Kamera
„Wir sehen aus wie Könige“
Weingarten / Lesedauer: 3 min

Schwäbische.de
Fünf Köpfe, zerfurchte Haut, tief liegende, geheimnisvolle Blicke, wildes Haar – auf schlanken Säulen positioniert, blickt man als Besucher in sie hinein auf Augenhöhe. Das ist ein zentrales Ziel einer kühnen Idee, die vor über zehn Jahren in der Evangelischen Obdachlosenhilfe und der Diakonie geboren wurde und an den Sozialarbeiter Andreas Pitz herangetragen wurde: die in Deutschland rapide zunehmende Armut (harmlos freilich im Vergleich mit heute) mit künstlerischen Mitteln aufzunehmen. Aus Andreas Pitz wurde ein großartiger Kurator und die Ausstellung tourte seit 2007 in fast 50 Städten, mit 140 Exponaten von 35 Künstlern.
Eine kühne Mischung – renommierte, professionell ausgebildete Künstler und Nicht-Profis, von Armut Betroffene, hängen auf zwei Fluren der Akademie ohne Unterschiede nebeneinander. Auf Augenhöhe. Auch in der Begegnung der Künstler mit Obdachlosen. Fremde Welten für beide. Harald Birck modellierte seine Köpfe aus Papier und Ton live, vor der City-Station in Berlin, einem Hilfszentrum für die an den Rändern der Gesellschaft. Und als sie gehärtet waren, meinte einer der Porträtierten: „Wir sehen aus wie Könige“. Wolfgang Bellwinkel dagegen spürte bei seinen Recherchen, dass er diese Menschen in ihrer Würdelosigkeit nicht fotografieren wollte noch konnte. So entstanden seine fotografischen Abstraktionen, eine „Architektur der Obdachlosigkeit“ – Muster von billigem Polyester und Notdecken.
Grausame Armut, beißender Zynismus
Karin Poser, die selbst obdachlos war, bekam eine Kamera, fotografiert heute für das Obdachlosenmagazin „Biss“. So grausam die Armut der Straße in ihrer Fotografie, so sehr vermeidet sie Voyeurismus und Mitleids-Ästhetik. Was für die gesamte Ausstellung gilt. Ihre Verletzungen, ihre Erniedrigungen machen sie in diesen künstlerischen Annäherungen nicht noch kleiner, sie wirken, mit den Rissen ihrer Gesichter, die die Risse ihrer Biografien sind, in ihren Augen, die einen seelentief treffen, sie werden in den riesigen düsteren Ölmalereien von Helmut Mair nicht zu Bettlern, sondern zu sozialen Provokationen, denen diese Gesellschaft ausweicht.
Moralinsaurer Elternspruch „Mit Essen spielt man nicht“
Wenn der Künstler Norbert Koczorski Armut auf drei minimalistische Gegenstände reduziert, wird daraus beißender Zynismus: Eine Blechdose, in der amerikanische Pokerspieler ihre Karten verwahrten, füllt er Getreidekörner, daneben ein Schälchen mit dem moralinsauren Elternspruch „Mit Essen spielt man nicht.“ An den internationalen Nahrungsbörsen wird mit den Ernten ganzer Länder spekuliert. Wenn Winfried Baumann die paar „öffentlichen“ Dinge um eine Parkbank arrangiert und das Bild „homebanking“ betitelt, wird der makabre Widerspruch dieser Gesellschaft unausgesprochen deutlich: Der private Reichtum steigt proportional wie die Armut. Während die einen mithilfe ihrer Banker ihren Reichtum in Steueroasen verschieben, sind die anderen Verschiebemasse – der 1966 in Melbourne geborene „Herr Penschuk“ füllt eine kleine Puppenwiege mit Stempeln.
Und so, wie die beiden Gesichter von Helmut Mair einen noch lange nach dem Besuch der Ausstellung nicht loslassen, bleibt was Andreas Pitz zu den sechs dichten, intimen Bildern von Michael Zimmermann anfügte: Dieser einst renommierte Maler sei nun, im Alter, völlig verarmt. Armut ist auch unter Künstlern, abseits der Kunstmetropolen, ein wenig bekanntes Phänomen.