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War mehrfach hinter Gittern

Mann will Fahrlehrer werden - ohne Führerschein und trotz drohender Haft

Rottweil / Lesedauer: 6 min

Weil er die Fahrschule seines Vaters übernehmen möchte, will ein angeklagter Tuttlinger nicht ins Gefängnis. Der Prozess weist noch weitere Kuriositäten auf.
Veröffentlicht:21.02.2023, 05:00

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Kann ein Mann, der eine lange kriminelle Karriere hinter sich hat und seit 2015 seinen Führerschein los ist, die Fahrschule seines Vaters übernehmen?

Das ist eine von vielen Fragen, die sich derzeit vor dem Landgericht Rottweil stellen. Auch der zweite Verhandlungstag brachte allenfalls bruchstückhafte Antworten.

Keine geregelte Arbeit, kein Unterhalt

Der Fall erscheint ziemlich einzigartig: Da sitzt ein heute 43–Jähriger auf der Anklagebank, der wegen schweren Bandendiebstahls, Drogenmissbrauchs und diverser anderer Delikte längere Zeit im Gefängnis verbrachte.

Der unverheiratete Vater von mehreren kleinen Kindern ist. Der keinen Unterhalt für sie bezahlen kann, weil er keiner geregelten Arbeit nachgeht. Und der jetzt vor dem Berufungsgericht in Rottweil darum kämpft, eine weitere Haftstrafe zu verhindern.

Sturmgewehr gestohlen

Der Sohn eines Fahrschulbesitzers soll mindestens 40 Mal ohne Führerschein gefahren sein und mindestens vier Einbruchdiebstähle, vor allem durch Eindringen in Kellerräume, verübt haben. Weiteres Kuriosum: Eines der wenigen eindeutigen Beweismittel sind erbeutete Dekofrösche, die bei ihm gefunden wurden.

Außerdem wirft ihm die Staatsanwältin einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor, weil er ein Sturmgewehr gestohlen und besessen haben soll.

Neue Anwältin aus Stuttgart

Dafür wurde er vor einem Jahr vom Amtsgericht Tuttlingen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, ohne Bewährung. Das will er verhindern und hat deshalb Berufung eingelegt und eine neue Anwältin aus Stuttgart engagiert.

Er schweigt zu den Vorwürfen, die bisher durch die Vernehmung mehrere Zeugen nicht alle zweifelsfrei erhärtet werden konnten. Stattdessen hat die Verteidigerin am zweiten Verhandlungstag ein Mini–Geständnis für ihren Mandanten abgelegt: Zwei Mal, sagt sie, sei er ohne Führerschein gefahren. Aber wo und wann — daran könne er sich nicht mehr erinnern. Ansonsten versucht sie alles, um die Ermittlungen der Polizei in Zweifel zu ziehen.

Kleine Kinder

Auch über seine persönlichen Verhältnisse zeigt sich der 43–Jährige mit seinem lässig um den Hals hängenden Schal wortkarg vor Gericht.

Klar wird: Er ist ziemlich viel herumgekommen in der Gegend: vier Wohnorte im Kreis Tuttlingen. Zwischendurch eine Arbeitsstelle in einer weiteren Gemeinde. Die Partnerin lebt mit den kleinen Kindern in einer weiteren Gemeinde.

Immer wieder Ansätze für ein geregeltes Leben

Er habe Chirurgie–Mechaniker gelernt, berichtet der Beschuldigte, dann aber den Beruf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen und sich nach dem zweiten Gefängnis–Aufenthalt vor etwa drei Jahren der Branche seines Vaters zugewandt. Sein erster klarer Satz an diesem Tag klingt selbstbewusst: „Ich hatte mit 25 den Füherschein für Lkw, fürs Motorrad und für Lastwagen“.

In diese Zeit fiel auch die Heirat, aus der Ehe ging ein inzwischen erwachsener Sohn hervor. Nach zwei Jahren folgte die Scheidung und übergreifend begann die Beziehung mit der Mutter der vier Kinder,. Gleichzeitig absolvierte er eine Ausbildung zum Fahrerlehrer. Doch einen Tag vor der entscheidenden Prüfung („Ich hätte das bestanden“), am 2. August 2009, der Tiefpunkt: Festnahme und Untersuchungshaft.

25 Diebstähle und Einbrüche in und um Tuttlingen

Es war das vorläufige Ende einer langen Serie von Straftaten: Insgesamt 25 Diebstähle und Einbrüche verübte er in und um Tuttlingen mit einer Bande in unterschiedlicher Besetzung, wobei das Vorgehen oft eher stümperhaft war und die Komplizen sich bei der Verteilung der Beute teilweise gegenseitig betrogen.

Allein der angerichtete Sachschaden belief sich auf 42.000 Euro. Als sie in Tuttlingen kein lohnendes Ziel mehr sahen, versuchten sie es in Villingen und wurden von der Polizei geschnappt.

Die Haftstrafe belief sich auf drei Jahre und neun Monate, wovon er wegen guter Führung nur zwei Drittel verbüßen musste. Doch eine Lehre war dem Angeklagten das nicht: Er wurde rückfällig, beging weiter Straftaten.

Fast eine Viertelstunde zum Verlesen der Straftaten

Beate Philipp, die Vorsitzende Richterin, liest sie um Eiltempo vor, sie benötigt fast eine Viertelstunde, es sind insgesamt acht Gerichtsverfahren. Er bekam mehrfach Bewährung und einmal sogar eine neue Bewährung, obwohl die alte noch lief. Schließlich musste er Ende 2019 erneut ins Gefängnis, diesmal für vier Monate.

Sein Vater, inzwischen im Rentenalter, kommt in den Zeugenstand, er redet nicht drumherum, wirkt äußerlich gefestigt und erklärt, dass er seinem Sohn nach dessen Führerschein–Entzug ein Auto zur Verfügung gestellt und ihn ausdrücklich gewarnt habe, selbst zu fahren.

Und dass er seit der Entlassung aus der Haft in der Fahrschule im Kreis Tuttlingen vier Tage pro Woche nachmittags jeweils viereinhalb Stunden für 18 Euro pro Stunde als eine Art Hausmeister arbeite. Damit verdiene er etwa 1200 Euro netto pro Monat. Ein Schicksalsschlag belaste den Sohn bis heute.

Weitere Zeugenaussagen

Die Mutter wirkt angeschlagen und macht von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.

Das Gericht hat die Partnerin des Mannes zum zweiten Mal als Zeugin geladen. Sie gibt sich trotz der Umstände erneut unbeschwert. Sie erklärt, ihr Partner sei nur am Wochenende bei ihr und den Kindern, verbringe die Woche an der Arbeitsstelle. Das steht im Widerspruch zu seiner Aussage, wonach er auch unter der Woche daheim sei und sich mit um die Kinder kümmere.

Unklare Aussagen

Das fügt sich ein ins Bild anderer Zeugen, die meist wenig zur Klarheit beitragen, unklar bleibt, wer nun die Wahrheit sagt und wer nicht. Und auch vom Angeklagten kommt wenig Erhellendes. Auf die Frage, wie er denn zwischen Elternhaus und Familie pendle, antwortet er knapp: „E–Bike. Zug. Taxi“ Ob er Schulden habe? „Ja!“ Die genaue Höhe wisse er nicht, aber er habe begonnen, 150 Euro pro Monat abzutragen. Unterhalt für die Kinder könne er nicht zahlen.

Wovon denn seine Frau lebe, will Richterin Philpp wissen. „Bürgergeld!“, sagt er, bisher als Hartz 4 bekannt. Das werde man auf Dauer nicht hinnehmen, erklärt die Richterin. „Ich bin gut eingespannt!“, erwidert er, und versichert, er strebe eine Vollzeitstelle im elterlichen Betrieb an. Im Übrigen habe er zwischendurch auch bei einer „Sicherheitsfirma“ in Hüfingen gejobbt, berichtet der Mann. Wie er ohne Führerschein nach Hüfingen und zu den diversen Einsatzorten gekommen ist, fragt niemand.

„Ich will die Fahrschule übernehmen!“

Als Richterin Philipp schließlich nach der „Lebensperspektive“ fragt, wird der 43–Jährige, der ansonsten so vieles im Ungefähren lässt, plötzlich ganz klar: „Ich will die Fahrschule übernehmen!“ Und er lässt sich auch von der Nachfrage nicht beirren, wie das gehen soll ohne Führerschein und bei all den hohen Hürden wie eine MPU (Medizinisch–psychologische Untersuchung). Er wolle auch die Fahrlehrerprüfung nachholen, kündigt er an und notfalls könne er einen Fahrlehrer–Leiter anstellen.

Doch zunächst geht es hier vor Gericht darum, ob er weitere 20 Monate ins Gefängnis muss oder nicht. Die Berufungskammer will am 27. Februar versuchen, Antworten zu finden auf die vielen offenen Fragen, die Ungereimtheiten und die Widersprüche.