StartseiteRegionalRegion TuttlingenRottweilMutmaßliche Feuerteufel: Familien kämpfen noch heute mit den Folgen

Brandserie 2022

Mutmaßliche Feuerteufel: Familien kämpfen noch heute mit den Folgen

Landkreis Tuttlingen / Lesedauer: 10 min

„Ich weiß ganz genau, dass die zwei das waren“: Der Prozesstag gibt Einblicke in das Leben der Angeklagten. Geschädigte ringen um Worte. Schilderungen sind teils hochdramatisch.
Veröffentlicht:22.09.2023, 05:00

Von:
  • Linda Seiss
Artikel teilen:

Wie ist das Verhältnis der Angeklagten Thomas W. und Nico B. einzuschätzen und wer hatte bei den vorgeworfenen Brandstiftungen welche Rolle inne?

Diesen Fragen ist am dritten Verhandlungstag des Brandstifterprozesses vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts in Rottweil nachgegangen worden. Zudem schilderten die Geschädigten aus Mühlheim und Tuttlingen ihre Situation. Für eine Familie sind die Folgen des Brandes noch heute zu spüren.

Nico B. soll unter Verlustängsten leiden

Die Ehefrau von Nico B. gibt weitere Einblicke in das Leben des Angeklagten. Sie berichtet vom Zusammenleben mit ihm, wie sein Arbeitsunfall ihn belastet und aus der Bahn geworfen habe, von seinem Alkoholkonsum, der Trennung und wie sich die beiden für die gemeinsame Tochter etwa vier Wochen vor der Festnahme zusammengerauft und zuletzt wieder ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut haben.

Er leide an Verlustängsten, sein psychischer Zustand sei „nicht stabil, in keinster Weise“, führt die 23-Jährige aus. Bei schnellen, unerwarteten Bewegungen von ihr, habe er Angst vor ihr gehabt und sei zusammengezuckt, schildert sie. Professionelle Hilfe, auch in Bezug auf seinen Alkoholkonsum, habe er abgelehnt, „weil ihm das peinlich war“.

Auf die Frage, was für ein Typ er sei und ob er für seine Meinung einstehen könne, erklärt die Ehefrau: „Er zieht sich zurück, mir kommt es so vor, als hätte er Angst, dass man ihn aus einer Gruppe ausstoßen könnte.“ Zudem möge er keinen Streit und würde wegen seiner Verlustängste im Zweifel auch seine Position nicht vertreten.

Ehefrau von B. beschreibt W. als Anführer

Ganz im Gegenteil zu W., den sie auf Nachfrage des Vorsitzenden als sehr dominant und direkt, „auf eine Art toxisch“, beschreibt. W. sei der Anführer gewesen. Das, was W. wollte, habe gemacht werden müssen. Auch was den Kontakt zu B.s Tochter angeht, habe sich W. regelmäßig eingemischt, berichtet die 23-Jährige. B. habe oft eingelenkt, um W. nicht zu verlieren. W.s Selbstbewusstsein sei viel höher, als es sein sollte, er sei das Gegenteil von B.

Nach der Festnahme habe sie zuerst keinen Kontakt mehr zu B. haben wollen. Dann aber der Gedanke: Er alleine würde so etwas nie machen, er hätte viel zu wenig Selbstbewusstsein dafür, erklärt die Ehefrau, die B. regelmäßig mit der gemeinsamen Tochter sowie ihrem neuen Freund besucht.

Telefongespräche von Ex-Freundin W.s und Ehefrau B.s vorgespielt

Vorgespielt werden am dritten Verhandlungstag auch Gespräche von der Ehefrau und W.s Ex-Freundin. „Waren die das?“, will B.s Frau wissen. „Ja, außer das mit dem Hof, wo die Tiere gestorben sind“, lautet die Antwort. Zur genauen Rollenverteilung, wer für welche Brände verantwortlich ist, äußert sich die 19-Jährige nicht. Sie sei immer im Auto geblieben und habe am Handy gespielt. Sie sagt nur: „Ich weiß ganz genau, dass die zwei das waren.“

Gezeigt wird auch ein Video von der Anfahrt der Polizei zum letzten Brand, der den beiden zur Last gelegt wird. Es handelt sich um ein landwirtschaftliches Gebäude am Rußberg in Tuttlingen. Neben Blaulicht ist bereits von Weitem ein Feuerschein zu erkennen. Diesen hat auch Tuttlingens Kommandant Klaus Vorwalder sofort vernommen. „Beim Eintreffen von mir bestand schon Totalschaden, da war nichts mehr zu retten“, erklärt der 57-Jährige. Es sei darum gegangen, ein Ausbreiten der Flammen auf den nahegelegenen Wald zu verhindern.

Belastende Situation für Einsatzkräfte und Landwirte

Er schildert, dass die Situation für die Feuerwehrleute in der Zeit der vielen Brände belastend gewesen sei. „Das brachte uns an unsere Grenzen, auch vom Material her.“ Vor allem, weil immer damit gerechnet werden musste, dass es am nächsten Tag wieder brennt. Ähnliches berichtet auch der 87-jährige Besitzer der Scheune.

Die Leute hatten alle Angst.

87-Jähriger Besitzer der Tuttlinger Scheune

Vor allem Landwirte, die etwas abgelegen sind. „Die haben nachts Wache geschoben“, berichtet er. Erst als die Tatverdächtigen gefasst waren, hätten sie wieder ruhig schlafen können.

Er selbst habe von der Brandnacht nichts mitbekommen. „Ich habe geschlafen und bin erst am anderen Tag informiert worden.“ Als er von Richter Karlheinz Münzer gefragt wird, wie er das Bild vor Ort wahrgenommen habe, sagt er: „Ha, das war eine Katastrophe.“

Brand nimmt 87-Jährigen mit

In dem Gebäude war ein Stall. „Tiere sind keine zu Schaden gekommen, die waren alle auf der Weide, Gott sei Dank“, sagt er. Dennoch habe er einen Teil seiner Kühe verkaufen müssen. Zwar habe er einen alten Stall, dort hätten aber nicht alle Tiere Platz gehabt.

Die Halle soll wieder aufgebaut werden. Knapp 600.000 Euro soll das kosten, berichtet er. Noch sei die Schadensregulierung nicht ganz abgeschlossen, „aber ich hoffe, es klappt soweit.“ Er rechnet damit, dass alles 2024 wieder normal ablaufen kann.

Ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen kann, das ist alles nicht förderlich,

sagt der 87-jährige Geschädigte

Vor dem Brand sei er deutlich fitter gewesen. „Das hat mir moralisch einen auf den Deckel gegeben, das hat mir zugesetzt, das Ganze. Wenn ich das nicht hätte erleben müssen, wäre mir einiges erspart geblieben“, erklärt er dem Vorsitzenden.

Unklar ist bislang, wer von den beiden Angeklagten das Feuer in Tuttlingen gelegt hat. Die Ehefrau von B. berichtet, dass W. ein angespanntes Verhältnis zu Verwandten des Besitzers der abgebrannten Scheune am Rußberg gehabt haben soll. Unter anderem, weil er im Winter den Bus an der nahegelegenen Bushaltestelle habe laufen lassen, berichtet sie. Einen anderen Brand gelegt zu haben, hat B. hingegen bereits am ersten Tag eingeräumt: und zwar den in Mühlheim.

Silobesitzer ist den Tränen nahe

Dort habe er vor einem Silo gelagertes Stroh mit einem Feuerzeug angezündet, sagte er zum Prozessauftakt. Der Besitzer des Silos ringt bei seiner Befragung am Mittwoch immer wieder um Fassung, steht mehrfach den Tränen nahe. Sein Bruder habe ihn informiert mit den Worten: „Das Silo brennt, das Silo brennt!“, sagt er. Der Gedanke an die Brandnacht lässt ihn schwer atmen.

Bis heute meide er es, an dem Silo vorbeizufahren, berichtet er. Der Brand habe ihn in ein Loch fallen lassen, er habe vermehrt Alkohol getrunken und hätte Gedanken gehabt, sich das Leben zu nehmen, schildert der 70-Jährige.

Nicht ganz klar wurde bei der Befragung, ob und was am Silo versichert war. Die Kammern seien es zumindest nicht gewesen. „Ich habe die Police bekommen und dachte, das wäre damit erledigt. Das ist meine eigene Schuld“, sagt er. Denn sie hätte wohl noch unterschrieben werden und an die Versicherung zurückgeschickt werden müssen. Verwundert über die Schilderungen zeigt sich der Vorsitzende Münzer, denn der Sachverständige, der ein Gutachten anfertigte, sei vom Versicherer geschickt worden.

Befragt wurde auch der Bruder des Geschädigten. Er berichtet, dass das Gebäude an sich zwar versichert gewesen sei, aber nicht die Technik darin. „Das war Horror“, erinnert er sich an die Brandnacht.

Ich lag im Bett und hörte ein Krachen.

Bruder des Silobesitzers in Mühlheim

Ähnlich habe sich das beim Abbrennen einer Zimmerei vor einigen Jahren angehört. „Die Eternitplatten haben auch geschossen. Da ist mir sofort gekommen: da brennt es!“ Aufgrund der Lage sei dann nur das Silo oder die Zimmerei daneben in Frage gekommen, erklärt er.

Bruder des Silobesitzers darf Felder nicht mehr bewirtschaften

„Das war Horror“, sagt der Mann, der bis zum Brand einige Felder in Mühlheim und Stetten bewirtschaftete. Für ihn sei das Leid danach weiter gegangen. Denn wegen des Verdachts, dass er asbesthaltiges Material auf seinen Feldern ausgebracht haben soll, darf er diese bis heute nicht bewirtschaften.

Denn: das Silo war mit Eternitplatten verkleidet. Fasern und Splitter seien auf die außerhalb des Silos gelagerten Stroh- und Siloballen gefallen, so der 65-Jährige. Das Heu im Inneren des Silos sei verschlossen und von dem Brand eigentlich nicht betroffen gewesen, führt er weiter aus.

Gutachten gefordert

Das THW habe das Stroh um das Silo herum verteilt, sodass die Feuerwehr dieses löschen konnte. Das Öhmd (zweiter Heuschnitt) aus dem Inneren sei vorsorglich ebenfalls nach draußen gebracht worden, erklärt er. „Das hat aber nichts gehabt.“ Weil das Silo am Rand einer Wohnsiedlung liegt und das Heu gestunken habe, habe er das Material, nachdem der Brandort durch die Polizei freigegeben war, auf das Feld gefahren, „dass der Geruch vom Wohngebiet weg kommt“.

„Auf dem Öhmd aus dem geschlossenen Raum war kein Asbest, da habe ich keine Fasern gesehen, sonst hätte ich das nicht ausgebracht“, beteuert er. „Jetzt sollen da Fasern sein, jetzt sind die Äcker, auf denen es drauf ist gesperrt.“ Er müsse ein Gutachten in Auftrag geben.

Wenn das so ist und das Feld abgetragen werden muss, geht es in den Millionenbereich.

Bruder des Silobesitzers in Mühlheim

Denn so ein Fall sei nicht versichert. „Dann habe ich nichts mehr, die Kugel in den Kopf ist dann die beste Lösung.“

Schwere Zeit im Ort gehabt

Auch gesellschaftlich gesehen hätte die Familie eine schwere Zeit gehabt, unter anderem seien sie im Narrenblättle „schuldlos im Dreck herumgeschmiert“ worden. „Das muss man erst einmal verkraften, das ist unvorstellbar, was unsere Familie erleben musste“, sagt er.

Polizeihubschrauber verfolgt Tochter eines Feuerwehrmanns

Auch im Fall der in Hochemmingen abgebrannten Halle machten die Zeugen am dritten Prozesstag vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts in Rottweil deutlich, wie sie unter dem Brand leiden. Vor allem, wie emotional ein Abbrennen der eigenen Ernte ist.

Der betroffene Landwirt und sein Bruder sind beide in der Feuerwehr. Beide haben über ihren Piepser von dem Brand erfahren. „Die Halle war gerammelt voll“, schildert der Pächter der Halle. „Es ist nicht einfach, wenn man mit ansehen muss, wie die ganze Arbeit verbrennt. Das wird man auch nie vergessen“, sagt er vor Gericht. Zumal ihm nun eine Lagermöglichkeit fehle.

Das bedauert auch der 57-jährige Bruder, der seinem Bruder regelmäßig hilft. Er war mit der Feuerwehr als erstes vor Ort. „Eine Ernte ist etwas anderes, da ist viel Herzblut dabei“, erklärt er. Wie auch in Immendingens Ortsteil Ippingen sei die Wasserversorgung schlecht gewesen und es habe eine Leitung gelegt zur Brandstelle gelegt werden müssen. „Das Gebäude selber gibt man in so einem Moment auf und schaut, dass kein Flächenbrand entsteht“, erklärt er.

Doch nicht nur die Brüder werden die Brandnacht so schnell nicht vergessen. Auch die Tochter des 57-Jährigen habe einiges erlebt. „Ich habe sie gefragt, ob sie mir andere Schuhe von zu Hause holen kann“, erzählt er. Mit dem Fahrrad sei die damals 16-Jährige dann nach Hause und anschließend zur Brandstelle gefahren. Begleitet vom Polizeihubschrauber. „Die Polizei hat mich dann gefragt, ob ich neue Schuhe gebraucht habe“, berichtet er.