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Gegen Dummheit und Vergessen: Eva Erben erzählt ihre Lebensgeschichte

Aalen / Lesedauer: 5 min

Die 92-Jährige ist eine der letzten Holocaust-Überlebenden. Die Zeitzeugin ist beim Gedenktag des Aalener Theodor-Heuss-Gymnasiums zum 27. Januar zu Gast gewesen.
Veröffentlicht:25.01.2023, 19:00

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„Wer einen Zeitzeugen hört, wird selbst zum Zeitzeugen.“ Das hat der Schriftsteller und Holocaust-Überlebende Elie Wiesel (1928-2016) einmal gesagt. Unter diesem Aspekt haben am Mittwochmittag rund 500 neu gewonnene Zeitzeugen den Hörsaal der Aalener Hochschule verlassen, nachdem sie dort zuvor die schier unglaubliche Geschichte einer anderen Holocaust-Überlebenden und originären Zeitzeugin, nämlich von Eva Erben, gehört hatten. Die Schilderungen der 92-Jährigen, die unter anderem eigens für diesen Auftritt in Aalen aus Israel gekommen war, standen im Mittelpunkt des „Tags des Erinnerns und Gedenkens“, den das Theodor-Heuss-Gymnasium (THG) alljährlich zum nationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar veranstaltet.

An diesem Tag des Jahres 1945 hatte die russische Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Die Erinnerung fand in Eva Erbens Schilderungen bei der Veranstaltung diesmal einen ganz persönlichen und unmittelbaren, aber auch dramatischen Ausdruck, war sie Ende 1944 als damals 14-Jährige doch der Todeshölle von Auschwitz quasi in letzter Minute entkommen.

Der 27. Januar, so sagte THG-Schulleiter Christoph Hatscher in seiner Begrüßung, das sei beileibe kein Feiertag, sondern ein „Denktag“. Denn die beste Versicherung gegen Totalitarismus und Faschismus seien die Erinnerung und das Nachdenken. Dass es jetzt, knapp 80 Jahre nach diesem 27. Januar 1945, in Deutschland ein Wiedererstarken des Antisemitismus gebe, zeige, wie wichtig die Auseinandersetzung mit den Erlebnissen der letzten Zeitzeugen von damals sei. Neben rund 400 Schülerinnen und Schülern des THG waren auch gut 100 Studierende der Hochschule Aalen im Rahmen des Studiums generale unter den Zuhörern. An diesem Tag mit dabei zu sein und Eva Erbens Geschichte zu hören, sei ein „großartiges Privileg“, befand der Prorektor der Hochschule, Heinz-Peter Bürkle.

„Sechs Millionen jüdischer Menschen sind tot, ermordet, da können wir nichts mehr machen“, sagte Eva Erben eingangs fast nüchtern, um am Ende allerdings festzustellen: „Diese sechs Millionen Menschen bleiben im Geiste bei uns, nichts geht verloren“. Zwischen diesen beiden Aussagen spannte sie, über eine halbe Stunde lang frei erzählend, den Bogen ihres Lebens auf, und stellenweise hätte man eine Stecknadel im Saal fallen hören können.

Eva Erben wurde 1930 in einer wohlhabenden Familie im tschechoslowakischen Tetschen geboren. Ihr Vater war Chemiker, die Mutter Hausfrau. „Wir waren zuerst Tschechen und erst dann Juden“, sagte Erben. 1935 zog die Familie nach Prag, doch schon bald darauf wurde sie aus ihrer Villa ausgewiesen und in eine kleine Wohnung gesteckt. Im Dezember 1941 deportierten die Deutschen Eva und ihre Eltern nach Theresienstadt, wo sie mit anderen Jugendlichen Zwangsarbeit leisten musste. Theresienstadt, das sei das Wartezimmer auf den Tod gewesen, sagte Erben.

Nach drei Jahren, im Oktober 1944, wurde sie mit ihrer Mutter ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht. „Dort oben auf der Rampe stand Mengele und teilte uns auf“, schilderte sie. Und: „Ich habe mich älter gemacht, Mama auch. So sind wir durchgekommen.“ Drei Wochen lang seien sie in Auschwitz gewesen, „niemand hatte zuvor geglaubt, dass es so etwas gibt“. Dann kamen sie in ein Arbeitslager in Groß-Rosen. Vom deutschen Kommandanten dort bekam Eva Erben ein paar Schuhe, „er hat nichts gemacht, um uns umzubringen – auch solche Menschen hat es gegeben“. Schließlich wurden die rund 1000 Menschen aus diesem Lager, vorwiegend Frauen, auf einen „Todesmarsch“ westwärts Richtung Eger getrieben. Wer die ungeheuren Strapazen nicht aushielt oder krank wurde, wurde von den deutschen Begleitern unterwegs erschossen. Im April 1945 kamen schließlich noch 200 der Getriebenen in Falkenau im Egerland an, in den Tagen danach starben 100 weitere von ihnen, darunter auch Evas Mutter.

Eva selbst gelang es durch einen Zufall, die Flucht zu ergreifen. Sie machte sich zu Fuß auf den Weg nach Tschechien und überlebte nur, weil sie sich in einem warmen Misthaufen schlafen legte und dort dann gefunden wurde. Bis Kriegsende fand sie Unterschlupf bei einer tschechischen Bauernfamilie, in einem Dorf 50 Kilometer von Pilsen entfernt. Dann ging sie schließlich nach Prag zurück, wo sie sich zur Krankenschwester ausbilden ließ. Im Mai 1948 begegnete sie ihrem späteren Ehemann Peter Erben. 1949 wanderten sie gemeinsam in den ein Jahr zuvor neu gegründeten Staat Israel aus. Ihre Geschichte hat Eva Erben 1980 in ihrem Buch „Mich hat man vergessen“ aufgeschrieben.

Wie kann man all so etwas überleben, wieso gibt man sich nicht auf? Ein Kern, der in etlichen Fragen der Schülerinnen und Schüler im Anschluss an den Vortrag steckte. Und Eva Erben machte in ihren Antworten den jungen Menschen immer wieder Mut: „Man muss dem Leben die Zähne zeigen, weitermachen, nicht stehen bleiben“, sagte sie. Und: „Das Leben ist schön, in jeder Hinsicht. Man muss keine Diamanten haben, man kann sich auch an kleinen Dingen freuen.“ Aber auch davon ist Eva Erben überzeugt: Der Antisemitismus, das sei eine chronische Krankheit, „er würde auch noch existieren, wenn alle Juden nur noch auf dem Mond leben würden“. Gegen diese Dummheit, so Erben, könne man auch nicht kämpfen, „gegen Blödheit ist kein Kraut gewachsen“. Eher helfe das Erzählen dagegen. Das in Israel zu tun, mache allerdings keinen Sinn. „Man muss das in Deutschland erzählen.“