Brodelnde Gerüchteküche

Zuhälter, Agenten und Diebe: Welche Gerüchte über die LEA wahr sind

Ellwangen / Lesedauer: 6 min

Flüchtlinge auf Diebestour, Staatsspitzel, Ukrainerinnen in Zwangsprostitution. Derartige Geschichten über die Landeserstaufnahmeeinrichtung gibt es viele. Was ist da dran?
Veröffentlicht:18.09.2023, 05:00

Von:
  • Mark Masuch
Artikel teilen:

Chinesische Agenten, die Uiguren bespitzeln, diebische Flüchtlinge, die über Schrezheim herfallen, und Zuhälter, die ukrainische Frauen vor dem Eingangstor abfangen — um die Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (LEA) in Ellwangen ranken sich immer wieder teils seltsame Gerüchte. Die wenigsten stimmen, an manchen ist aber durchaus etwas dran.

Vor einiger Zeit hätten ein algerischer Mann und seine uigurische Ehefrau in der LEA um Schutz gebeten, berichtet Einrichtungsleiter Berthold Weiß vom Regierungspräsidium Stuttgart. Was dann geschah, erinnert stark an einen Spionagethriller. Denn kurze Zeit später tauchten zudem noch ein paar Han–Chinesen auf.

Ärger um Fotos von Chineses - schnelle Reaktion

Der Ehemann habe ihn deshalb aufgesucht und sich darüber beklagt, dass die Chinesen Fotos von seiner Frau machen würden, sagt Weiß. Durch verschiedene Menschenrechtsorganisationen sei belegt, dass solche Fotos nach China geschickt würden. Die Familien der Geflüchteten würden dann in Lager gesteckt, so der Ehemann.

Weiß handelte schnell und ließ die Chinesen in eine andere Einrichtung verlegen. Ein großes Plus in der LEA sei, dass man stets gut mit der Polizei zusammenarbeite. Es seien auch immer zwei Beamte auf dem Gelände, sagt er.

Das stimmt nicht und wird auch in keinster Weise durch die Erkenntnisse der Polizei bestätigt.

Berthold Weiß über angebliche Diebestouren

Nach einem Bericht von Amnesty International wurden in der autonomen uigurischen Region Xinjiang in China in den vergangenen Jahren Hunderttausende Angehörige muslimischer Minderheiten inhaftiert und gefoltert.

Mehrere im Ausland lebende uigurische Befragte gaben laut der Menschenrechtsorganisation an, dass die lokalen Behörden in Xinjiang ihre Angehörigen ins Visier genommen hätten, um die Aktivitäten der im Ausland lebenden uigurischen Gemeinschaften zu unterbinden.

LEA kein Stützpunkt für Diebestouren

Das Gerücht, dass es kriminelle LEA–Bewohner auf das nahegelegene Schrezheim abgesehen hätten und hier regelmäßig auf Beutetour gehen würden, entbehre laut Weiß jeglicher Grundlage. „Das stimmt nicht und wird auch in keinster Weise durch die Erkenntnisse der Polizei bestätigt“, sagt er.

Die Art, wie die LEA teilweise von außen wahrgenommen werde, habe mit der Realität nicht viel zu tun, so Weiß weiter. Das subjektive Sicherheitsgefühl einiger Menschen und die objektive Sicherheitslage gingen hier gelegentlich „wie eine Schere“ auseinander, betont er.

Weiß’ Aussage bestätigt Danilo Paul, Leiter des Polizeireviers Ellwangen. Es gebe keine Fakten und Erkenntnisse darüber, dass Bewohner der LEA in Schrezheim auf Beutetour gingen. „Wenn man sich die Kriminalstatistik anschaut, sieht man, dass es im Jahr 2014, ein Jahr bevor die LEA eröffnet wurde, in Schrezheim acht Diebstähle gegeben hat. 2022 waren es sieben“, sagt Paul.

2015 hat es nach Aussage des Revierleiters mal eine Steigerung gegeben. 15 Diebstähle wurden in diesem Jahr registriert. Es gebe aber keine Beweise, dass die auf das Konto von LEA–Bewohner gegangen seien. 2016 und 2017 habe es jeweils sieben, 2018 nur drei Delikte gegeben, berichtet Paul weiter.

Keine Krininalitätsschwerpunkte durch die LEA

2022 sei es in einer Besprechung mit dem früheren Schrezheimer Ortsvorsteher Albert Schiele um das Thema Diebstahl aus Häusern und Wohnungen gegangen. In diesem Jahr habe es nicht einen Einbruch dieser Art in dem Teilort gegeben, nur zwei Diebstähle aus Pkw. „Ein Auto war unverschlossen, bei dem anderen waren die Scheiben heruntergelassen“, erinnert sich Paul. „Auch hier gab es keine Erkenntnisse, dass Flüchtlinge die Täter waren.“

„Auch wenn es keinen Kriminalitätsschwerpunkt gibt, der durch die LEA generiert wird, nehmen wir die Sorgen der Menschen dennoch ernst“, berichtet Paul. Schließlich habe es ja trotzdem sieben Delikte im Jahr 2022 gegeben, das wolle er nicht kleinreden. „Doch man muss sich an die Fakten halten.“

Dennoch hat es laut Weiß schon einmal „böse Jungs“ gegeben. Für einige Monate habe hier mal eine höhere Zahl georgischer Flüchtlinge gewohnt, die man allerdings die meiste Zeit nicht in der LEA habe antreffen können. „Die sind dann losgezogen und haben Beute gemacht.“

Festgestellt worden sei dies auch durch zwei Autos, die vor der Schranke der Einrichtung abgestellt worden waren, sagt Weiß. Das Treiben der Georgier habe man aber zusammen mit der Polizei schnell unterbinden können. Und die Autos, so Weiß, wurden als Vermögensgegenstände beschlagnahmt und versteigert, um die Kosten der Unterbringung teilweise zu decken.

Um Autos, genauer gesagt um „glänzende Limousinen“, ging es auch in der Geschichte, in der eine Frauenhilfsgruppe vermutet hatte, ukrainische Frauen würden vor der LEA von Zuhältern abgefangen. Diese Zuhälter sollen nämlich in den besagten Limousinen vorgefahren sein. So etwas gebe es sicherlich, aber nicht in der Ellwanger LEA, berichtet Weiß.

Das Gerücht mit der Zuhälterei und Prostitution

Durchaus hätten aber Leute bei ihm angerufen, die freie Wohnungen an ukrainische Frauen vergeben wollten. „Wir vermitteln aber keine LEA–Bewohnerinnen oder -Bewohner an irgendwelche privaten Wohnungsinhaber“, stellt er klar. Vermittelt würden Geflüchtete ausschließlich an Städte und Kommunen, die freie Wohnungen zur Verfügung stellen würden.

Auch Danilo Paul hat von dieser Geschichte, wie er sagt, noch nie gehört. Er sei zwar erst im Oktober 2022 Revierleiter in Ellwangen geworden, doch Zuhälter vor der LEA seien ihm völlig unbekannt.

Daraus, dass es innerhalb der Flüchtlingsgruppen hin und wieder zu Reibereien oder gar körperlichen Auseinandersetzungen kommt, macht Weiß keinen Hehl. Derzeit würden hier rund 550 allein reisende Männer zum Teil in Achtbettzimmern leben, „mit unklarer Perspektive und ohne die Möglichkeit, beziehungsweise nur eingeschränkt, ihrem Hobby nachzugehen oder einfach mal vor dem Fernseher entspannen zu können“.

Zwar würden hier zahlreiche tagesstrukturierende Maßnahmen wie Deutschkurse, Fußballtraining oder auch gemeinnützige Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Dass es dabei trotzdem zu Spannungen kommen könne, liege daher auf der Hand, so Weiß. Es seien aber große Ausnahmen und äußerst selten, dass bei Handgemengen tatsächlich mal zum Beispiel einer der Securitymitarbeiter etwas abbekäme.

Ohnehin kenne er keinen Mitarbeiter, der Angst in der LEA habe. Flüchtlinge, die andere angreifen würden, erhielten eine Strafanzeige und würden verlegt. So könne das Regierungspräsidium umgehend reagieren und müsse keine Entscheidungen anderer Behörden abwarten. Eine mögliche Abschiebung zu einem späteren Zeitpunkt werde dadurch nicht tangiert.

Nach Weiß’ Meinung hat es in den mittlerweile mehr als acht Jahren, in denen es die Ellwanger LEA gibt, nur sehr wenig Vorfälle gegeben, die tatsächlich „schlimm“ gewesen seien. Ansonsten sei die Stimmung hier meist entspannt.

Bestätigt wird dies auch immer wieder von Besucherinnen und Besuchern der LEA, beispielsweise Abgeordneten. „Sozial, kompetent, sympathisch“, laute das Resümee der Politiker in der Regel, sagt Weiß. „Ich denke mir dann immer, dass das voll und ganz zutrifft — auch auf unsere Beschäftigten.“