Messerattacke
Dieser Mann soll den Marienplatz sicherer machen
Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Der wichtigste Treffpunkt in Ravensburg ist nicht erst seit der Messerattacke vor wenigen Wochen als Brennpunkt unter Veruf geraten. Ein Streetworker soll die Probleme jetzt angehen.
Sie kommen mit großen Erwartungen nach Deutschland: Jugendliche Flüchtlinge denken oft, sie könnten schnell eine Arbeit bekommen, ein Auto fahren, reich werden, Geld nach Hause schicken. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Eingepfercht in einer Flüchtlingsunterkunft auf wenigen Quadratmetern, haben manche Schwierigkeiten, Schriftdeutsch zu lernen, was wiederum Voraussetzung für eine duale Ausbildung ist. Einige geben dann auf und treffen sich lieber mit Freunden in der Ravensburger Innenstadt, trinken und pfeifen Frauen hinterher. Um die Probleme anzugehen, hat der Gemeinderat im August eine Streetworker-Stelle bewilligt. Für 18 Monate zunächst.
Zwei Hauptgruppen im Visier
Sozialarbeiter Bernhard Pesch vom Verein Arkade ist jetzt seit zehn Wochen im Dreieck Marienplatz , Bahnhof, alter Friedhof (an der Meersburger Straße) unterwegs, um Kontakte zu knüpfen und Vertrauen aufzubauen. Zwei Hauptgruppen von jungen Männern, die Passanten manchmal stören, hat er schon ausgemacht: Die eine stammt aus Syrien, die andere aus Afghanistan. Während die Syrer aber als Flüchtlinge anerkannt sind und nicht fürchten müssen, von heute auf morgen abgeschoben zu werden, ist die Lage für die Afghanen relativ hoffnungslos. „Sie haben Antrag auf Asyl gestellt, sind abgelehnt worden und klagen jetzt dagegen.“
Pesch versucht, ihnen klarzumachen, dass sie nur durch den Besuch von Deutschkursen eine Ausbildungsstelle bekommen können, die sie am Ende zumindest für einige Jahre vor einer Abschiebung schützen wird. Ansonsten haben sie kaum eine Chance, dauerhaft im Land zu bleiben. Die Ehe mit einer deutschen Frau ist laut Bürgermeister Simon Blümcke, in dessen Zuständigkeit das Thema öffentliche Sicherheit fällt, mittlerweile kein Abschiebehemmnis mehr.
Im Vordergrund der Arbeit des Streetworkers stehen oft ganz praktische Probleme. Zum Beispiel Schulden, weil sich eine Handyrechnung von 2500 Euro aufsummiert hat. Oder dass es in Deutschland eben nicht erlaubt ist, auf der Straße einen Joint zu rauchen. „Im Grunde sind das richtig nette Jungs, die wahnsinnig dankbar sind, wenn sich jemand um sie kümmert. Aber sie sind eben auch unheimlich verzweifelt, können nicht gut mit Alkohol umgehen, trinken dann bis zum Filmriss und begehen Ordnungswidrigkeiten.“
Der Gemeinderat hatte die Streetworkerstelle nach zunehmenden Beschwerden von Bürgern eingerichtet, die sich vor allem auf dem nördlichen Marienplatz nicht mehr sicher fühlten. Dort treffen mehrere Gruppen aufeinander, die mitunter Probleme machen. Neben den Flüchtlingen auch Drogenabhängige, Alkoholiker, Punker und angeblich sogar laut Berichten aus dem Schülerrat eine Gruppe von deutschen Gymnasiasten, die Mitschüler mobben und körperlich drangsalieren. Pesch hatte aber in den ersten zehn Wochen hauptsächlich mit den Flüchtlingen zu tun. Die meist älteren Drogen- und Alkoholabhängigen werden vom Kontaktladen „Die Insel“ in der Rosmarinstraße betreut.
Dass sich die Brennpunkte in Ravensburg von heute auf morgen entschärfen, ist unwahrscheinlich. „Streetwork lässt sich nicht mit der Arbeit der Polizei vergleichen“, sagt Bürgermeister Blümcke . „Man muss sich Zeit lassen und darf keine Wunder erwarten. Wir werden da auf jeden Fall einen längeren Atem brauchen.“
Die Innenstadt als Treffpunkt
Etwa 80 Prozent der sogenannten Stresser vom Marienplatz würden gar nicht in Ravensburg wohnen, sondern in der näheren Umgebung und nach der Schule oder den Integrationskursen in die Innenstadt kommen, um sich zu treffen. Die Polizei hätte schon Betretungsverbote und Platzverweise ausgesprochen, allerdings mit mäßigem Erfolg. „Eine der Jungs sind mehr oder weniger Analphabeten und verstehen die behördlichen Schreiben gar nicht“, erklärt Pesch. „Sie sprechen zwar ganz gut Deutsch, können es aber nicht lesen.“
Seine Hilfe nehmen sie deshalb dankbar an. Mit dem 19-jährigen Afghanen Sayeed aus Horgenzell geht der 49-jährige Sozialarbeiter an diesem Nachmittag zum Anwalt, anschließend trifft er sich mit einigen jungen Syrern in deren WG in der Unterstadt. Sie gehören nicht zu den problematischen Flüchtlingen, sondern arbeiten schon, gehen zur Schule oder machen eine Ausbildung. Die jungen Männer sind aber ratlos, weil ihnen die Wohnung gekündigt worden ist und sie nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Sie wurde ihnen untervermietet, womit sich die gesetzliche Kündigungsfrist auf zwei Wochen verkürzt. Pesch empfiehlt auch ihnen, zum Anwalt zu gehen, und hilft bei der Suche. „Wahrscheinlich werden sie aber am Ende in die Flüchtlingsunterkunft zurückmüssen. Der Wohnungsmarkt ist ja so schon angespannt genug.“