Dem Tod ins Auge geblickt

Aalen-Angreifer Kienle spricht erstmals über die schockierende Szene

Aalen / Lesedauer: 8 min

Der Stürmer musste in Hoffenheim nach einem Unfall noch auf dem Platz wiederbelebt werden. Woran er sich erinnert und was er aus dem Erlebnis für sein Leben mitnimmt.
Veröffentlicht:22.05.2023, 15:48
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  • Author ImageSebastian van Eeck
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Zittern, bangen und hoffen. Das Dietmar–Hopp–Stadion in Hoffenheim am 12. Mai in Schockstarre. Nach seinem Zusammenprall mit dem Torpfosten kämpfte VfR–Stürmer Steffen Kienle minutenlang um sein Leben.

Er hat es vor allen Dingen einem Mann und dessen schnellem Handeln zu verdanken: TSG–Mannschaftsarzt Dr. Yannic Bangert. Er hatte ihn zurück ins Leben geholt.

Mittlerweile hat der 28 Jahre alte Mittelstürmer des Aalener Regionalligisten das Krankenhaus in Heidelberg wieder verlassen. Im exklusiven Interview spricht er über seine Erkenntnisse, den Schreckmoment, seinen Gesundheitszustand und den Klassenerhalt seines VfR Aalen.

Steffen, Sie haben vielen Leuten im Spiel gegen Hoffenheim II einen großen Schrecken eingejagt. Wie geht es Ihnen heute?

Mir geht es so ganz gut. Ich muss ehrlich sagen, richtige Probleme, die hatte ich nie.

Eigentlich kaum zu glauben, bei dem, was Sie erlebt haben.

Als ich in die Notaufnahme eingeliefert wurde, da habe ich mir ehrlich gedacht, was ist eigentlich los? Ich hab doch gar nichts.

Welche Erinnerung haben Sie überhaupt an das Spiel?

Im ersten Moment, als ich wach geworden bin, da wusste ich gar nicht, was los ist. Dann nach und nach, als ich dann zu mir gekommen bin, wusste ich eigentlich alles bis zur Flanke und dass ich die Chance vergeben habe. Ab dann ist da nichts mehr.

Der Zusammenprall mit dem Pfosten ist also völlig gelöscht in Ihrer Erinnerung?

Keine Ahnung, ob ich das Gleichgewicht verloren habe oder warum ich den Schlenker an den Pfosten gemacht habe. Kann ich nicht beantworten. Ich weiß nur, dass der Ball nicht ins Tor ging.

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Steffen Kienle (links) und Paolo Maiella. (Foto: Thomas Siedler)

Sie wurden nach dem Zusammenprall wiederbelebt. Wann setzt Ihre Erinnerung wieder ein?

Auf dem Feld kann ich mich an gar nichts erinnern. Die Ärzte haben zwar gesagt, dass ich dort wieder zu mir gekommen bin, aber daran habe ich keine Erinnerung. Mein erstes klares Bild, das ich vor Augen habe, entstand in der Kabine. Da haben sie mir dann Fragen gestellt und die konnte ich auch beantworten.

Wann haben Sie überhaupt erfahren, was da im Dietmar–Hopp–Stadion passiert ist?

Erzählt hat es mir eigentlich keiner so richtig. Im Krankenwagen haben sie mich ständig gefragt, ob ich Schmerzen in der Brust oder irgendwo anders habe? Da habe ich mir aber nichts dabei gedacht. Es hat niemand zur mir gesagt, du wurdest gerade wiederbelebt. So richtig realisiert habe ich das dann als ich in der Notaufnahme mein Handy in die Hand gedrückt bekam. Mir ging es soweit ganz gut und ich habe noch auf die Blutwerte gewartet. Da habe ich dann auf Facebook geschaut und gelesen, dass ich wiederbelebt wurde.

Was haben Sie in dem Moment gedacht?

Häh, warum? So habe ich es dann eben erfahren. Gesagt hat mir es keiner.

Sie haben  unglaublich viel Zuspruch erhalten. Waren Sie überrascht, wie schnell sich die Meldung verbreitet hat?

Ich habe mich unglaublich gefreut über die Nachrichten. 99,9 Prozent meiner Telefonkontakte haben sich gemeldet und mir alles Gute gewünscht. Gefühlt hat sich jeder bei mir gemeldet. Man braucht das nicht zwingend, aber natürlich findet man es dann schon sehr schön. Das hat mich riesig gefreut, dass so viele Leute an mich gedacht haben.

Anderweitige Verletzungen haben Sie durch den Zusammenprall nicht davon getragen?

Nein, eigentlich nicht. Am Oberschenkel habe ich so leichte Druckschmerzen gehabt. Damit bin ich wohl auch aufgeprallt. Rund um die Brust merke ich schon noch, dass es mir ab und zu noch etwas weh tut, aber es ist kein besonderer Schmerz. Wie gesagt, es ist eigentlich alles ganz normal.

Sie sind nach bangen Minuten dem Tod von der Schippe gesprungen: Leben Sie jetzt bewusster oder haben Sie eine Veränderung bei sich festgestellt?

Ich war überhaupt nicht zufrieden mit meiner Saison und bin überhaupt nicht in die Spur gekommen nach meiner großen Verletzung. Natürlich war ich unzufrieden mit dem Abstiegskampf in der Regionalliga und da habe ich wirklich zu meiner Freundin und meiner Familie gesagt: Was ich mir immer für einen Kopf mach wegen des Fußballs. Es ist doch einfach nur ein Sport. Natürlich ist es mein Beruf und klar will ich Erfolg, aber die Sache hätte ganz anders ausgehen können. Ich bin einfach froh, dass ich weiterhin mit meiner Freundin, meiner Familie und meinen Freunden Sachen erleben darf. Es rückt alles schon in ein anderes Bild. Das ist vielleicht meine größte Erkenntnis. Alle, die mich kennen, die wissen, dass ich immer viel von mir selber erwarte. Vielleicht sollte ich da mal einen Gang zurückschalten. Gesundheit ist viel wichtiger.

Das sagt sich immer so leicht.

Ja, aber ich hoffe, dass es jetzt wirklich länger bei mir anhält. Denn diese Erkenntnis habe ich ein Stück weit auch nach meinem Achillessehnenriss gehabt. Da war mein Ziel, erst einmal die Rückrunde zu spielen und damit zufrieden zu sein, endlich wieder spielen zu können. Der Rest kommt von allein. Aber es kommt einfach wieder so schnell, dass du dann wieder unzufrieden bist, weil eben nicht alles so läuft, wie vor der Verletzung. Aber bei der Nummer jetzt kann ich mich in der Rückschau immer erden und sagen: Du bist gesund, du kannst alles machen. Sei froh.

Stichwort, alles machen: Was haben die Ärzte gesagt? Wie geht es jetzt weiter?

Die Ärzte im Krankenhaus haben gesagt: drei Monate gar keinen Sport. Kein Joggen. Nichts. Meine Erfahrung ist, dass die Ärzte im Krankenhaus da schon immer einen Monat mehr sagen. Der Plan von mir ist es: Komplett runterfahren, mein Herz schonen, in den Urlaub gehen und dann sehen wir weiter. Ich habe Kontakte zu Spezialisten und werde mich sicherlich nach der Auszeit komplett durchchecken lassen. Ziel ist es, nicht drei Monate gar nichts zu machen.

Ihr Herz geschont haben Sie sicher am Samstag nicht, wenn Sie mit Ihrem VfR Aalen mitgefiebert haben. Der 2:1–Siegtreffer in der Nachspielzeit und das 4:3 von Homburg gegen Worms bescherten bekanntlich Aalen den Klassenerhalt. Ein Wahnsinn. Nach neun Punkten Abzug aufgrund der Insolvenz hat sich doch noch alles zum Guten gewendet.

Eine Schonung für mein Herz war das nicht (schmunzelt). Im Nachhinein habe ich mir schon gedacht, Junge, das hättest du eigentlich echt nicht anschauen müssen. Daheim war es noch viel schlimmer, als im Stadion, weil man eben auch immer über das Ergebnis im Parallelspiel informiert worden ist. Dieses ständige Hin und Her war einfach der Wahnsinn.

Den Klassenerhalt einen Spieltag vor Schluss in dieser Form einzufahren, das war einfach typisch VfR.

Es gab dieses Spiel gegen Worms (1:4 nach 1:0–Führung, Anm. d. Red.), in dem wir uns beschimpfen lassen mussten. Natürlich fand ich das nicht schön. Da waren einfach ein paar Sachen dabei, die ich nicht nachvollziehen kann. Denn letztlich haben wir die neun Punkte abgezogen bekommen und das sind ja nicht nur einfach die Punkte. Es prasselt noch viel mehr auf die Mannschaft und den Spieler ein. Wir haben einen Spieltag vor Schluss den Klassenerhalt perfekt gemacht. Ich glaube einfach, dass das eine wahnsinnige Teamleistung war. Wir sind als Team nie auseinander gebrochen. Egal was war. Selbst als wir gegen Worms so ein schlechtes Spiel gezeigt haben, hat sich daran nichts geändert. Ich bin einfach froh und stolz, dass die Jungs das am Samstag (2:1 über Koblenz, Anm. d. Red.) klargemacht haben. Wir haben es einfach verdient, in der Regionalliga zu bleiben.

Sie selbst haben Ihren Vertrag auf der Ostalb um zwei Jahre verlängert. Es war ein wichtiges Zeichen, kurz vor den entscheidenden Spielen.

Klar, habe auch ich meinen Teil dazu beigetragen und bin schon eher einer, der die Mannschaft positiv beeinflusst. Deswegen wollte ich unbedingt am Freitag vor dem Spiel in die Kabine und ihnen Mut zusprechen, sie motivieren.

Hatten Sie eigentlich Kontakt zum TSG–Mannschaftsarzt Dr. Yannic Bangert?

Er hat mich direkt am nächsten Tag besucht und da haben wir natürlich noch einmal darüber gesprochen. Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus habe ich ihm auch noch einmal geschrieben und mich bei ihm bedankt. Es ist einfach so: Er hat mir das Leben gerettet und da werde ich ihm auf jeden Fall für immer dankbar sein. Wahnsinn, was er da geleistet hat und dass er einfach so schnell und richtig reagiert hat.

In der vergangenen Saison die Achillessehne gegen Hoffenheim II gerissen und jetzt der Unfall mit dem Torpfosten: Wenn der VfR in der nächsten Saison wieder nach Hoffenheim fährt, mit welchen Gedanken fahren Sie da mit?

Viele haben schon gesagt, du hast jetzt Hoffenheim–Verbot. Keine Ahnung. Bis jetzt mache ich mir da keinen Kopf und ich bin mir sicher, dass ich dort auflaufen werde. Ich glaube nicht an so etwas. Aber klar, es war dieses Mal schon ein mulmiges Gefühl, weil ich mir dort die Achillessehne gerissen habe und jetzt kommt was dazu, das noch viel heftiger ist.