Sensibles Thema
Pfarrer: „Von einem Recht auf Abtreibung zu sprechen, geht gar nicht“
Sigmaringen / Lesedauer: 5 min

Yannick Rehfuss
Inwiefern sollten Abtreibungen legal sein? Um diese Frage entbrennen immer wieder Debatten. Kürzlich sorgte die Evangelische Kirche mit einer Stellungnahme für Aufsehen: Bis zur 22. Woche sollten Schwangerschaftsabbrüche straffrei möglich sein. Die württembergische Landeskirche ging daraufhin auf Distanz. Doch wie sehen das die evangelische Pfarrerin Dorothee Sauer und der katholische Pfarrer Ekkehard Baumgartner aus Sigmaringen? Mit Yannick Rehfuss sprechen sie über den rechtlichen Rahmen, die Rolle der Kirche und persönliche Erfahrungen.
Frau Sauer, Herr Baumgartner, sind Sie grundsätzlich für oder gegen die Möglichkeit, Abtreibungen durchzuführen?
Dorothee Sauer: Ich bin auf jeden Fall dafür, dass es in besonderen Härtefällen und Lebenssituationen die Möglichkeit gibt, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Bei dem Thema geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und den Schutz des ungeborenen Lebens. Das ist die Spannung, in der die ganze Sache steht.
Ekkehard Baumgartner: Die gesetzliche Regelung von 1995 war ein schmerzhafter Kompromiss, aber sie hat sich bewährt. Die Zahl der Abtreibungen hat von 2011 bis 2022 deutlich abgenommen. Das zeigt ja, dass sich die Regelung bewährt hat. Sie schützt beides, den Schutz des ungeborenen Lebens und das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Das ist ein guter Kompromiss, den man meiner Meinung nach nicht infrage stellen sollte.
Das ist der gesetzliche Rahmen zu Abtreibungen
Schwangerschaftsabbrüche sind grundsätzlich eine Straftat. Seit einer Reform des Gesetzes im Jahr 1995 sind Ausnahmen aber möglich. Der Paragraf 218a sieht so unter anderem Straffreiheit für die abtreibende Frau vor, wenn bei ihr eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt oder seit der Befruchtung nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind und eine Beratung, die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung, stattgefunden hat. Im letzten Jahr wurde zudem der Paragraf 219a angepasst. Seitdem dürfen Ärzte auch darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Im Landkreis Sigmaringen macht davon aber niemand Gebrauch.
Der Expertenrat der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) äußerte kürzlich den Vorstoß, Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche außerhalb des Strafgesetzbuchs zu behandeln. Was halten Sie davon?
Sauer: Ich kann dem nicht viel abgewinnen. Ich konnte auch nicht herausfinden, woher die Setzung mit der 22. Woche kommt. Das hat sich mir nicht erschlossen.
Baumgartner: Ich verstehe gar nicht das Anliegen, das Gesetz, das sich so bewährt hat, infrage zu stellen. Dafür steht die Kirche einfach nicht.
Wie sieht denn die Rolle der Kirche in diesem Fall dann aus?
Baumgartner: Wir haben evangelische, katholische Beratungsstellen, die den Frauen und angehörigen Männern zur Verfügung stehen. Es gibt auch die gesetzliche Verpflichtung dazu. Gott sei Dank gibt es auch auf katholischer Seite Donum Vitae (Beratungsstelle in Sigmaringen, Anm. d. Red.), die eine wunderbare Arbeit machen.
Sauer: Die Beratung ist das eine, das andere, eine ethische Orientierung aus christlicher Perspektive bei einer solchen schwerwiegenden Frage zu geben. Man darf nicht unterschätzen, was einen im späteren Leben einholen kann. Am Ende trifft die Frau die Entscheidung und muss damit leben.
Haben Sie beide Erfahrungen mit dem Thema Abtreibungen gemacht?
Sauer: Ich habe eine Ausbildung zur tiefenpsychologischen Beraterin gemacht. In dieser Ausbildung habe ich zehn Hospitationen bei Schwangerschaftskonfliktberatungen gemacht. Dabei habe ich erlebt, dass keine der Frauen sich die Entscheidung leicht gemacht hat.
Baumgartner: In verschiedenen Situationen: So hat mir eine Frau erzählt, wie sie nach einer Beratung zur Entscheidung kam, ihr Kind zur Welt zu bringen und wie glücklich sie heute mit ihrem Kind ist. Bei einer Taufe berichteten mir die Eltern, dass pränatale Untersuchungen ergaben, dass das Kind schwer behindert und vermutlich nicht lebensfähig sein werde. Nach einer schweren Zeit haben sie sich entschieden, das Kind zur Welt zu bringen. Daraufhin hat der Arzt ihnen Vorwürfe gemacht. Und wissen Sie was? Das Kind kam völlig gesund zur Welt. Der Arzt hatte sich geirrt.
Was halten Sie von der Streichung des Werbeverbots, das in Paragraf 219a verankert war, wodurch Ärzte nun auch darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen?
Baumgartner: Ein Problem wäre es, wenn diese Abschaffung zum Türöffner wird, den eigentlichen Paragrafen abzuschaffen oder zu ändern. Es treffen ja zwei Umbrüche aufeinander: In den USA werden in manchen Bundesstaaten Abtreibungen verboten. Das finde ich ganz schwierig.
Aber ich finde die andere Seite auch schwierig. Ich halte es für ein dramatisches Missverständnis, wenn sich Leute hinstellen und sagen: Ich habe ein Recht auf Abtreibung. Ich habe niemals das Recht, Leben zu töten. Wenn das selbst hochrangige Bundespolitiker formulieren, graut es mir. Von einem Recht auf Abtreibung zu sprechen, geht in meinen Augen gar nicht.
Sauer: Bei uns in Deutschland gibt es bei der Debatte um den Lebensanfang und das Lebensende durch das Dritte Reich und die Euthanasie eine besondere Sensibilität. Das muss hochgehalten werden.
Die zwölfte Schwangerschaftswoche ist eine gesetzliche Setzung, der sie viel abgewinnen können. Aus christlicher Überzeugung beginnt das gottgegebene Leben aber wesentlich früher. Wie bringen Sie beide Positionen in Einklang?
Baumgartner: Das Gesetz ist ein schmerzhafter Kompromiss. In einer Gesellschaft muss man aber fähig zu Kompromissen sein.
Sauer: Es ist eine Setzung, die aus medizinischen Gründen sehr plausibel erscheint. Es gibt aber auch einen anderen theologischen Zusammenhang. Wir sind endlich, wir sind nicht vollkommen, wir sind auch nicht Gott. Daraus folgt, dass wir auf dieser Welt schuldig werden. Ich werde entweder schuldig an der Frau oder an dem ungeborenen Leben. Das muss man begreifen und auch hinnehmen. Daher kann ich mit dieser Setzung leben.