Apothekensterben
Demo in Stuttgart: Apotheken steht „das Wasser bis zum Hals“
Ellwangen / Lesedauer: 5 min

Mark Masuch
Am kommenden Mittwoch bleiben zahlreiche Apotheken im Land geschlossen. Wegen der aus ihrer Sicht immer schlechter werdenden Bedingungen wollen sich die Apotheker an einer zentralen Demonstration in Stuttgart beteiligen. Teilnehmen wird auch Richard Krombholz. Der Inhaber der Adler-Apotheke und der Apotheke im Ärztezentrum betont, dass vielen Betrieben „das Wasser mittlerweile bis zum Hals steht“. Als Gründe für die desaströsen Zustände nennt der Apotheker steigende Kosten, denen ein seit zehn Jahren nicht mehr angepasster Gebührensatz für Medikamente gegenübersteht. Personalmangel und die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, „Pseudoapotheken“ zu schaffen, verschlimmern die Situation laut Krombholz noch weiter. Seine Befürchtung: Ein noch schneller voranschreitendes Apothekensterben.
Erst im Juni hat es einen bundesweiten Protesttag gegeben, an dem zahlreiche Apotheken ihre Türen geschlossen ließen. Man habe die Situation der Betriebe wiederholt geschildert, doch passiert sei nichts, sagt Krombholz. Viele Apotheken hätten bereits schließen müssen, im ersten Halbjahr 2023 seien es 283 in Deutschland gewesen. Zur Jahresmitte sei die Zahl der Apotheken im Land auf unter 18.000 Betriebsstätten gesunken ‐ den niedrigsten Stand seit über 40 Jahren, macht er deutlich. Bis Ende des Jahres rechnet Krombholz mit einem bundesweiten Rückgang auf rund 17.000 Apotheken.
Keiner kauft mehr eine Apotheke
Laut dem Apotheker würden die Betriebe in Zahlungsschwierigkeiten geraten, manche müssten sogar Insolvenz anmelden. Andere Apotheker, die das Rentenalter bereits erreicht hätten, fänden keinen Nachfolger. „Apotheken sind heutzutage unverkäuflich“, erläutert er.
Ein schwerwiegendes Problem stellt laut Krombholz die Preisstruktur bei verschreibungspflichtigen Medikamenten dar. „Das für Apotheken lebenswichtige Festhonorar bei der Abgabe von rezeptpflichtigen Arzneimitteln wurde seit einem Jahrzehnt nicht mehr erhöht und im Februar durch einen Kassenrabatt sogar noch gekürzt“, berichtet er. Für ein Medikament erhält eine Apotheke einen Festsatz von 8,35 Euro, abzüglich des seit Jahresbeginn bei zwei Euro stehenden Kassenrabatts. Dabei ist es egal, wie teuer ein Medikament verkauft wird, der Festsatz bleibt derselbe. Das Problem: Die zum Teil sehr teuren Medikamente müssen durch die Apotheken vorfinanziert werden. Manche Betriebe würde das schon gar nicht mehr leisten können, sagt Krombholz. Obwohl man verpflichtet sei, jedes Medikament zu liefern. Rund ein Drittel der deutschen Apotheken würde unrentabel arbeiten und sicher bald verschwinden.
Viele Probleme für Apotheken
Hinzu kommt nach Aussage des Aussage des Apothekers die allgemeine Kostensteigerung und die Inflation. Und natürlich Personalprobleme. Man müsse seine Mitarbeiter gut bezahlen, sonst würde man keine mehr finden. Bald stünden wieder Tarifverhandlungen an. Gefordert werde eine zweistellige Erhöhung. „Keiner weiß, wie man das bezahlen soll“, so Krombholz weiter.
Ohnehin scheint der Beruf des Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA) nicht mehr sonderlich beliebt zu sein. Die Ellwanger Berufsschule fahre mittlwerweile nur noch einklassig. Im Vergleich zu einer Pflegekraft verdiene ein PTA rund 1000 Euro brutto weniger, sagt Krombholz.
Auch von den Plänen Karl Lauterbachs hält der Apotheker denkbar wenig. „Die aktuellen Pläne des Bundesgesundheitsministers laufen auf die Schaffung von Pseudo-Apotheken hinaus ‐ ohne Apothekerinnen und Apotheker vor Ort, ohne Labor zur Herstellung von Rezepturen und auch ohne Nacht- und Notdienst. Das bedeutet eine weitere Verschlechterung der Arzneimittelversorgung ‐ und ist eine gesundheitspolitische Bankrotterklärung.“
Krombholz fühlt sich nicht ernst genommen
Deshalb wird der Apotheker seine beiden Betriebe am Mittwoch schließen und nach Stuttgart fahren. „Wir fühlen uns nicht ernst genommen.“ Das Apothekensterben betreffe längst nicht mehr nur die ländliche Region, sondern auch den Stadtrand und die Innenstadt. „Vor zehn Jahren gab es noch neun Apotheken in Ellwangen, heute sind es noch fünf“, rechnet Krombholz vor. „Wir wollen deutlich machen, dass weder unsere qualifizierte Arbeit, noch die wohnortnahe Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zum Nulltarif zu haben sind.“
Unterstützung erhalten die Apotheker derweil von den niedergelassenen Ärzten. Die Situation sei hier ähnlich wie bei den Apotheken. „Man fährt eine über Jahre gut gewachsene Struktur gegen die Wand“, findet Sebastian Hock, Ellwanger Frauenarzt und Vorsitzender der Ärzteschaft Aalen. Neben dem allgemeinen Praxissterben macht nun ein Gerichtsurteil den Ärzten das Leben noch schwerer. Das Bundessozialgericht habe festgestellt, dass Poolärzte im medizinischen Notfalldienst sozialversicherungspflichtig seien. 40 Prozent der Dienste seien durch Kollegen besetzt, die nicht niedergelassen seien oder in Teilzeit arbeiten würden.
Poolärzte wurden entlassen
Diese Poolärzte werden von den niedergelassenen Ärzten bezahlt, um sie zu entlasten. Da diese laut Hock nach dem Urteil mit sofortiger Wirkung von der kassenärztlichen Vereinigung entlassen worden sind, bleiben die Dienste nun wieder an den niedergelassenen Ärzten hängen. Gerade für diejenigen, die ohnehin schon im Rentenalter seien, sei die Aussicht, wieder Notdienste machen zu müssen, ein guter Grund, ihre Praxis zu schließen, meint Hock. „Auch ohne Nachfolger.“
Junge Kollegen würden indes noch mehr abgeschreckt werden, sich niederzulassen. Denn angestellte Mediziner in Kliniken hätten diese Probleme nicht. Hier gebe es Schichtpläne und sie dürften ohnehin nicht mehr als vier Nachtdienste pro Monat machen.
„Das Gesundheitssystem wird sukzessive immer schlechter gemacht“, sagt Hock. Mit Haus- und Fachärzten, einem regionalen Krankenhaus und den Apotheken besitze man eigentlich eine bewährte Struktur. „Warum muss ständig alles neue erfunden und reglementiert werden? Gute Strukturen werden immer mehr kaputt gemacht und durch schlechtere ersetzt.“
Die Notfallapotheke wird am Mittwoch nicht schließen. So hat die Apotheke im Facharztzentrum Aalen am 21. November von 8.30 Uhr an für 24 Stunden geöffnet, Telefon 07361/559833.