Am fünften Verhandlungstag im Fall Maya hat sich zum ersten Mal spürbares Entsetzen Luft im Großen Saal des Landgerichts Rottweil verschafft. Beim Auftritt einer jungen Frau am Nachmittag ging mehrfach ein Raunen durch die mit rund 40 Besuchern besetzten Zuhörer-Reihen. Es gilt, die Umstände des Todes der kleinen Maya zu klären, die zu Pfingsten 2012 in Aldingen verhungert und verdurstet war.
Die 26-Jährige berichtete von einem Vorfall zwei Wochen vor dem Tod der zweijährigen Maya. Die Mutter habe ihr die drei Kinder an jenem Samstag mit der Begründung gebracht, sie müsse zum Zahnarzt. Die Jüngste sei mit vollen Windeln gekommen, Spuren von trockenem Kot hätten sich bis auf den Rücken gezogen, erzählte die Zeugin. Ihr fiel auf, wie abgemagert, bleich und dünn Maya war. „Man konnte jeden Wirbel sehen, und auf dem Rücken war ein blauer Fleck.“ Sie habe die Kleine zuerst baden müssen.
Auffällig sei auch der große Durst und Hunger der Kleinen gewesen. Sieben Teller Nudeln, wenn auch jeweils kleine Portionen, habe sie gegessen und eineinhalb Liter Apfelsaft getrunken. Auf Vorhaltungen habe die Mutter geantwortet, das Kind sei „von Natur aus so“, esse und trinke auch daheim viel. Später erfuhr die 26-Jährige, dass ihre Freundin an diesem Tag auf der „Tuning World“ am Bodensee gewesen sei und dass sie das Jugendamt regelmäßig „abwimmle“.
Die Zeugin, selber allein erziehende Mutter von drei Kindern, sagte, sie habe die bei ihr tätige Familienhelferin mehrfach auf die Missstände aufmerksam gemacht, „aber die hat mir das nicht geglaubt“. Und so geschah nichts.
Die Spaichinger Oma sagte diesmal per Video aus. Der Tod von Maya und die Umstände gingen ihr so nahe, dass sie in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden muss. Ärzte rieten ihr ab, ihm Gerichtsaal zu erscheinen. Deshalb saß sie in einem anderen Raum des Gerichtsgebäudes und wurde per Video-Übertragung befragt. Ihr Sohn ist der Vater von Maya und des um ein Jahr älteren Jungen. Er wohnte bis zum Sommer 2011 mit der Mutter und den drei Kindern zusammen in Aldingen, zog dann aber aus. Die 57-jährige Oma zeigte sich in ihrer Aussage als sehr klar, bedächtig, einerseits sachlich, andererseits mitfühlend und kaum vorwurfsvoll.
„Für mich ist eine Welt zusammengebrochen“, sagte sie. Sie und ihr Mann hätten der jungen Frau jede Hilfe angeboten und die beiden jüngsten Kinder mehr als ein halbes Jahr zu sich zum Übernachten genommen, um der Mutter eine Arbeit in Nachtschicht zu ermöglichen. Als ihr Mann im Februar 2012 schwer erkrankte, sei dieses System nicht mehr zu halten gewesen. Die junge Frau habe versichert, ihre Schwester und Freunde kümmerten sich jetzt um die Kinder. Die seien vor allem in der Endphase „verwahrlost, durstig und hungrig“ angekommen, berichtete die Oma. Manchmal habe es so ausgesehen, als hätte man sie „mit Zuckerwasser übergossen und dann in eine Staubwolke gehüllt“. Auf Vorhaltungen habe die Mutter immer eine plausible Antwort parat gehabt, betont, alles sei in Ordnung und Angebote, gemeinsam aufs Jugendamt zu gehen, immer wieder verschoben. „Wir haben immer gesagt, du kannst mit jedem Problem zu uns kommen.“
Die Mutter kam dann am Todestag von Maya und bat die Oma, mitzukommen. Was sie vorfand, wird sie nie mehr loslassen: „Beide Jungs saßen weinend im Wohnzimmer … Die Wohnung und das Bett von Maya waren vermüllt … Sie lag mit ihrem zierlichen Körper bewegungslos im Bett, die Arme nach oben, die Augen auf - tot. Man kann sagen, verendet. Es war ein erschütterndes Bild von Not und Elend.“ An diesem Tag erfuhren Opa und Oma, dass die Mutter sie die ganze Zeit belogen hatte: Sie war nachts nie arbeiten, sondern meist unterwegs.
Der Bruder: „Maya ist krank!“
Wie es derweil daheim zuging, machte die zweistündige Vernehmung des achtjährigen Sohnes deutlich, deren zweiter Teil ebenfalls per Video gezeigt wurde. „Ich musste putzen, putzen, putzen, aufpassen, aufpassen, aufpassen, aufräumen, aufräumen, aufräumen“, sagte er. Die Mutter habe ihm dreitägigen Zimmerarrest angedroht, wenn er jemandem erzähle, dass die Kinder nachts alleine seien. Vor Besuchen des Jugendamts habe sie die ganze Nacht aufgeräumt. Er habe ihr vor Pfingsten gesagt, Maya sei krank, sie müsse zum Arzt. Mama habe das versprochen, doch passiert sei nichts. In der Todesnacht sei sie mal kurz heimgekommen und dann wieder gegangen. Er habe, so der Junge, Maya noch Toastbrot und Wienerle ins Bett gegeben, doch sie habe nichts mehr genommen.
Der medizinische Gutachter widersprach am Donnerstag der Vermutung von Verteidiger Mussgnug, letztlich habe eine Durchfall-Erkrankung zum Tod geführt. Das Gegenteil sei der Fall, erklärte der Sachverständige nach Rücksprache mit anderen Experten: Das Kind habe wegen der Austrocknung „eher“ an Verstopfung gelitten und zwei bis fünf Tage vor dem Tod keinen Stuhlgang mehr gehabt. Maya sei verhungert und verdurstet. Im Darm hätten sich Haare gefunden, was darauf hindeuten könne, dass Maya eventuell ihre eigenen Haare oder die eines Stofftieres gegessen habe.