Großrazzia
Nach Großrazzia: LEA-Bewohner wegen tätlichen Angriffs vor Gericht
Ellwangen / Lesedauer: 4 min

Es ist der frühe Morgen der Großrazzia in der Ellwanger Landeserstaufnahmestelle Anfang Mai. Hunderte Polizisten stürmen die Gebäude und Zimmer der afrikanischen Bewohner. Auch das, in dem ein 21-Jähriger mit vier weiteren Personen schläft. „Polizei“, sollen die Beamten laut beim Eindringen ins Zimmer gerufen haben. „Fuck the police“, schallt ihnen als Antwort entgegen. Einer wehrt sich so sehr, dass ihm am Mittwochvormittag im Ellwanger Amtsgericht der Prozess gemacht wird.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Mann einen tätlichen Angriff auf einen der Polizeibeamten vor. Seit der Durchsuchung am 3. Mai sitzt der 21-Jährige aus Guinea in Untersuchungshaft. Als er den Gerichtssaal betritt, wird ihm beinahe dieselbe Ehre zuteil, wie sonst nur dem Richter: Zehn Zuschauer stehen auf, während der junge Mann mit Fußfesseln an ihnen vorbei zur Anklagebank läuft.
Aktivistengruppe begleitet Prozess im Amtsgericht
Die Stehenden gehören den Aktivistengruppen Refugees 4 Refugees und Aktion Bleiberecht an. Während der Verhandlung verhalten sie sich ruhig, die meisten von ihnen schreiben mit. Zum Beispiel, dass sich der 21-Jährige strampelnd gegen einen Polizisten gewehrt haben soll – und somit in Richtung des Beamten getreten habe. Das wertet die Staatsanwaltschaft als einen tätlichen Angriff.
„Sie haben gehört, was man Ihnen vorwirft“, sagt Amtsgerichtsdirektor Norbert Strecker . „Erzählen Sie uns, was Sie in dieser Nacht erlebt haben“, sagt er zum Angeklagten. Ein Polizist habe ihm zweimal auf die Brust geschlagen. Er selbst saß ruhig im Bett, lässt er von seinem Dolmetscher übersetzen. Er spricht nur Französisch – Englisch oder Deutsch könne er nicht. „Nach dem zweiten Schlag wollte ich flüchten“, sagt er. Ein Polizist an der Tür hält ihn auf, bringt ihn zu Boden. „Ich habe nicht getreten“, sagt der 21-Jährige mit fester Stimme.

Der Polizist, gegen den die vermeintlichen Tritte gerichtet waren, sagt als Zeuge aus. Alle Bewohner hätten aufstehen sollen. „Das ist zu unserem Schutz. Wir können ja nicht wissen, was unter den Bettdecken ist“, sagt er. Der Angeklagte sei den Aufforderungen nicht nachgekommen. Er habe nach ihm greifen wollen, da habe er angefangen zu strampeln, dann sei er geflohen. „Ich konnte ihn zurückziehen.“ Dann habe er mit dem Oberkörper auf den Händen gelegen. „Wir konnten ihn so nicht fixieren. Er hat dafür massiv viel Kraft aufgewendet“, so der Polizist.
Den Richter macht diese Aussage stutzig. „Ich entnehme Ihrer Aussage jetzt nicht zwingend einen tätlichen Angriff“, so Strecker zum Zeugen. „Nein“, antwortet dieser. Ob es denn gezielte Tritte gegen ihn gegeben hätte. „Das kann ich so nicht sagen. Ich will es ihm aber nicht unterstellen“, sagt der junge Polizist.
Französisch im Gefängnis ist wie Isolation
Vor allem diese Aussage ist es, die dem jungen Geflüchteten am Ende wahrscheinlich zugute kommt. Und, dass er bisher strafrechtlich noch nicht auffällig war. „Nun ja, er ist aber auch erst seit Januar hier“, kommentiert der Richter diesen Umstand. Dennoch: Aus dem tätlichen Angriff wird während des Prozesses ein Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. „Das hat große Bedeutung für das Strafmaß“, sagt Strecker in Richtung Anklagebank.
Dennoch fordert die Staatsanwaltschaft während des Plädoyers fünf Monate Haft – ohne Bewährung. „Es ist kein nachweisbarer Angriff erfolgt.“ Dennoch habe er sich nicht so friedlich wie die anderen Bewohner verhalten. Die Verteidigung weist auf einen besonderen Umstand hin: die Sprache. „Mein Mandant hat jetzt bereits drei Monate im Gefängnis gesessen. Wer in einem deutschen Knast französisch spricht, hat kein schönes Leben“, sagt er.
Mein Mandant hat jetzt bereits drei Monate im Gefängnis gesessen. Wer in einem deutschen Knast französisch spricht, hat kein schönes Leben“
Denn das sei einer Isolation gleichzusetzen. „In deutschen Gefängnissen wird türkisch gesprochen, russisch oder rumänisch“, so der Anwalt. Soziale Kontakte wird er keine gehabt haben. Diesen Umstand solle das Gericht berücksichtigen. Und das tut Norbert Strecker. Er verurteilt den 21-Jährigen zu einer Geldstrafe: 90 Tagessätze à fünf Euro. „Die Strafe ist mit den drei Monaten verbüßt“, sagt Strecker. Das Urteil wird vom Angeklagten und der Verteidigung akzeptiert.
Er habe Angst gehabt und er bereue es, lässt er noch im letzten Wort über seinen Dolmetscher verlauten. „Ich bitte um Entschuldigung.“
Die Justizbeamten, die den Prozess begleiten, nehmen dem sichtlich gelösten jungen Mann die Fußfesseln ab. Die Aktivisten gehen auf ihn zu, schütteln ihm nach und nach die Hand. Er wird jetzt zurück zur LEA gebracht – in Freiheit. Ein sanftes Lächeln liegt in seinem Gesicht. Doch entschieden ist sein Schicksal noch nicht – der Asylantrag noch offen. Seine Verhaftung kam einer Entscheidung zuvor.