Reiterprozession

Das erlebt ein Tierarzt beim Blutritt in Weingarten

Weingarten / Lesedauer: 7 min

Blutende Beine und Stürze: Christoph Ganal ist auf jede Situation vorbereitet, er kümmert sich seit 1992 um die Blutritt–Pferde.
Veröffentlicht:21.05.2023, 17:00

Von:
  • Author ImageStefanie Rebhan
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Wo mehr als 1800 Pferde zusammenkommen, kann das naturgemäß nicht ohne Konsequenzen bleiben. Blutende Beine, Schrammen auf der Nase oder Stürze: Das sind die Fälle, für die die Mitarbeiter der Tierklinik Ganal & Ewert aus Weingarten während der gesamten Heilig–Blut–Feierlichkeiten rund um die Uhr im Einsatz sind. Die „Schwäbische Zeitung“ hat die Tierärzte beim Blutritt begleitet und auch die Anfeindungen der Blutritt–Kritiker thematisiert, die dieses Jahr insbesondere Christoph Ganal getroffen haben.

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Um 5.30 Uhr fahren die drei Autos, in denen fünf Tierärzte verteilt sitzen, in alle Himmelsrichtungen davon. So können sie die Weingartener Innenstadt und Flure am schnellsten abdecken, je nachdem, von welchem Standort aus ein Notruf eingeht. Christoph Ganal fährt zuerst dorthin, wo sich die Blutreitergruppen eins bis 16 aufstellen. Die Stimmung scheint entspannt, die Pferde bisher gelassen.

Schwüle Witterung wäre nicht gut

Offenbar kein Wunder: „Das Wetter ist perfekt für die Pferde. Probleme gibt es eher bei schwüler Witterung“, sagt Ganal und winkt seinen Kollegen der Blutreiter–Gruppe Weingarten zu. Allerdings hat er es bisher nur einmal geschafft, am Blutritt hoch zu Ross teilzunehmen. Ganal tätschelt hier und da ein paar Nüstern und krault da und dort ein Ohr, als auch schon der erste Anruf kommt. Ein Pferd blutet, getroffen vom Huf eines anderen Tieres. Vielleicht, so der Anrufer, sei ein Zahn ausgeschlagen.

Drei Frauen vom „Bodenpersonal“ der Gruppe St. Christina haben das Pferd an einen ruhigen Ort gebracht. Dort verschafft sich der Tierarzt einen ersten Überblick und erkennt: wohl kein größerer Schaden. Er will es sich im Quartier des Pferdes in Hinzistobel dennoch genauer anschauen. Auf der Fahrt dorthin erzählt er: „Gestern hatten wir zwei Fälle von Tieren, die sich beim Verladen in die Hänger verletzt haben. Die mussten wir nähen und aus der Veranstaltung rausnehmen“. Außerdem gab es noch einen Koliker, der behandelt werden musste, für den Blutritt aber bereits wieder fit war.

So richtig begeistert ist das Pferd nicht, als Christoph Ganal ihm, bewaffnet mit einer Stirnleuchte, im Stall in Hinzistobel im Maul herumwurstelt. Schnell ergibt sich das Tier aber seinem Schicksal, denn Schmerzen hat es vermutlich kaum — alle Zähne sind noch drin.

Vermutlich hatte sich das Pferd vor Schreck nur selbst auf die Zunge gebissen. Es hat außerdem einen Schnitt über dem Auge, auf den Ganal ihm eine Salbe aufträgt. Vorher pfeift er kurz zwei Töne. So kommuniziert er mit dem Tier, zumindest aber hat er dessen Aufmerksamkeit. Das „Bodenpersonal“ gibt dem Tier eine Banane und sagt: „Bananen beruhigen Pferde. Wir geben unseren immer schon drei Tage vor dem Ritt ein paar.“

Pferde werden an die Musik gewöhnt

„Die Pferde sind im Schnitt nicht nervöser als die Reiter selbst“, sagt der 63–jährige Ganal. Da sie Herdentiere seien, kämen sie in Gemeinschaft anderer Tiere gut klar.

Auch von der körperlichen Leistung her sei der Blutritt ein Klacks. Was die Musik betrifft, so müssen die Pferde vorher allerdings daran gewöhnt werden. Die Blutreitergruppen üben mit ihren Pferden das von Musikkapellen begleitete Marschieren.


Das gefällt einer Handvoll Menschen trotzdem nicht. Sie haben im Stadtgarten gegen den Blutritt demonstriert. Für sie wäre ein „Blutmarsch“ zeitgerechter.

Außerdem gab es in diesem Jahr Ärger mit Einzelpersonen, die Parolen unter anderem auf den Basilika–Vorplatz und auf die Hauswand der Tierklinik gesprüht haben. Ihre Kritik: Der Blutritt bedeute Leid für die Tiere, zudem würden sie nach deren Angaben sediert — also ruhiggestellt.

Wer gegen eine solche Prozession ist, müsste gegen den Reitsport an sich sein. Ich rechtfertige mich nicht dafür, Tiere zu sedieren, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Wir überlegen uns das vorher aber sehr gut und gehen nicht leichtfertig damit um,

sagt Christoph Ganal.

Ihn ärgern die persönlichen Anfeindungen, ohne dass er die Möglichkeit bekommt, seine Sicht der Dinge darzustellen.

Alles ist gut, wenn das Pferd pinkeln kann

Seinen Job hat er von seinem Vater übernommen. Seit 1992 ist er federführend für die Tiersicherheit beim Blutritt zuständig und geht auch Reitern zur Hand, die nicht auf das Pferd hinaufkommen, wie just im Bereich der Kneipe Linde. Daneben beginnt ein Pferd lautstark zu Pinkeln. Ganal: „Gut so. Vor ein paar Jahren hatten wir mal drei Pferde, die pinkeln mussten, aber nicht konnten. Keine Ahnung warum. Wir haben das Problem aber gelöst.“

Die Blutreitergruppe Laupheim ruft an — ein Pferd, bei dem angeblich das Blut aus dem Bein sprudelt, wartet jenseits des Prozessionsweges in der Nähe des ersten Altares auf den Tierarzt. Ein Mitarbeiter des DRK hatte bereits einen Druckverband am hinteren Bein des Tieres angebracht. Ganal pfeift wieder, um das Tier darauf aufmerksam zu machen, dass er es gleich berührt. „Ein oberflächlicher Schnitt, der eine Arterie getroffen hat. Es hat schon aufgehört zu bluten“, sagt er und beruhigt damit den Besitzer, der sich Sorgen um seine Aria macht. Der Gruppenführer von Laupheim wird informiert, um am Ende der Prozession alles zu notieren. Es geht um die Versicherung.

Blutreiterpferd will gekrault werden

Erst wird die Wunde gesäubert. Dann macht ein neuer, dickerer Verband das Pferd wieder salonfähig. Es hinkt zwar nicht, an der Prozession darf es jedoch nicht weiter teilnehmen. Einer der Stifte, die an manchen Hufen der Pferde für einen besseren Halt sorgen, hatte Aria wohl am Bein getroffen.

Der schlimmste Fall, so Ganal, wäre, wenn ein Pferd auf dem Prozessionsweg zum Liegen kommt. Etwa durch ein gebrochenes Bein oder einen Sekundentod. Dann müsste es schnellstmöglich geborgen werden. Ganal: „Das passiert zum Glück nur alle rund 25 Jahre, trotzdem sind wir auf den Fall vorbereitet“.

Von einem Schwächeanfall ist das Blutreiterpferd Cassini weit entfernt, aber es ist ein bisschen genervt davon, ruhig am Altar stehen zu müssen, während der Blutreiter seine Aufgaben erfüllt. Als Besitzer Martin Hipp das Pferd aber ruhig unter den Backen krault, und Ganal pfeifend die rote Decke über dem Sattel zurecht zupft, senkt es seine Augen entspannt auf halbmast und lässt Gnade vor Recht ergehen.

Es fehlen Tierärzte und Helfer

Nach Ende der Prozession macht sich Christoph Ganal zur Klinik auf, wo sein Sohn für einige Blutreiter–Gäste grillt. Die anderen Tierärzte sind schon da. Sie haben ein geschwollenes Auge und zwei gestürzte, aber unverletzte Pferde untersucht, sowie eine Prellung behandelt. Lutz Ewert, der die Klinik zusammen mit Ganal führt, berichtet, dass die durch den Sturz herumfliegende Standarte das Gefährlichste an dem Auftrag war.

Insgesamt hat sich das Team um sieben Fälle gekümmert. Das liege im Schnitt. „Zwischen acht und 25 Fälle haben wir an einem Blutfreitag meist abzuarbeiten. In diesem Jahr sah es gut aus für uns, sogar ungewöhnlich unspektakulär“, sagt Christoph Ganal. Doch man darf den Tag nicht vor dem Abend loben.

Auf dem Weg nach Hause hat sich ein Pferd in seinem Anhänger verletzt. Es liegt in Gaisbeuren schwer atmend in seinem Wagen, ein anderer Tierarzt ist bereits dort. Für den Unbeteiligten bietet sich ein dramatisches Bild. Es stellt sich heraus, dass es sich um eine größere Wunde an der Innenseite des Sprunggelenks handelt. Das Tier muss einige Tage in der Tierklinik in Gaisbeuren bleiben. „Nicht schön die Verletzung, aber managebar“, so Ganal.

Gegen Abend kommt dann noch Carmine Visconti vorbei. Er reitet bei vielen Prozessionen in Europa mit und kam für den Blutritt extra aus Florenz angefahren. Sein Pferd Jessew hat Gelenkschmerzen und muss sich schonen, so die Diagnose. Christoph Ganal seufzt. Er bräuchte mehr Tierärzte und mehr Helfer, doch lässt auch hier der Fachkräftemangel grüßen. Allerdings: Wenn er beim Blutritt nicht selbst auf dem Pferd sitzen kann, wolle er die Prozession wenigstens als Arzt begleiten. Der Tag gebe ihm eine persönliche Befriedigung und ein ganz besonderes Gefühl, wie es eben nur der Blutritt heraufbeschwören kann.