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Sorge um Gesundheitsversorgung

Herr Lucha, was bedeuten die Krankenhausschließungen für die Menschen in der Region?

Baden-Württemberg / Lesedauer: 9 min

Wie viele Krankenhäuser gibt es künftig noch in der Region? Baden-Württembergs Gesundheitsminister spricht über unverzichtbare Standorte - und unverzichtbare Veränderungen.
Veröffentlicht:21.06.2023, 19:00

Von:
  • Katja Korf
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Wie viele Krankenhäuser gibt es künftig noch in Deutschland? Und welche Krankheitsbilder versorgen sie überhaupt noch? Darauf suchen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und seine Kollegen in den Ländern Antworten.

Denn fest steht: So wie bislang geht es nicht weiter. Allein in Baden–Württemberg steht ein Drittel der Krankenhäuser vor der Pleite, so viel wie in keinem anderen Bundesland.

Wer nicht schnell viele Patienten behandelt, gerät in Finanznot, es fehlen Ärzte und Pflegekräfte. Baden–Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) ist derzeit Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer. Er erklärt, welche Pläne es gibt und was Patienten in der Region erwartet.

Herr Lucha, die Gesundheitsminister der Länder treffen sich in der ersten Juliwoche in Friedrichshafen mit Bundesminister Karl Lauterbach. Wird Friedrichshafen Ort für einen historischen Beschluss zur Reform der Krankennhauslandschaft?

Ich hoffe. Wir müssen uns verständigen. Denn die Situation unserer Krankenhäuser ist prekär. Wir kennen die Probleme seit Langem. Sie haben sich nun durch die zahlreichen Krisen wie die Corona–Pandemie, Inflation und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine weiter verschärft. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass gute Kliniken weiter gute Arbeit leisten können.

Welche Probleme haben Deutschlands Krankenhäuser denn aus Ihrer Sicht?

Wir müssen gute medizinische Qualität stärken und bündeln. Gute Krankenhäuser brauchen personell und technisch eine möglichst optimale Ausstattung. Das wird nur über Konzentration an weniger Standorten gehen. Baden–Württemberg geht diesen Weg seit Jahren, er bewährt sich. Dazu benötigen wir eine gute medizinische Grundversorgung. Da haben wir derzeit noch viele Probleme, alternative Versorgungsmodelle mit den Krankenkassen abzurechnen und mit öffentlichen Zuschüssen zu versorgen.

Im Südwesten sinkt die Zahl der Klinken seit Jahren. In anderen Bundesländern sieht das deutlich anders aus. Leisten sich diese auf Kosten von Baden–Württemberg mehr Krankenhäuser?

Wir haben uns in der Tat schon auf den Weg gemacht. Über Nordrhein–Westfalen sagt man gerne, dass man im Ruhrgebiet von einem Krankenhaus zum nächsten springen kann. Dabei kannibalisieren sich solche Häuser gegenseitig, machen sich Personal und Patienten streitig. Das macht wenig Sinn. Bayern hat bei 13 Millionen Einwohnern rund 470 Krankenhäuser, darunter viele sehr kleine.

Zum Vergleich: Baden–Württemberg hat bei elf Millionen Einwohnern gut 200 Kliniken. Deswegen musste Nordrhein–Westfalen ja bereits eigene Schritte einleiten, um die knappen Ressourcen Geld und Personal sinnvoller einzusetzen. Und auch in Bayern weiß man, wie wichtig eine Reform ist — da sind die Parteien aber gerade im Wahlkampf, das macht es natürlich schwieriger.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat nach dem letzten Treffen der Gesundheitsminister verkündet, in der jetzigen Form werde der Freistaat den Plänen nicht zustimmen. Und Baden–Württemberg?

Wir wollen das Papier so verhandeln, dass es am Ende auch für den Bundesrat zustimmungsfähig ist. Die großen Flächenländer Baden–Württemberg, NRW und Hessen stehen da zusammen.

Stefanie Stoff–Ahnis, Vorständin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV), hält ein Viertel der Kliniken in Deutschland für verzichtbar. Teilen Sie diese Analyse?

Ich würde nie und nimmer solche pauschalen Äußerungen machen. Wir müssen regional das passende medizinische Angebot erhalten oder schaffen. Wir kennen unser Land und können zum Beispiel regional scharf die Altersstruktur oder Zahl der Erkrankten auswerten. Wir wissen, welche Klinik welche Stärken hat. Diese Informationen werden wir zusammen mit den Krankenhausträgern und Kommunen auswerten und entscheiden, an welchen Kliniken wir was bündeln und wo wir welche Angebote platzieren.

In diesem Punkt gibt sich Bundesgesundheitsminister Lauterbach öffentlich wenig kompromissbereit. Er will einheitliche Vorgaben für alle Kliniken in Deutschland.

Solche Entscheidungen regional passend zu treffen, ist ureigenste Aufgabe der Länder.

Sie sagen: Wo wir was bündeln. Das heißt: Es wird Klinikstandorte geben, die Leistungen nicht mehr erbringen, die sie heute anbieten.

Ja. Wir haben in Baden–Württemberg bereits geschaut, welche Klinik in einem Großraum zum Beispiel Geburtshilfe anbietet und welche nicht. Auch bei unserem Schlaganfall–Konzept haben wir durch genaue Analysen festgelegt, wo eine Schlaganfall–Einheit steht und wo nicht. Über 90 Prozent aller Patienten im Land erreichen dadurch im Notfall schnell eine auf Schlaganfälle spezialisierte Klinik. Nicht jedes Krankenhaus muss komplizierte Eingriffe wie eine Pankreas–Operation machen.

Es geht vielmehr darum, gute Medizin auch gut zu vergüten und den Druck aus dem System herauszunehmen, den die Abrechnungen nur über Fallpauschalen verursacht. Deswegen sollen Kliniken künftig Vorhaltungskosten erstattet bekommen für Behandlungen oder Operationen, die sie kompetent durchführen — aber ohne, dass sie das nötige Personal und die nötige Technik dafür durch eine hohe Auslastung mit Patienten refinanzieren müssen.

Es geht nicht ums Wegnehmen oder Schließen zum Selbstzweck. In Befragungen von Bürgern etwa in der Ortenau hat sich übrigens gezeigt: Erreichbarkeit ist nicht oberstes Kriterium für die Wahl einer Klinik — sondern medizinische Qualität.

Was heißt das konkret für die Region?

Standorte wie Biberach, Ravensburg, Friedrichshafen, Sigmaringen oder Villingen–Schwenningen sind aus meiner Sicht unverzichtbar als leistungsstarke Kliniken. Ulm als Standort der Universitätsmedizin ohnehin. Die Medizin, die da heute gemacht wird, wird da auch weiter angeboten, nur unter besseren Bedingungen. Wir brauchen vielleicht noch eine Lösung im bayerischen und württembergischen Allgäu. Wir haben unsere Hausaufgaben bereits in vielen Teilen des Landes gemacht.

Aber klar ist auch: Selbst an den Unikliniken wird nicht mehr jeder alles machen, was möglich ist, auch hier wird es Schwerpunkte geben. Personal und Geld sind endlich. Wenn es gut läuft, haben wir in zehn Jahren 20 Prozent Personal weniger zur Verfügung. Wenn es schlecht läuft, ein Drittel weniger. Da macht es überhaupt keinen Sinn, wenn Kliniken im Konkurrenzkampf um knappes Personal stehen, weil alle dasselbe machen.

Und wir müssen den Pflegekräften bessere Arbeitsbedingungen bieten. Das geht an großen Standorten einfacher — und an kleinen wird es auch besser, wenn sich das Personal auf wenige Dinge konzentrieren kann, auf die man spezialisiert ist. Perspektivisch kommt hinzu: Es wird in Zukunft weniger stationäre Aufenthalte geben, es wird mehr ambulant gemacht, weil der medizinische Fortschritt und neue Techniken es erlauben und damit Eingriffe noch stärker minimalinvasiv gemacht werden können.

Wie schnell werde ich beispielsweise bei der nächsten Geburtsstation sein, wie schnell in der nächsten Kinderklinik?

Die Geburtshilfe in Baden–Württemberg ist gut aufgestellt. Ich sehe derzeit keinen Grund für weitere Schließungen. Leider hat sich das Fallpauschalen–System auf die Kinderkliniken besonders nachteilig auswirkt, die Pädiatrie wird einfach zu schlecht vergütet. Da müssen wir wieder besser werden.

Regelmäßig müssen sich in der Region Notaufnahmen vom Dienst abmelden, weil sie überlastet sind. Der Rettungsdienst berichtet von langen Fahrten mit Notfallpatienten bis zur nächsten Notaufnahme.

Ja, auch da haben wir leider Luft nach oben. Der Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat dazu aber gerade einen sehr guten Vorschlag vorgelegt. Und auch im Land sind wir auf einem guten Weg gemeinsam mit dem Innenministerium. Wir brauchen eine noch bessere Luftrettung, mehr Möglichkeiten für Nachtflüge, mehr rollende Intensivstationen — und wir müssen Notfallpraxen und Notaufnahmen zielgerichteter belegen.

Aber auch hier gilt es, genau hinzuschauen. Ein Gutachten der Oberschwabenklinik hat zum Beispiel gezeigt: Von den Patienten der Notaufnahmen im Krankenhaus Bad Waldsee waren am Ende nur acht Prozent echte Fälle fürs Krankenhaus. Wir müssen außerdem die Gesundheitskompetenz der Bürger stärken, damit jede und jeder weiß, in welchem medizinischen Fall sie wo am besten versorgt werden. Auch Telemedizin kann uns da künftig helfen.

Der Marburger Bund als Interessensvertretung der Klinikärzte warnt: „Versorgungssicherheit muss im Vordergrund stehen.‟ Sonst drohe eine „Wartelistenmedizin‟ wie in anderen europäischen Ländern mit bis zu einem Jahr Warten auf planbare Operationen. Droht uns das?

Wenn wir zu wenig Personal haben und es nicht optimal einsetzen, werden wir nicht alle Dinge sofort erledigen können. Dabei geht es unter anderem bei dieser Reform, daran etwas zu ändern.

Die Abrechnung per Fallpauschale gilt als eine der Hauptursachen für die Misere. Warum werden die nicht komplett abgeschafft — der Bundesgesundheitsminister hatte doch ein Ende der Ökonomisierung im Gesundheitssystem versprochen?

Der Anteil der Mengenpauschalen wird deutlich reduziert, wahrscheinlich auf 40 Prozent der Gesamtbudgets. Die genauen Anteile hat der Bund noch nicht festgelegt. Wenn wir bei der Aufteilung bleiben, sollen noch einmal 40 Prozent in die Vorhaltung von Personal und Technik fließen, 20 Prozent in das Pflegebudget.

Man muss sich schon vergegenwärtigen, warum die Fallpauschalen einst eingeführt wurden: Die Kosten in deutschen Krankenhäusern waren damals explodiert, es gab sehr, sehr lange Liegezeiten. Ressourcen sind eben nicht unbegrenzt vorhanden, das muss man schon irgendwie steuern. Der medizinische Fortschritt der vergangenen 30 Jahre sowohl in den hochspezialisierten Bereichen als auch in der Basisversorgung muss bei allen Menschen ankommen.

Das Problem bislang nach einer Krankenhausschließung ist aber oft: Die Klinik schließt, das versprochene Nachfolgemodell gibt es noch nicht. Und eine Notaufnahme haben diese Zentren auch nicht. Gibt es da Aussichten auf Besserung?

Genau dafür haben wir im Land bereits einige sehr gute Modelle, davon will der Bund lernen — etwa unsere Modellversuche mit Primärversorgungszentren. Leider ist es bislang oft sehr schwierig, Primärversorgungszentren zum Laufen zu bringen. Wir sind da wahnsinnig überreguliert. In Calw oder Hohenstein funktionieren solche Versorgungszentren gut.

Anderswo — etwa in Spaichingen — haben wir administrative Probleme. Die hoffen wir aber, auch im Zuge der anstehenden Reform lösen zu können. Das Beispiel des „14 Nothelfer“ in Weingarten zeigt doch ebenso eindrucksvoll wie schmerzhaft, dass eine unmittelbare Nähe zweier konkurrierender Kliniken einfach nicht zukunftsfähig ist. Erst recht nicht, wenn 800 Meter weiter ein leistungsstarkes Krankenhaus wie Sankt Elisabeth steht.