StartseiteRegionalRegion SigmaringenBad SaulgauZahl der Apotheken erreicht neuen Tiefstand

Berufsgruppe bangt um Existenz

Zahl der Apotheken erreicht neuen Tiefstand

Bad Saulgau / Lesedauer: 4 min

Die Berufsgruppe geht in Stuttgart gemeinsam auf die Straße, dabei sind die Kritikpunkte nicht neu. Welche Apotheken trotzdem geöffnet haben. 
Veröffentlicht:21.11.2023, 05:00

Von:
  • Dirk Thannheimer
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Tausende Apotheken aus Baden-Württemberg und Bayern bleiben am Mittwoch, 22. November geschlossen. Hintergrund ist eine große Protestaktion auf dem Stuttgarter Schlossplatz.

Auch viele Apotheker aus dem Landkreis Sigmaringen gehen auf die Straße, weil sie um ihre Existenz bangen. Sie fordern unter anderem weniger Bürokratie und mehr Honorar, um bei gleichzeitig steigenden Kosten wirtschaftlich überleben zu können. Die Versorgung der Patienten wird am Mittwoch durch die Notdienstapotheken gesichert.

Veranstaltung beginnt um 12.05 Uhr

Um 12.05 beginnt die Kundgebung in Stuttgart. Die Uhrzeit wurde bewusst gewählt. „Es ist schon längst nicht mehr fünf vor zwölf, sondern fünf nach“, sagt Martin Buck, Inhaber der Vital-Apotheke in Bad Saulgau.

Das Vorstandsmitglied des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg hatte am vergangenen Freitag zu einem Pressegespräch eingeladen, an dem seine drei Kollegen aus Bad Saulgau und Simone Lutz von der Marienapotheke in Mengen sowie die amtierende Bürgermeisterin Doris Schröter und ihr Nachfolger Raphael Osmakowski-Miller teilnahmen.

Erschreckende Zahlen

Martin Buck präsentierte dabei anhand von bundesweiten Zahlen, warum die Apotheker mit dem Rücken zur Wand stehen. Noch nie war die Situation für diese Berufsgruppe so bedrohlich wie aktuell.

Bis zum Jahresende werden voraussichtlich 600 Apotheken weniger für die Versorgung der Menschen in Deutschland zur Verfügung stehen.

Martin Buck

Alleine das Lieferengpassmanagement verursacht Kosten von jährlich 425 Millionen Euro. Die Gesamtkosten einer durchschnittlichen Apotheke haben sich in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 200.000 Euro erhöht (plus 59 Prozent).

Entlassungen sind geplant

Die Folge: „Bis zum Jahresende werden voraussichtlich 600 Apotheken weniger für die Versorgung der Menschen in Deutschland zur Verfügung stehen“, so Buck.

Schon 2022 mussten bundesweit 400 Apotheken schließen. Jede weitere dritte Apotheke ist bereits gefährdet, weshalb fast 17 Prozent der deutschen Apotheken Entlassungen planen würden, wenn die Politik nicht handelt.

Zwangsrabatt wird erhöht

Während demnach die Kosten steigen, wurde das Honorar, das die Apotheker bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erhalten, nicht mehr erhöht. Es beträgt seit Jahren 8,35 Euro. Die Apotheker fordern zwölf Euro. Und statt Erleichterungen wurde sogar der Zwangsrabatt von 1,77 auf zwei Euro erhöht.

Auch die Bilharz-Apotheke in Sigmaringen sowie die Hohenzollern-Apotheke in Krauchenwies beteiligen sich am Protest und bleiben am Mittwoch geschlossen. Geöffnet sein werden hingegen die Leopold-Apotheke, die Herz-Apotheke und die Apotheke im Hanfertal. Das hat unterschiedliche Gründe.

Fernbleiben von Protest aus verschiedenen Gründen 

Der Laden könne nicht immer geschlossen haben, sagt Chrysanthos Kapralos, Leiter der Leopold-Apotheke. Die Herz-Apotheke sei vertraglich an das Kaufland gebunden und könne nicht einfach so schließen. Auch Bernfried Meschenmoser, kaufmännischer Leiter der Apotheke im Hanfertal, schließt die Türen am Protesttag nicht.

Er wolle „die treue Kundschaft nicht vergrätzen“ und auch die Belieferung von Pflegeheimen nicht außer Acht lassen. Letztere seien auf ausreichend Arzneimittel angewiesen. „Diese Menschen können wir nicht einfach im Regen stehen lassen“, so Meschenmoser, „wir unterstützen die Ziele aber voll und ganz.“ Als Alternative zum Streik seien Gespräche mit Kunden geplant, die über die Probleme innerhalb der Branche aufklären sollen.

Ursula Maisenbacher hätte gerne mit ihrer Neuen Apotheke am Schloss demonstriert. Diese muss aber aufgrund des Notdiensts geöffnet bleiben.

Nicht der erste Protest

Es ist nicht das erste Mal in diesem Jahr, dass die Apotheker ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Am 14. Juni waren die Apotheken erstmals ganztägig geschlossen. Bei der Hauptversammlung am 27. September in Düsseldorf stand der Tag der Antworten auf der Tagesordnung.

Antworten, die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erwartet wurden. „Doch die Politik rührt sich nicht von der Stelle“, so Bad Saulgauer Buck, der wie seine Kollegen weitere Probleme auf die Apotheken zukommen sieht, weil es der Branche auch an Nachwuchs fehlt.

Das Gegenteil ist der Fall

Stattdessen passiert mit den auf dem Tisch liegenden Plänen von Lauterbach genau das Gegenteil von dem, was die Apotheken brauchen, um ihre Zukunft sichern zu können.

Wenn in Mengen eine von zwei Apotheken schließt, kann eine Apotheke das gar nicht alleine schaffen.

Simone Lutz

Lauterbach äußerte öffentlich die Idee von „Schein-Apotheken“ ‐ ohne Apotheker, ohne Labor für Rezepturen und ohne Nacht- und Notdienst. „Er will keine vollversorgende Apotheken mehr“, ergänzt Buck, der befürchtet, dass das System kollabiere.

„Die Quittung bekommen wir noch“, so Oliver Fritzer, Inhaber der Antoniusapotheke. Lauterbach könnte sich also vorstellen, dass die Menschen bald ihr Medikament im Drogeriemarkt kaufen können.

Situation wird sich verschlechtern

Beim Protesttag in Stuttgart wird die Politik daher erneut dazu aufgefordert, rasch und angemessen zu handeln, bevor noch weitere Apotheken aufgeben müssen, wodurch sich die Versorgungssituation für die Patienten weiter verschlechtern würde.

„Wenn in Mengen eine von zwei Apotheken schließt, kann eine Apotheke das gar nicht alleine schaffen“, sagt Simone Lutz, die auch nach Stuttgart fahren wird. Sollte auch danach die Apotheken von der Politik nicht gehört werden, „müssen wir nochmal nachlegen“, so Martin Buck.