Bitterer Rekord
So viele Straftaten in der Region wie in den vergangenen zehn Jahren nicht
Kreis Ravensburg/Bodenseekreis/Kreis Sigmaringen / Lesedauer: 5 min

Paul Martin
Ein bitterer Rekord: In den vergangenen zehn Jahren gab es nie so viele Straftaten wie im zurückliegenden Jahr 2022.
Wie sich das erklärt und warum Polizeipräsident Uwe Stürmer die Landkreise Ravensburg, Sigmaringen und den Bodenseekreis dennoch zu den sichersten in Deutschland zählt: Ein Blick in die Kriminalstatistik, die das Polizeipräsidium Ravensburg am Montag veröffentlicht hat.
So wirkt sich die Pandemie auf die Kriminalität aus
4.172 Straftaten mehr als 2021 hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert. Insgesamt waren es 30.629 Delikte. Ein deutlicher Anstieg — auf den ersten Blick. Beim Vergleich mit dem Vor–Corona–Jahr 2019 zeigt sich die Zunahme mit 900 zusätzlich registrierten Straftaten moderater.
Die Pandemie hat sich laut Polizei direkt und indirekt auf die Zahlen ausgewirkt. Ein Beispiel: der Fall einer Ärztin aus dem Bodenseekreis, die im Zusammenhang mit unsachgemäßen Impfungen angezeigt wurde.
Allein deswegen tauchen in der Statistik mehr als 300 Fälle im Bereich der gefährlichen Körperverletzung auf. Unter anderem dadurch wird bei den Körperverletzungsdelikten ein Zuwachs von mehr als 90 Prozent ausgewiesen.
Ein weiterer Faktor, den die Polizei zur Einordnung der Zahlen angibt: die gestiegenen Straftaten nach dem Ausländerrecht. Unter den 30.629 Straftaten sind allein 1.764 Fälle des unerlaubten Aufenthalts. Ohne die ausländerrechtlichen Verstöße lägen die Fallzahlen laut Polizei auf Vor–Corona–Niveau.
50 Prozent mehr Häusliche Gewalt
Dennoch setzt sich der Trend sinkender Fallzahlen nicht fort. In manchen Bereichen ist der Anstieg enorm: Etwa 50 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr wurden bei der häuslichen Gewalt angezeigt.
Bei sexueller Nötigung und Belästigung, sowie bei sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung stiegen die gemeldeten Fälle in 2022 um mehr als 18 Prozent. Eine Tendenz, die es landesweit in diesem Maß nicht gibt: Hier erhöhten sich die Zahlen im Durchschnitt um 3,2 Prozent.
So erklärt sich die Polizei den Anstieg
Die Erklärungsansätze des Polizeipräsidiums gehen von mehr öffentlichen Diskussionen und Aufklärungskampagnen, wie der Me–Too–Debatte oder „One Billion Risiung“ aus.
Diese hätte dazu geführt, dass mehr Opfer entsprechende Delikte anzeigt haben. Außerdem könnte, wie aus dem Sicherheitsbericht hervorgeht, „eine Zunahme von Strafanzeigen von Frauen aus bisher weniger vertretenen Kulturkreisen“ zum Anstieg beigetragen haben.
„Auch, wenn dadurch das Dunkelfeld weiter aufgehellt wird, stellen die statistisch erfassten Taten lediglich die Spitze eines Eisbergs dar“, so der Appell von Uwe Stürmer.
Polizei und Gesellschaft dürften zum Schutz der Opfer nicht nachlassen, diese Straftaten anzuzeigen und gegen die Täter konsequent vorzugehen.
Cyberkriminalität: Angriffe aus dem Internet
Konsequent vorgehen will die Polizei auch gegen den anhaltenden Trend zur Verlagerung der Kriminalität ins Internet. Die Fälle von Computerkriminalität und Computerbetrug haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen.
Eine Erklärung: Neben den teils hohen „Gewinnspannen“, die Cyberkriminelle durch Erpressungen oder Manipulation von Daten erzielen können, senkt das Agieren aus der Anonymität des Internets heraus das Entdeckungsrisiko.
„Wenn früher eine Alarmanlage und bauliche Sicherungstechnik zum Schutz eines Unternehmens ausreichte, so muss heute vor allem die IT–Infrastruktur gegen kriminelle Cyberangriffe einer digitalen Mafia geschützt werden, damit es nicht zum Missbrauch von Kunden– oder Auftragsdaten oder zur Störung von Betriebsabläufen kommt“, mahnt Leitender Kriminaldirektor Alexander Dürr.
Einen „Boom“ gibt es laut Präsidium beim sogenannten „Callcenter–Betrug“, also Anrufstraftaten mithilfe des Internets. Zwar versuche man durch breit angelegte Aufklärungskampagnen, dass die Betrüger weniger Beute bekommen, dennoch wird wöchentlich vermeldet, dass Opfer teils hohe Summen übergeben haben.
27 mal Mord und Totschlag in einem Jahr
Weniger statistisch auffallend waren im vergangenen Jahr die Zahlen bei Mord und Totschlag. Von den sogenannten Straftaten gegen das Leben gab es mit 27 in 2022 eine mehr als im Vorjahr. In sechs Fällen wurde wegen Mordes ermittelt, vier davon waren Versuche.
Für Aufsehen sorgte etwa ein Fall im März vor einem Jahr in einer Obdachlosenunterkunft in Sigmaringen. Hier war ein Streit eskaliert, in dessen Zusammenhang ein 28–jähriger mit einem Messer verletzt wurde und wenig später in einer Klinik starb. Der 60–jährige Täter wurde vom Landgericht Hechingen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Zu lebenslanger Haft wurde im Februar dieses Jahres ein Nigerianer verurteilt, der im April 2022 in einer Asylbewerberunterkunft in Kressbronn einen Syrer erstochen hatte.
In einem weiteren Fall laufen die Ermittlungen des Kriminalkommissariats noch an: Am Leutkircher Skaterplatz soll es im November ein versuchtes Tötungsdelikt gegeben haben. Der Tatverdächtige war zwar zunächst geflohen, konnte kurz darauf von mehreren Polizeistreifen vorläufig festgenommen werden.
Wohnungseinbrüche gehen langfristig zurück
Positiv ist die langfristige Entwicklung der Zahlen bei den Wohnungseinbrüchen. Gab es vor zehn Jahren noch 448 Fälle, waren es in 2022 noch 158. Zugenommen hat hingegen die Anzahl der Ladendiebstähle.
Und zwar um 560 Fälle auf insgesamt 1976. Im Sicherheitsbericht wird spekuliert: „Dass dieser augenfällige Anstieg auf die gestiegenen Lebenshaltungskosten und dadurch knapper gewordenes Haushaltsgeld zurückzuführen ist, liegt nahe, lässt sich aber nicht belastbar belegen.“
So viele Fälle lösen die Beamten
Insgesamt bilanziert Polizeipräsident Uwe Stürmer: „Trotz der Zunahme der registrierten Delikte leben die Menschen in den zu unserem Zuständigkeitsbereich gehörenden Landkreisen Ravensburg, Sigmaringen und Bodenseekreis deshalb nach wie vor in einer der sichersten Regionen Deutschlands.“
Die sogenannte Häufigkeitszahl, also die Zahl der Straftaten pro 100.000 Einwohner, liegt mit 4.804 im Jahr 2022 immer noch unter dem Landesdurchschnitt von 4.944. Die Aufklärungsquote hingegen liegt mit 64,6 Prozent über dem Landesschnitt von 61,4 Prozent. Bei nahezu zwei Dritteln aller Straftaten im Jahr 2022 sind die Tatverdächtigen also bekannt.