StartseiteRegionalOberschwabenSchlier„Scherzachtaler Blasmusik“ gibt zwei Marathon-Konzerte zum Abschied

Ära endet

„Scherzachtaler Blasmusik“ gibt zwei Marathon-Konzerte zum Abschied

Schlier / Lesedauer: 4 min

„Tränen zum Abschied“ heißt nicht nur ein Stück der Bodnegger Formation, sondern sie flossen beim Abschiedskonzert vor 1500 Zuschauern. Deswegen hört die Gruppe auf.
Veröffentlicht:07.11.2023, 12:00

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  • Schwäbische.de
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Pünktlich um 17 Uhr beginnt der letzte Akt der Oberschwäbischen Kultformation in der voll besetzten Festhalle in Wetzisreute. Draußen regnet es in Strömen, man könnte fast meinen, der Himmel weint mit. „Tränen zum Abschied“ ‐ so heißt auch das letzte Konzertwerk, das Komponist und Tenorhornist Norbert Gälle anlässlich des lange angekündigten Endes der „Scherzachtaler Blasmusik“ verfasst hat.

Doch ein Werk überstrahlt die zahlreichen Kompositionen, die auch heute noch ein letztes Mal von dem Orchester aufgeführt werden, mit er seit 34 Jahren auf der Bühne steht: Der „Böhmische Traum“ ist wohl jedem deutschen Blasmusiker ein Begriff und machte Gälle und die „Scherzis“ international bekannt.

Am CD-Stand im Eingangsbereich ist die besagte CD lange vor Konzertbeginn ausverkauft. Ein älterer Herr erzählt eine Anekdote von seinem dreijährigen Enkel, für den der „Böhmische Traum“ „die einzige gute Musik ist“. Immerhin kann er für seinen Enkel ein Tourplakat ergattern, das in der Pause signiert wird. Ein anderer Musiker bringt sogar sein Tenorhorn an die Bühne, um es von Norbert Gälle unterschreiben zu lassen. „Durch die Scherzachtaler bin ich zur Musik gekommen“ sagt er.

Die „Scherzis“ stürmen die großen Bühnen

Rund 900 Auftritte absolvierten die „Scherzis“ in den vergangenen 34 Jahren, dazu kommen Radio- und TV-Shows. Die von Norberts Bruder Anton dirigierte Gruppe wurde für Konzerte in Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Holland und Belgien engagiert. Auch Bühnen, die eigentlich Profimusikern vorbehalten waren, konnten durch die Anton Gälles herausragende Probearbeit bespielt werden. Moderator und Tubist Frank Seitz vergleicht Gälle mit Bundesliga-Trainer Christian Streich, der auch aus Spielern mit Amateurniveau das Beste herausholt, so dass sich die Mannschaft nicht vor den Profis verstecken muss.

Zumal die „Scherzachtaler Blasmusik“ über eine beachtliche Anzahl von Eigenkompositionen verfügt: Mit Anton und Norbert Gälle, Trompeter Berthold Kiechle, Posaunist Stefan Baier, Klarinettist Markus Abenstein, Baritonist Florian Kirchmann und Tontechniker Mathias Gronert haben sie so viele Komponisten in den eigenen Reihen, dass deutschlandweit wohl kaum eine Kapelle gibt, die kein Werk der Scherzachtaler im Programm hat.

Das musikalische Erbe der „Scherzis“ wird also auch in den kommenden Jahren von den Bühnen erklingen, von denen sich die Protagonisten aber endgültig zurückziehen. Dirigent Anton Gälle geht in den musikalischen Ruhestand, einige „Scherzis“ werden aber wohl in Zukunft in anderen Blasmusik-Formationen auf die Bühne zurückkehren.

Deswegen hören die „Scherzis“ auf

Moderator Frank Seitz erklärt die beiden Gründe für das Aufhören:

Erstens: Der TÜV für den Anhänger mit den Instrumenten ist abgelaufen. Zweitens: Wir werden zu alt.

Frank Seitz

 Nun werden Fotos einiger Musiker aus ihrer Anfangszeit gezeigt ‐ einige sind seit den 1990er-Jahren dabei, insgesamt 45 Mitglieder hatte die Scherzachtaler Blasmusik, 22 stehen heute auf der Bühne.

Immer wieder gab es nach den großen Jubiläen zum 20., 25. und 30. die Überlegung aufzuhören, jedes Mal beschloss man aber, noch fünf Jahre dranzuhängen. In der konzertfreien Coronazeit reifte die Entscheidung, auf Abschiedstour zu gehen, sobald Konzerte wieder möglich seien. 2023 war es dann also soweit und nach vielen umjubelten Auftritten im Umland folgte das zweitägige Finale in Wetzisreute vor über 1500 Zuschauern.

Mit Unterstützung des Musikvereins Schlier und der Feuerwehr Bodnegg konnte noch einmal ein würdiger Abschluss einer in der Region einmaligen Blasmusikgeschichte gefeiert werden. Nach über vier Stunden Musik und sechs Zugaben, Standing-Ovations, Publikumsgesang „Oh wie ist das schön“ und Tränen auf und vor der Bühne schließt sich das Kapitel „Scherzachtaler Blasmusik“ und hinterlässt dankbare Hauptdarsteller.

Für Norbert Gälle ist „ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen.“ Er ist „dankbar für die vielen Jahre und die überragenden Fans“. Dirigent Anton Gälle erlebte „zwei gigantische Konzerte vor unglaublichem Publikum in Wetzisreute, von denen ich noch Jahre zehren werde“.