Landeserstaufnahmestelle
LEA am Limit: Fast doppelt so viele Asylbewerber in Sigmaringer LEA wie regulär vorgesehen
Sigmaringen / Lesedauer: 5 min

In der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (Lea) in Sigmaringen leben derzeit fast doppelt so viele Menschen wie im Normalfall vorgesehen. Ukrainische Frauen oder Familien sind aber nicht darunter – dafür viele junge Männer aus Syrien und der Türkei. In der Stadt ist der Unmut groß.
Bis vor einigen Wochen sei eigentlich alles in Ordnung gewesen, sagt Bürgermeister Marcus Ehm (CDU) am Mittwoch im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Lea, 2015 in der ehemaligen Graf-Stauffenberg-Kaserne eingerichtet, sei nach einer ruhigeren Phase zwar wieder stark beansprucht gewesen. Die für den Regelbetrieb vorgesehene Belegung von höchstens 875 Menschen sei zwar schon einige Zeit überschritten worden.
Nach dem Vertrag, den die Stadt und das Land Baden-Württemberg 2017 abgeschlossen haben, ist das bei „besonderen Fluchtsituationen“ auch möglich. Von bis zu 1650 Flüchtlingen in der Lea hatte das Justizministerium gesprochen. Ehm hatte darauf gedrungen, dass es sich bei den zusätzlichen Menschen nur um Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine handeln dürfe.
Probleme ab Ende September
Ende September kam dann die problematische Nachricht aus Stuttgart : Jetzt war von einer Maximalzahl von 2100 Menschen die Rede. Und es kommen keine ukrainischen Flüchtlinge mehr, bei denen es sich vor allem um Frauen und Familien handelt. Sondern alle anderen, die sogenannten Regelflüchtlinge. „Jetzt reichts“, sagt Ehm.
Das können wir nicht mehr mittragen.
Rechtlich gesehen hat die Stadt wenig Einfluss: Die Erstunterbringung ist Sache des Landes, es muss der Stadt die neuen Rahmenbediungungen nur zur Kenntnis geben. Anders sieht es in Meßstetten (Zollern-Alb-Kreis) aus.
Dort hatte die Stadt der Wiedereröffnung der eigentlich schon geschlossenen Erstaufnahme nur zugestimmt unter der Bedingung, dass nur Ukrainerinnen kommen. Im Umkehrschluss heißt das: Alle anderen werden im Bereich des Regierungspräsidiums Tübingen nach Sigmaringen geschickt.
1300 Männer, 200 Frauen
Das sind derzeit vor allem Syrer. Von den 1816 Menschen, die am Mittwoch in der Lea Sigmaringen untergebracht waren, kamen 40 Prozent aus dem arabischen Bürgerkriegsland. 25 Prozent waren türkische Staatsbürger, die nächstgrößten Gruppen waren Afghanen (elf Prozent), Georgier (vier Prozent) und Iraker (drei Prozent). Und nach Geschlechtern aufgegliedert: 1308 Männer, 201 Frauen, 307 Kinder – davon 177 Jungen und 130 Mädchen.
Junge syrische und afghanische Männer statt Mütter und Kinder aus der Ukraine: In der Stadt löse das ein Gefühl der Unsicherheit aus, sagt Bürgermeister Ehm. Ebenso sieht es der örtliche Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß ( CDU ), der sich deswegen in einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Landesjustizministerin Marion Gentges (CDU) gewandt hat.
Polizei im Großeinsatz
Bareiß erinnert an den jüngsten Großeinsatz der Polizei in der Lea, als vergangene Woche 100 Menschen aneinandergeraten waren. Und er verweist darauf, dass sich Studentinnen der Hochschule Albstadt-Sigmaringen abends nicht mehr allein in die Stadt trauen würden. „Besonders bedrohlich wird empfunden, dass die Lea-Bewohner stets als größere Gruppe von in der Regel jüngeren Männern auftreten“, heißt es in dem Brief, der der „ Schwäbischen Zeitung “ vorliegt. Und:
Der Ton wird rauer – und das in einer Stadt, die um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das bürgerschaftliche Engagement sehr bemüht ist.
Ehm und Bareiß dringen darauf, die Höchstbelegungszahl der Lea stark zu reduzieren; Ehm spricht von einer Zahl von 900 bis 1000 Menschen, die Sigmaringen verkrafte. Er fordert zudem, dass das Land mehr als eine Erstaufnahmestelle für jeden der vier Regierungsbezirke vorhalten müsse.
Land hält Lea für unverzichtbar
Die Stuttgarter Landesregierung macht wenig Hoffnung auf schnelle Besserung. Man sei sich der „gewaltigen Belastung“ der Kommunen bewusst, sagt eine Sprecherin von Ministerpräsident Kretschmann auf Anfrage. Man müsse aber davon ausgehen, dass der Krieg in der Ukraine andauere und Land, Kreise und Gemeinden die Kapazitäten weiter ausbauen müssten.
„Die Lea Sigmaringen ist ein unverzichtbarer Baustein, um die Aufgabenerfüllung der Landeserstaufnahme nicht zu gefährden“, so die Sprecherin weiter. „Das Justizministerium ist deshalb mit der Stadt Sigmaringen in einem engen und vertrauensvollen Austausch, wie der Standort Sigmaringen weiter genutzt werden kann.“
Ein zweiter Streetworker
Das Landesjustizministerium versichert, man tue alles, um die Belastungen so gering wie möglich zu halten. „Beispielsweise wurde das Personal der Dienstleister in der Einrichtung erhöht, die Sozial- und Verfahrensberatung aufgestockt und eine zweite Stelle im Bereich des Streetwork geschaffen“, erläutert eine Sprecherin von Justizministerin Gentges. „Außerdem wird über Verhaltensregeln verstärkt aufgeklärt und gemeinnützige Arbeiten werden auch im Stadtgebiet intensiviert.“
Das Polizeipräsidium Ravensburg passe seine Maßnahmen „jeweils lage- und zielorientiert auf die örtliche Entwicklung an.“ Gentges’ Sprecherin forderte zudem den Bund auf, keine zusätzlichen Anreize für eine Migration nach Deutschland zu schaffen.
Schon 2018 gab es Probleme
Es ist nicht das erste Mal, dass eine hohe Auslastung der Lea Unmut in der Bevölkerung auslöst. Anfang 2018 häuften sich Klagen über betrunkene und pöbelnde Asylbewerber, als Brennpunkte galten der Bahnhof mit dem benachbarten Prinzengarten.
Zuletzt war es ruhiger geworden, auch weil die Belegung nicht so hoch war – eine Folge niedrigerer Asylbewerber-Zahlen während der Corona-Pandemie. Mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen nehmen nun aber offenbar auch die Probleme wieder zu.