Schmerzhafter Personalabbau
Automobilzulieferer Marquardt baut mehr Stellen ab als angekündigt
Rietheim-Weilheim / Lesedauer: 5 min

Matthias Jansen
Die Firma Marquardt will bis Ende des Jahres 87 Mitarbeiter loswerden. Das sind deutlich mehr als zunächst angekündigt. Die Gründe für den Personalabbau in den Werken in Rietheim und Böttingen sind zum einen der anhaltende Auftragsrückgang.
Zum anderen verlagert der Mechatronik-Spezialist die Produktion eines Autoschlüssels ins Ausland. Kurios: Von Betriebsrat und Gewerkschaft gibt es für die Unternehmensführung auch lobende Worte.
Auslastung in der Produktion geht zunehmend runter
Dass sich die Marquardt-Gruppe von Mitarbeitern in diesem Jahr trennen würde, stand schon länger fest. Im November 2022 hatte das Unternehmen von bis zu 40 Mitarbeitern gesprochen, die in der Produktion nicht weiter beschäftigt werden sollen.
Es gebe, so erklärte Unternehmenssprecher Ulrich Schumacher, bei den Kunden zwar einen hohen Bedarf nach den Marquardt-Produkten. Diese würden aber nicht abgerufen.
Antonio Piovano, BetriebsratsvorsitzenderDie Mitarbeiter konnten zu den Unternehmen gehen und sich erkundigen. Das kam bei den Kollegen gut an.
„Mit Blick auf die Auslastung in den Werken Rietheim und Böttingen müssen wir von einem reduzierten Kundenbedarf ausgehen.“ Dabei handele es sich nicht um einen vorübergehenden Nachfragerückgang. „Unsere mittel- und langfristigen Vertriebsprognosen zeigen, dass die Stückzahlen an den beiden Standorten von 2023 an insgesamt zurückgehen werden“, hatte Schumacher damals erklärt.
Abbau von Überstunden oder Kurzarbeit konnten Kündigungen nicht verhindern
Antonio Piovano, Betriebsratsvorsitzender bei Marquardt, „tut der Personalabbau weh“. Über den Abbau von Überstunden, Schließtagen und Kurzarbeit habe man versucht, die Entscheidung so lange wie möglich hinauszuziehen.
Damit habe man aber „nur einen kurzfristigen Effekt bei bestehenden Überkapazitäten in der Personalstruktur bewirkt“, erklärt Schumacher. Letztlich hat Piovano durchaus Verständnis für den Abbau – wenigstens aufgrund der wirtschaftlichen Situation an den Standorten im Landkreis.
Teile der Fertigung werden ins Ausland verlagert
Kritische Worte findet er für die Entscheidung, den Schlüssel für einen Mercedes in Rumänien produzieren zu lassen. „Es ist richtig, dass sich die Marquardt-Gruppe weltweit gut aufstellt. Trotzdem finde ich die Entscheidung sehr schade.“
Klaus-Peter Manz, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Albstadt, geht sogar davon aus, dass der Standort in Rietheim zwar erhalten bleibe, es dort aber irgendwann keine Produktion mehr gebe.
Immerhin: Für die Mitarbeiter, die Marquardt verlassen sollen, scheinen Gewerkschaft und Betriebsrat mit der Firma eine gute Lösung ausgehandelt zu haben. „Das ist schon fair“, meint Piovano.
Und auch Manz stellt klar: „Der Sozialplan ist in Ordnung.“ Der Personalabbau richtet sich dabei an zwei Gruppen von Mitarbeitern. Zum einen jene, die das Unternehmen „freiwillig“ verlassen. Zum anderen die, die älter als 63 sind und kurz vor dem Renteneintritt stehen.
Mitarbeiter werden freigestellt und dürfen woanders arbeiten
Alle, die ihren Arbeitsvertrag mit Marquardt auflösen, bekommen eine Abfindung mit dem Faktor 0,7 – das bedeutet 70 Prozent eines Bruttomonatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr. Manz hätte sich zwar den Faktor zwei oder drei gewünscht. Dies sei aber in der wirtschaftlichen Lage nicht realistisch.
Das Besondere an der Lösung ist: Wer das Angebot annimmt, wird ab Februar mit Bezügen freigestellt. In der Zeit könnte der Beschäftigte bereits eine neue Stelle annehmen. „Sie hätten einen Job, würden verdienen und hätten die Abfindung“, sagt Manz. „Es ist ihnen nicht verboten, zu arbeiten.“ Dies sei aufgrund des Mangels an Arbeitnehmern in der Region eine gute Lösung.
Firma gleicht Rentenanspruch jahrelang aus
Wer 63 Jahre oder älter ist, kann bei dem Jobabbau früher in Rente gehen und hat zunächst einmal keine Einbußen. Denn, so Piovano, die Marquardt-Gruppe stockt das Arbeitslosengeld bis zum bisherigen Lohn auf. Zudem wird es auch bei der Rente keine Einbußen geben.
Bis zum Erreichen des jeweiligen Durchschnittsalters werde der Rietheimer Mechatronikspezialisten die nicht eingezahlten Beiträge bei der Rentenversicherung ausgleichen. Piovano hofft, dass mehr Mitarbeiter den vorzeitigen Renteneintritt annehmen. „Ansonsten müssen mehr Mitarbeiter freiwillig gehen“, sagt Piovano. Man sei aber bestrebt, eher die jüngeren Kollegen in der Firma zu halten.
Tuttlinger Unternehmen werben bei Jobmesse um Marquardt-Mitarbeiter
Wer das Angebot annimmt, künftig nicht mehr für Marquardt in Böttingen und Rietheim zu arbeiten, ist noch nicht klar. Bis Ende nächster Woche laufen die Gespräche noch, meint der Betriebsratschef.
Man habe sich aber bemüht, für die Mitarbeiter eine Lösung zu finden. In dieser Woche gab es eine „Jobmesse“ bei Marquardt, an der die Tuttlinger Unternehmen Henke-Sass, Wolf, Binder und Karl Storz sowie ETO Magnetic aus Stockach teilgenommen haben.
„Die Mitarbeiter konnten zu den Unternehmen gehen und sich erkundigen. Das kam bei den Kollegen gut an. Es freut mich besonders, dass jetzt auch ungelernte Monteure gesucht werden“, sagt Piovano.
Neue Arbeitskräfte sucht auch die Firma Marquardt. Allein am Standort in Rietheim gibt es mehr als 200 unbesetzte Stellen. Diese sollen aber nicht in der Produktion besetzt werden.
Man wolle, so erklärte es Schumacher, am Stammsitz in die Zukunft investieren und sucht Ingenieure in der Entwicklung und angrenzenden Bereichen. Im Landkreis Tuttlingen sind 2000 Personen bei Marquardt beschäftigt, davon 350 in der Produktion, teilt das Unternehmen mit.