grund“ entstand seit 1955. Hier errichtete vor allem die Donauschwäbische Siedlergemeinschaft zahlreiche Gebäude, und die Straßennamen verraten bis heute, dass hier vor allem Donauschwaben aus dem damaligen jugoslawischen (heute serbischen) Banat siedelten. Von 1950 bis 1960 stieg die Zahl der Einwohner Spaichingens dadurch sprunghaft an, von 4905 auf 6953.
Rund 30 Jahre später, ab Mitte der 1980er Jahre, kamen dann erneut zahlreiche Donauschwaben nach Spaichingen, diesmal aber nicht aus dem serbischen, sondern dem rumänischen Banat, vor allem aus Darowa.
Beinahe hätte es „Lenauheim“ geheißen
Stadtrat Klein stellte im Gemeinderat seinerzeit sogar den Antrag, das damals neue Viertel „Im Grund“ in „Lenauheim“ umzubenennen, fand dafür aber keine Mehrheit.
Im rumänischen Banat gibt es im Kreis Temeswar eine Gemeinde, die auch heute noch Lenauheim (oder ungarisch: Csatád, bis 1926 auf Deutsch ebenfalls „Tschadat“ oder „Schadat“) heißt — es ist der Geburtsort von Nikolaus Lenau, der nur wenige Kilometer von Hatzfeld entfernt liegt, wo auch Josef Koch herkommt.
Von Sonntag, 2. Juli, bis Freitag, 28. Juli, wird es im Rahmen der Donauschwäbischen Wochen in Spaichingen im Haus der Musik, Hintere Schulgasse 6, eine Ausstellung zu den Donauschwaben und zum Lenau–Denkmal im Grund geben.