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Post-Vac-Syndrom: Wenn die Impfung krank macht

Bingen / Lesedauer: 6 min

Hannah Stoll leidet seit der Corona-Impfung unter starken Schmerzen und wartet bis heute auf eine Diagnose
Veröffentlicht:12.11.2022, 05:00

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Extreme Müdigkeit, Nervenschmerzen, teils neurologische Ausfälle: Es gibt Menschen, die nach einer Corona-Impfung an denselben Symptomen wie bei Post-Covid leiden. Solche Nebenwirkungen sind nach einer Impfung zwar seltener, aber Betroffene fühlen sich aus ihrem bisherigen Leben gerissen . Eine von ihnen ist Hannah Stoll aus Bingen. Die 24-Jährige will der noch immer nicht anerkannten Krankheit ein Gesicht geben.

Nicht ernst genommen

Weder als Corona-Leugnerin, noch als Impfgegnerin bezeichnet Hannah Stoll sich. Aber fühlt sich vor allem eins: Im Stich gelassen . „Ich habe die Pandemie immer ernst genommen. Ich war auch stets bereit, mich und andere zu schützen. Warum werde ich dann jetzt nicht ernst genommen?“, fragt die 24-Jährige.

Im Dezember 2020 erkrankte die junge Frau an Covid19. „Symptome hatte ich nicht. Gemerkt habe ich es nur an dem fehlenden Geruchs- und Geschmackssinn“, erinnert sich Hannah Stoll. Rund ein halbes Jahr später ließ sie sich das erste Mal mit Biontech gegen das Coronavirus impfen.

Nach drei Tagen traten plötzlich Schmerzen im rechten Knie auf, das Gelenk schwoll an, die 24-Jährige fing an zu hinken. „Da ich intensiven Laufsport betrieben habe, schoben alle Ärzte es auf eine Überlastung. Ich habe aber schon gespürt, dass in meinem Körper irgendetwas nicht stimmte.“ Ihrer Leidenschaft, dem Sport, kann die Bingerin schon lange nicht mehr nachkommen.

Immer neue Beschwerden

Dennoch ließ sie sich ein zweites Mal mit Biontech impfen. „Die Impfung war für mich trotzdem noch selbstverständlich. Ich bin überhaupt keine Corona-Leugnerin .“ Wenige Tage später setzten die ersten Beschwerden ein, kamen ständig neue hinzu: Krämpfe in Ellbogen, starke Glieder- und Muskelschmerzen, Ohrenweh, Übelkeit, pure Erschöpfung .

Es nahm einfach kein Ende und kein Arzt hat mich damals wahrgenommen.

Hannah Stoll

Im September entzündeten sich Finger und schwollen stark an. Hinzu kamen unter anderem noch Verdauungsprobleme, Unterleibsschmerzen, eine Pilzinfektion. „Es nahm einfach kein Ende und kein Arzt hat mich damals wahrgenommen“, sagt Hannah Stoll.

Keine Diagnose

Mit den diffusen Symptomen begann für die 24-Jährige eine Odyssee, die bis heute anhält. Diverse Fachärzte konnten zwar Krankheiten wie Rheuma, Multiple Sklerose und Lupus nach ersten Erkenntnissen ausschließen. Weder Schulmedizin noch alternative Ansätze halfen weiter. Der Ordner mit ihren medizinischen Befunden wurde immer umfangreicher.

Aber mit einer stichhaltigen Diagnose, Erklärung für die Beschwerden oder gar Behandlung konnte niemand helfen. „Was mich mit der Zeit immer mehr belastet hat, ist, dass ich von vielen als Spinnerin abgestempelt wurde. Ein Teil der Kollegen, Freunde und sogar Verwandte haben mich nicht ernst genommen“, schildert die 24-Jährige. Auch unter Medizinern stieß sie immer wieder auf skeptische Reaktionen .

Mögliche Ursache gefunden

Erst im Mai 2022 brachte ein Arzt einen konkreten Zusammenhang mit der Impfung und den Post-Covid-Symptomen ins Spiel – fast ein Jahr nach den ersten Beschwerden. Dr. Jörg-Heiner Möller, Chefarzt der Klinik am Städtedreieck in Burglengenfeld, ist eigentlich Kardiologe. Seine Lebensgefährtin war ebenfalls an Corona erkrankt, hatte aber einen milden Verlauf. Erst nach der Impfung traten bei ihr Beschwerden auf, die typisch waren für Post-Covid .

Bei der Blutwäsche werden sogenannte Autoantikörper aus Hannah Stolls Körper entfernt. (Foto: privat/Schwäbische.de)

So begann der 64-Jährige, sich intensiver mit der Thematik zu befassen. „Für mich steht mittlerweile fest: Post-Covid und Post-Vac, also die Erkrankung nach der Impfung, sind das Gleiche. Beides ist eine Autoimmunerkrankung , bei welcher im Körper nicht nur gegen ein Virus gekämpft wird, sondern auch gegen eigenes Gewebe“, sagt Möller.

Neben seiner eigentlichen Arbeit hatte er angefangen, das Blut von Betroffenen nach sogenannten Autoantikörpern zu untersuchen. Von rund 150 Patienten hatten fast alle bestimmte Autoantikörper, nur bei zwei waren sie nicht nachzuweisen. Diese Autoantikörper sieht Möller als Ursache etwa für die chronischen Entzündungsreaktionen, wie sie auch bei Hannah Stoll aufgetreten sind.

Kosten selber tragen

Als Behandlung riet Möller zur Apherese, eine Art Blutwäsche , bei der bestimmte Bestandteile wie die Autoantikörper aus dem Blut entfernt werden. „Vielen Betroffenen hat das Linderung verschafft“, sagt Möller. Er selber könne die Behandlung in seinem Krankenhaus nicht anbieten, aber Betroffene an entsprechende Kliniken verweisen.

Auch Hannah Stoll hat die Blutwäsche ausprobiert. Die Kosten – mehrere Tausend Euro pro Sitzung – musste die Familie selber tragen. Die Krankenkassen übernehmen sie nicht, weil es in dem Zusammenhang bisher keine wissenschaftliche Evidenz für ihre Wirksamkeit gibt. Eine Heilung ihrer Symptome erlebt auch die Bingerin nicht. „Aber es hat meine Symptome zumindest mal nicht verschlechtert und wenigstens habe ich mich als Patientin endlich mal verstanden gefühlt.“

Hämische Bemerkungen

Ihre Arzt-Odyssee geht derweil weiter. Anstatt Zukunftspläne zu schmieden, vernetzt die 24-Jährige sich mit anderen Betroffenen, tauscht sich zu Befunden und Behandlungen aus. Demnächst steht ein Termin bei einem Kinderrheumatologen an, der spezielle Untersuchungen machen kann. Auch erwägt sie, bereits ausgeschlossene Diagnosen nochmals zu prüfen, möglichen Viren und Bakterien im Körper genauer auf den Grund zu gehen. Denn auch versteckte Vorerkrankungen stehen im Verdacht, das Post-Vac-Syndrom mit ausgelöst zu haben.

Seit mehr als 15 Monaten kämpft die 24-Jährige mittlerweile gegen die Schmerzen und für Verständnis. Dass sie immer noch hämische Bemerkungen einstecken muss, wenn sie von ihren Beschwerden als Post-Vac-Syndrom berichtet, ärgert sie sehr. Auch wenn die Symptome von Post-Covid und Post-Vac sich derart ähneln, die Akzeptanz als eine Folge der Impfung wie in ihrem Fall sei selten vorhanden.

Beschwerden nicht kleinreden

Für Chefarzt Möller liegt eine Erklärung der fehlenden Akzeptanz darin, dass das gesamte Krankheitsbild noch sehr jung ist. „Wir stehen am Anfang, aber die Patienten sind schon da. Wir dürfen sie also nicht im Regen stehen lassen, nur weil noch eine anerkannte Definition fehlt“, sagt Möller. Er fordert, dass die Impfnebenwirkungen realistisch eingeordnet und erfasst werden. Ärzte dürften das nicht als Tabu sehen.

Laut des Paul-Ehrlich-Instituts gibt es 0,2 Meldungen pro 1000 Impfdosen mit Verdacht auf schwerwiegende Reaktionen. „Wenn ich meine Daten betrachte, gehe ich von deutlich mehr aus. Es wird nicht nur dauern, bis wir klare Leitlinien für Diagnose und Behandlung haben. Sondern auch, bis geklärt ist, dass die Kosten zu tragen sind. Wer Impfung per Gesetz verordnet, muss sich auch über sämtliche Nebenwirkungen und Folgen im Klaren sein“, sagt Möller. Die Impfung als Notmaßnahme in der Pandemie ziehe er keineswegs in Zweifel, aber es sei keine Lösung, die Beschwerden der Betroffenen nun mit psychosomatischen Diagnosen kleinzureden.

Ich will die Ursache wissen und dass es endlich vorbei ist.

Hannah Stoll

Im Sommer hat auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach eingeräumt, dass in seltenen Fällen nach der Impfung Nebenwirkungen vorkommen können. Kein Trost für Hannah Stoll, ihre Ärzte und ihr Netzwerk. „Irgendetwas geht schließlich in meinem Körper vor. Ich will die Ursache wissen und dass es endlich vorbei ist. Ich möchte mein Leben zurück und mit 24 nicht immer nur an Arztbesuche denken“, sagt Hannah Stoll.