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Theatertage in Aalen: Mord in besseren Kreisen

Aalen / Lesedauer: 3 min

Das Theater Baden–Baden hat sich mit dem Stück „Wiederaufnahme einer Strafsache: Der Fall Hau“ mit einem Mordfall vor 120 Jahren künstlerisch beschäftigt.
Veröffentlicht:26.05.2023, 17:28

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Für den Stoff des Stücks „Wiederaufnahme einer Strafsache: Der Fall Hau“ hat das Theater Baden–Baden nicht weit gehen müssen. Quasi direkt vor der Theater–Haustür wurde vor gut 120 Jahren in der Kurstadt die Medizinalratswitwe Josephine Molitor meuchlings auf offener Straße erschossen. Autor Bernd Schroeder hat einen Roman daraus gemacht, Rudi Gaul und später Olga Motta brachten den Fall Hau auf die Bühne. In der bestens gefüllten Stadthalle sorgte das Stück nun im Rahmen der Baden–Württembergischen Theatertage in einer fast zweistündigen Version für gute Unterhaltung bei den Zuschauerinnen und Zuschauern.

Der Fall Hau ist Skandalstoff und hat alle Ingredienzien für einen Thriller. Unmittelbar nach der Tat wird der Schwiegersohn verhaftet, der alles, aber auch wirklich alles dafür getan hat, verdächtig zu wirken. Ein falscher Bart, ein mysteriöses Telegramm, einen ausschweifenden Lebensstil und große Geldsorgen, Carl oder Karl Hau (gespielt von Mattes Herre) lässt nichts aus. Aber auch seine Schwägerin Olga (Clara–Luise Bauer), jüngere Schwester von Haus Ehefrau Lina (Nadine Kettler), ist nicht frei von Verdacht, schließlich war sie es, die ihre Mutter Josephine (Rosalinde Renn) am Tattag begleitet hat — und der Schuss war ja ein aufgesetzter. Hau wird Jahre zum Tode verurteilt, später zu „lebenslang“ begnadigt und stirbt nach 17 Jahren im Gefängnis 1926 unter mysteriösen Umständen 43–jährig in Rom.

Josephine Molitor ermordet, Carl Hau im Gefängnis, Lina begeht Selbstmord, nur Olga überlebt. Der Fall sorgte vor 120 Jahren für viel Aufsehen im Badischen, nicht nur in Baden–Baden, sondern auch vor Gericht in Karlsruhe, wo sich Weltpresse und Mob in Verdächtigungen und Mutmaßungen überschlugen. Aus dem Stoff hatte Rudi Gaul für die Spielzeit 2019/2020 eine fast dreieinhalbstündige Produktion fürs Theater Baden–Baden erstellt, die — in Corona–Zeiten — unter der Leitung von Olga Motta zu einer fast zweistündigen Kurzversion eingedampft wurde.

Der erste Teil des Theaterabends beschäftigt sich damit, wie die Familie Molitor, die in der Kurstadt zu den besseren Kreisen gehörte, auf den windigen, aber weltgewandten Studenten der Jurisprudenz, Carl Hau, den „größenwahnsinnigen Hochstapler“, hereinfallen konnte, der zweite Teil widmet sich dem Prozess. Mit Briefwechseln, Zeugenvernehmungen, Verhörprotokollen, Pathologieergebnissen und Zeitungsartikeln lässt das Stück die Zuschauerinnen und Zuschauer eintauchen in die langsam untergehende Kaiserzeit.

Diese Fakten und einige Videoeinspieler geben den Hintergrund, vor dem die drei Schauspielerinnen und der Schauspieler agieren. Mattes Herre stolziert als junger Hau über die Bühne, strotzt vor Arroganz, wird in der Gerichtsverhandlung zum bockigen Angeklagten, der jede Mithilfe verweigert. Nadine Kettler gibt als seine Frau Lina das gutgläubige Hausmütterchen ohne Selbstachtung genauso souverän wie den Verteidiger Dietz, in den sie sich auf der Bühne ruckzuck mit Hut und aufgemaltem Moustache verwandelt. Clara–Luise Bauer, für die erkrankte Maria Thomas eingesprungen, darf a ls Schwägerin Olga fleißig mit den Augen klimpern, denn auch sie hat ein Auge auf Hau geworfen. Es ist gerade diese Dreiecksgeschichte — Hau, Olga und Lina –, die den Fall bis zum Ende spannend macht.

Denn, und das betont das Stück, Hau hat nie gestanden. Formal sei der Fall, so heißt es am Ende des Stücks, juristisch noch nicht abgeschlossen. Und auch das Stück lässt die Frage nach dem wahren Täter (Olga?) und der Rolle des Gerichts unbeantwortet. Wie gesagt: Skandalstoff, für den es viel Applaus gab.