Auf der Walz
Drei Wandergesellen finden in Oberschwaben eine neue Heimat
Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Lisamarie Haas
Am Ortsschild den Blick in die Ferne richten, sich nicht mehr umdrehen. Wer auf die Walz geht, lässt die Heimat hinter sich, für mindestens drei Jahre und einen Tag. Seit Jahrhunderten gehen Handwerker nach ihrer Gesellenprüfung auf Wanderschaft, um mit neuen Erfahrungen wieder nach Hause zurückzukehren.
Auch Sebastian Rüde, Holger Badekow und Nick Jessen sind mit dem festen Plan auf die Walz gegangen, irgendwann nach Hause zurückzukommen. Doch stattdessen haben sie in Oberschwaben eine neue Heimat gefunden.
Aus drei verschiedenen Orten
Die drei Männer kommen aus ganz unterschiedlichen Orten, gehören aber alle der Vereinigung der Rechtschaffenen Zimmerer an. Rüde kommt aus der Schweiz, Jessen aus Schleswig-Holstein und Badekow aus Niedersachsen. Auf der Walz waren sie zu unterschiedlichen Zeiten und jeder von ihnen an verschiedenen Orten.
Jessen und Badekow lernten auf ihrer Wanderschaft durch die Vereinigung den Altgesellen Sebastian Rüde kennen. Heute arbeiten sie alle in Rüdes Holzbaubetrieb in Ravensburg.

Zimmerer Rüde zog es neben Deutschland, Österreich und der Schweiz auch nach Asien und Australien. „Ich habe den Kulturschock gesucht“, sagt er. 2010 arbeitete er für ein paar Monate im Allgäu. An einem Samstagabend sprach ihn seine heutige Frau in einer Kneipe an. „Erzählst du mir deinen Spruch?“, fragte sie ihn. Und so begann eine zweijährige Fernbeziehung zwischen den beiden. Heute leben sie mit ihren Kindern in Ravensburg .
Holger Badekow lernte seine Frau 2018 im Harz kennen. Nick Jessen traf seine Freundin beim Blutritt in Weingarten, als 2018 zufällig gleichzeitig das Himmelfahrtstreffen der Handwerker-Vereinigung in Ravensburg stattfand. Wie der Zufall es wollte, verbindet Badekow und Jessen nicht nur die Wanderschaft und inzwischen die gemeinsame Arbeitsstelle. Ihre Partnerinnen sind obendrein Geschwister und kommen aus Ravensburg.
Nicht jeder Plan geht auf
Anfangs hatten die drei Männer fest geplant, nach der Walz wieder dorthin zurückzukehren, wo sie aufgewachsen sind. „Ich habe immer gedacht, ich komme nach drei Jahren wieder nach Lüneburg zurück“, sagt Badekow. Aber die Walz – und die Liebe – hatten andere Pläne.
Sebastian RüdeOft flucht man darüber, dass man kein Handy hat. Erst wenn man wieder zu Hause ist, lernt man, dass es eigentlich Freiheit bedeutet hat.
Die Vereinigung der Rechtschaffenen Zimmerer erlaubt nur Männern auf Wanderschaft zu gehen. Aber die Vereinigungen werden auch moderner, manche lassen Frauen zu und lockern ihre Vorschriften.
Doch die Rituale und Regeln haben auch einen Zweck. Es gehe um die Freiheit, die man nur erleben könne, wenn man ungebunden und nicht abgelenkt sei, sagt Sebastian Rüde. „Oft flucht man darüber, dass man kein Handy hat. Erst wenn man wieder zu Hause ist, lernt man, dass es eigentlich Freiheit bedeutet hat.“ Nur unverheiratete und kinderlose Gesellen unter 30 dürfen auf Wanderschaft gehen. Außerdem müssen sie schuldenfrei und dürfen nicht vorbestraft sein.
Geschichten, die man nie vergisst
„Unser Aussehen ist schon unsere Eintrittskarte“, sagt Rüde. Damit meint er die Kluft, die sich die meisten Wanderer maßanfertigen lassen und auch nach den Wanderjahren immer wieder zu wichtigen Anlässen tragen. Dazu gehören ein kragenloses, weißes Hemd, eine schwarze Weste, eine schwarze Jacke, schwarze Hose und Schuhe sowie ein Hut mit Krempe. Holger Badekow hat sogar in der Kluft geheiratet und sich dafür extra eine neue anfertigen lassen.
Ehre und Rechtschaffenheit lernen die jungen Männer in der Vereinigung auch. „Das Wort hat Wert“, sagt Badekow. Auf Wanderschaft gibt es nur die mündliche Verabredung. „Wenn man abspricht, man trifft sich, dann muss man sein Wort auch halten.“ Und: „Man geht immer unvoreingenommen auf andere zu.“ Beim Trampen hätten sie so viele persönliche Geschichten von unterschiedlichsten Charakteren gehört, während sie nur ein paar Minuten oder Stunden mit den Menschen geteilt haben. „Es ist krass, was man für Schicksale mitbekommt. Manche habe ich heute noch im Kopf“, erzählt Badekow.
Es geht laut Sebastian Rüde auf Wanderschaft auch darum, „sich die Hörner abzustoßen“. Man werde deutlich ruhiger und gelassener.
Sebastian RüdeManchmal hat man keinen Plan, manchmal hat man einen und manchmal kommt es auch ganz anders als gedacht.
So auch die Pläne für das Ende der Reise. Nach oben hin gibt es für die Wanderjahre eigentlich keine Grenze. „Aber irgendwann muss man auch wieder aufhören“, sind sich die drei Männer einig. Bei ihnen war der Auslöser für die Heimkehr vor allem das Gefühl, immer nur Gast zu sein, immer zu Besuch.
Angekommen in der neuen Heimat
Während der Wanderschaft eine Beziehung einzugehen, sei auch nicht immer einfach gewesen, reflektiert Rüde. „Es gehört viel Vertrauen dazu.“ Mit seiner Partnerin habe es auch mal Reibungspunkte gegeben. Ohne Handy waren die Männer oft ein paar Tage lang nicht erreichbar. Auf Wanderschaft vergehen die Tage schnell, zu Hause erscheint die Zeit viel länger. „Es ist nicht selbstverständlich, dass jemand das mitmacht. Es funktioniert mit der Richtigen, wenn man es ernst meint.“
Die Partnerinnen der Drei sind in Oberschwaben und vor allem Ravensburg fest verwurzelt. Ganz anders ist es bei den Wandergesellen. „Du bist drei Jahre weg, dann bist du entwurzelt“, sagt Sebastian Rüde. So sei für die drei Paare klar gewesen, dass sie sich nach den Wanderjahren dort niederlassen, wo die Frauen herkommen.
Die Kameraden sind zufrieden mit ihrem Wohnort, auch wenn es anfangs schwierig gewesen sei, mit den Schwaben warm zu werden. „Man muss erst lernen, mit ihrer etwas bruddligen Art umzugehen“, sagt Nick Jessen. „Man redet hier viel“, fügt er an. Aber neben der Verwurzelung mit der Familie gefällt den Männern an Oberschwaben vor allem die Lage. „Man ist von hier so schnell in den Bergen“, sagt Holger Badekow. „Alles ist überschaubar groß, persönlich, dörflich“, sagt Rüde. In einer Großstadt würde er nicht leben wollen.
In ihren früheren Heimatorten haben sie noch ihre Rückkehr gefeiert, wurden am Ortsschild wieder von Freunden und Familie empfangen. Aber heimisch geworden sind sie nun erst einmal ganz woanders.