Judentum
Für einen frischen Blick aufs Judentum
Sigmaringen / Lesedauer: 3 min

Schwäbische.de
Wie gestaltet sich das jüdische Leben in Baden-Württemberg und was können Parteien, was kann jeder Einzelne gegen Antisemitismus tun? Diese Themen haben die virtuelle Gesprächsrunde, beschäftigt, zu welcher der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen Sigmaringen eingeladen hatte. Professorin Barbara Traub , Vorstandssprecherin der israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) und Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Rami Suliman, Vorsitzender der israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, sowie der Religionswissenschaftler Michael Blume, Referatsleiter für nichtchristliche Religionen im Staatsministerium Baden-Württemberg sowie Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus, stellten sich den Fragen von Religionswissenschaftler Johannes Kretschmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Sigmaringer Kreistag. Mehr als 30 Interessierte verfolgten den angeregten Austausch.
Als Barbara Traub 1992 nach Deutschland kam, wo ihr Mann eine Professur erhalten hatte, habe man ihr zur Begrüßung das Buch „Die jüdischen Friedhöfe in Württemberg “ geschenkt. „Damals habe ich mir überlegt, wenn Friedhöfe das sind, was die Menschen mit dem Judentum in Verbindung bringen, muss man etwas ändern“, erzählte sie schmunzelnd, traf damit aber einen zentralen Kern im Umgang mit dem Judentum in Deutschland. In der Gesprächsrunde kristallisierte sich heraus, dass das jüdische Leben in der Gesellschaft wenig wahrgenommen werde, es sei denn an Holocaust-Gedenktagen. Doch die Erinnerung an eine jüdische Gemeinde sollte nicht allein an die Vergangenheit geknüpft sein. Gedenktage seien wichtig, bestätigten alle Gesprächspartner, doch der Fokus müsse in die Zukunft gerichtet sein, um gegenseitiges Verständnis aufzubauen.
Der Vorsitzende der israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, Rami Suliman, ging unter anderem auf die Zersplitterung der jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg ein. Diese sei durch das bundesweite Flüchtlingsaufnahmegesetz entstanden, das die jüdischen Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion auf die verschiedensten deutschen Gemeinden aufgeteilt habe. „Jüdische Migranten wurden dorthin verstreut, wo es keine jüdische Infrastruktur gab.“ Doch die Gemeinden hätten sich zusammengefunden und trotz der Schwierigkeit positiv entfaltet.
„Wir dürfen nicht übersehen, dass es ein lebendiges jüdisches Leben bei uns gibt“, betonte Michael Blume. Es sei an der Zeit, nicht immer nur über Antisemitismus zu sprechen oder etwa Mitleid mit Juden zu empfinden, sondern positive Erzählungen in den Vordergrund zu stellen. Statt Mitleid zu bekunden, solle man den jüdischen Mitbürgern Respekt entgegenbringen. „Zu einer Erinnerungskultur sage ich Ja“, ergänzte Michael Blume, doch er wünsche sich eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Judentum.
„Was machen wir gegen Antisemitismus“, wollte Johannes Kretschmann im Hinblick auf eine grüne Politik wissen. Barbara Traub verwies auf die emotionale Bildung, die resultiere, wenn es zu Begegnungen käme. Wenn über das Judentum geredet werde, sollte es nicht nur um Sicherheit gehen, sondern um den Austausch und ein lebendiges Miteinander. Nur dadurch könnten Vorurteile abgebaut werden, waren sich alle einig. Mit der Einrichtung einer jüdischen Akademie könnte sich das Judentum positiv in der gegenwärtigen Gesellschaft platzieren.
Darüber hinaus dürften antisemitische Parolen und Handlungen nicht ignoriert werden. Der Staat müsse hier klare Grenzen setzen, unterstrich auch Michael Blume. „Jeder muss für das Verantwortung übernehmen, was er glaubt.“ Immer nur Verständnis für Intoleranz aufzubringen sei der falsche Weg. Vielleicht müsse jeder lernen, dass er seine Identität wahren könne, auch wenn wir uns an veränderte Umstände anpassen.