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Professor zur Windenergie: „Man müsste sich am Potenzial orientieren“

Ravensburg / Lesedauer: 12 min

Im ganzen Land sind in Wäldern Windparks geplant. Das stört Professor Dirk Schindler nicht. Er plädiert für den Ausbau der Windenergie, kritisiert aber auch die Politik.
Veröffentlicht:10.10.2023, 19:00

Von:
  • Philipp Richter
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Deutschland braucht den massiven Ausbau von Windenergie, auch wenn dafür viele Bäume gerodet werden müssen. Davon ist Dirk Schindler überzeugt. Er ist Professor für Forstwissenschaft und Umweltmeteorologie an der Universität in Freiburg. Dass in Baden-Württemberg hauptsächlich Wälder im Fokus stehen, stört ihn dabei nicht. Warum er das Fällen von Bäumen für vertretbar hält und gleichzeitig aber die Politik in Bezug auf den Ausbau von Windenergie kritisiert und warum es bei Windparks mit der Effizienz hapert, erklärt er im Interview.

Herr Professor Schindler, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn in vielen baden-württembergischen Wälder Bäume für Windräder gefällt werden?

Wir brauchen in Deutschland einen massiven Ausbau der Windenergie, und da Baden-Württemberg ein Teil von Deutschland ist, muss es sich daran beteiligen. Wenn ich mir den Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg anschaue, wäre ich froh, wenn die Windenergieanlagen immer dort geplant, genehmigt und errichtet würden, wo die Windressource am besten verfügbar ist und genutzt werden kann.

Zur Person

Dirk Schindler

Professor Dirk Schindler ist Forstwissenschaftler und Professor am Lehrstuhl für Meteorologie und Klimatologie des Instituts für Geo- und Umweltnaturwissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Gegenstand seiner Forschung sind die Wechselwirkungen zwischen der Erdoberfläche und der Atmosphärischen Grenzschicht. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ergründet er Möglichkeiten, die zu Effizienzsteigerungen bei der Nutzung von Wind führen. Seit Juni 2022 ist er der stellvertretende Vorsitzende des Klima-Sachverständigenrates, der die baden-württembergische Landesregierung berät.

Mich stört weniger, dass im Wald gebaut wird. Ich würde eher darauf setzen, dass man die Standorte wählt, an denen die Windressource am größten ist. So erreicht man eine höhere Effizienz der Windenergienutzung, eine höhere Glaubwürdigkeit und es braucht weniger Windenergieanlagen im Land.

Aus Ihrer Sicht wird also die Windkraft oftmals dort geplant, wo sie nicht effizient ist?

Genau. In Baden-Württemberg werden bei der Entscheidung über potenzielle Windenergieanlagenstandorte verschiedene Schutzgüter wie etwa Arten-, Immissions-, Landschafts- und Klimaschutz gegeneinander abgewogen. Für einen umfassenden Klimaschutz haben wir in Deutschland und Baden-Württemberg allerdings sehr wenige Möglichkeiten, entscheidende Beiträge zu liefern. Klimaschutz hat das größte Potenzial im Bereich der Erneuerbaren Energien, und deshalb müsste man deren Ausbau optimal gestalten. Dafür müsste man dann aber immer die ertragreichsten Standorte nutzen. Meine zentrale Forderung ist daher, dass man die Ressourcen dort nutzt, wo sie am besten verfügbar sind.

Sie kritisieren also den Ausbau der Erneuerbaren Energien, wie er jetzt stattfindet.

Wir haben uns in Deutschland dazu entschieden, einen Ausbau anzustreben, der auf kleinen Flächen gestartet wird ‐ zum Beispiel auf kommunalen Flächen oder Flächen, die Regionalpläne bestimmen. Bei den variablen Erneuerbaren Energien müsste man es eigentlich umgekehrt machen und einen nationalen oder landesweiten Ausbauplan abarbeiten, in dem die ertragreichsten Standorte priorisiert werden.

Startet man den Ausbau auf kleiner räumlicher Ebene, können immer nur die relativ besten Standorte in einem Raum genutzt werden. Das heißt, wenn im Rahmen der Regionalplanung Windenergieanlagenstandorte ausgewiesen werden müssen, dann kann man nur solche ausweisen, die im Planungsgebiet liegen, was aber bedeuten kann, dass dies nicht die absolut besten Standorte für die Windressourcennutzung sind.

Können Sie diesbezüglich eine Einschätzung für die Region Bodensee-Oberschwaben geben?

Eine grobe Einschätzung sicherlich: In Deutschland treten an den Nord- und Ostseeküsten die höchsten Windgeschwindigkeiten auf. In den südlichen Bundesländern erzielt man die höchsten Erträge immer in den höchsten Lagen der Mittelgebirge. Dann werden die Standorte, an denen die Erträge aus wissenschaftlicher Sicht effizient sind, immer geringer und erfordern eine extrem gute Exploration. In meiner Auswahl wären sicherlich wenige Standorte rund um den Bodensee. Dennoch kann man heutzutage Windenergieanlagen, die aus ressourcenzentrierter Sicht nicht effizient sind, rentabel betreiben.

Sie sagten, dass es Sie nicht sehr stört, wenn im Wald für Windparks Bäume gefällt werden. Blutet Ihnen als Forstwissenschaftler dabei nicht das Herz?

Nein, überhaupt nicht. Wir stehen vor der immensen Herausforderung, den globalen und regionalen Klimawandel abzuschwächen. In Deutschland können wir dafür nur einen messbaren Beitrag liefern, indem wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv forcieren. Der Energiesektor ist die zentrale Stellgröße. Ich habe für mich die Abwägung getroffen, welches Schutzgut die größte Bedeutung für die Zukunft Baden-Württembergs mit all seinen Teilen der Zivilgesellschaft hat, und das ist der Klimaschutz.

Für den Klimaschutz ist es unerlässlich, dass die Windenergie an den Standorten ausgebaut wird, an denen sie effizient genutzt werden kann. Das sind in Baden-Württemberg nun mal viele Waldstandorte, weil wir im Land eine Waldbedeckung von 38 Prozent haben. An anderen Standorten besteht eine große Konkurrenz mit Siedlungs- und Verkehrsflächen oder anderer Infrastruktur. Viele Flächen im Land sind nicht entwickelbar, weil die Windressource zu gering ist.

Gegner von Windparks führen unter anderem an, dass bei den Windparkstandorten in den Wäldern dem Klima geschadet wird und der Nutzen sich in Grenzen hält. Wie schätzen Sie das ein?

Der Benefit einer Windenergieanlage für den Klimaschutz ist sehr viel größer als der eines Hektars Wald. Pro Windenergieanlage kann man von ungefähr 0,6 Hektar dauerhaftem Flächenverbrauch ausgehen, wenn man die Kranflächen mit berücksichtigt. Die mit der Herstellung und Errichtung von Windenergieanlagen verbundenen Treibhausgasemissionen amortisieren sich bereits nach wenigen Monaten.

Danach substituieren Windenergieanlagen über viele Jahre sehr große Mengen fossiler Brennstoffe, die weit über die Mengen hinausgehen, die die umgenutzten Waldflächen im gleichen Zeitraum substituieren würden. Der Benefit ist also viel größer. Allerdings gibt es weltweit nur sehr wenige Untersuchungen, die sich mit den Auswirkungen von Windenergieanlagen auf den Wald beschäftigen. Und die Untersuchungen, die es gibt, haben oft Defizite, weil sie erst durchgeführt wurden, nachdem die Anlagen errichtet wurden. Das heißt, es gibt keine Vorher-Nachher-Vergleiche oder Vergleiche mit Kontrollstandorten.

Wir wissen also gar nicht, wie die Veränderungen ausfallen?

Im direkten Umfeld von Windenergieanlagen sind die Rodungsflächen offensichtlich. Aber über die Fernwirkungen, die sich potenziell durch den Betrieb der Anlagen ergeben, gibt es wenige wissenschaftliche Erkenntnisse. Man kann zum Beispiel bezogen auf die Veränderungen der Lufttemperatur oder der Verdunstung keine allgemeingültige Aussage treffen.

Es gibt bisher für solche Fragestellungen weniger als eine Handvoll aussagekräftige wissenschaftliche Studien weltweit. Man stochert hier im Trüben. Deshalb plädiere ich dafür, deutlich mehr Forschung zu fördern, wenn man hierzu valide, generalisierbare Aussagen treffen möchte.

Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass sich das Mikroklima direkt am Windrad durch Verwirbelung verändert. Hat dies Auswirkungen auf die Temperatur im gesamten Wald?

Bezogen auf große Waldflächen sicherlich nicht. Es gibt zwar wenige Studien, die sich mit den Auswirkungen auf die Luft- und Oberflächentemperatur beschäftigt haben. Mit ihnen hat man untersucht, wie sich die Temperaturen lokal verändern, wenn man den Wald im Bereich von Windenergieanlagenstandorten rodet. In den Studien werden meistens extreme Situationen herausgestellt.

An den effizientesten Standorten müsste die Windenergie Vorrang vor Artenschutz haben, findet Professor Dirk Schindler. (Foto: IMAGO/Hans Blossey)

Es werden zum Beispiel Tage als Regelfall präsentiert, an denen die Sonne auf die Erde um Windenergieanlagen brennt, was dann zu einem klaren Unterschied in den Temperaturwerten zu benachbarten Waldflächen führt. Sobald es aber bewölkt ist, ist der Temperaturunterschied nicht mehr vorhanden oder deutlich geringer. Das sind aus wissenschaftlicher Sicht Extrembeispiele, die nicht verallgemeinerbar sind.

Beispiel Altdorfer Wald im Landkreis Ravensburg: Er ist 82 Quadratkilometer groß, es gibt bereits mehrere Kiesgruben im Wald, derzeit wird ein Großprojekt mit 39 Windrädern geplant, dazu kommen noch kleine Windparks. Glauben Sie, dass hier ein intakter Wald und sein Ökosystem bewahrt werden können? Oder sehen Sie hier Konflikte?

Wenn man Windenergieanlagen errichtet, verändert man die Umwelt. Das ist ganz klar. Noch viele ungeklärte Fragen gibt es zur Reichweite der Wirkungen durch die Veränderungen. Dort, wo die Anlagen stehen, muss man Waldfläche roden, zum Teil werden die gerodeten Bäume durch potenziell klimaangepassteren Mischwald ersetzt.

Die Fernwirkung durch die Errichtung von Windenergieanlagen kann man noch nicht quantifizieren, weil es keine generalisierbaren Untersuchungen dazu gibt, aber von den Raumskalen ausgehend gedacht, sehe ich hier keinen Einfluss. Dass hierdurch das Waldklima als Ganzes verändert wird, schließe ich aus. Was man zudem bedenken muss: Windenergieanlagen verwirbeln die Luftschichten über Wäldern.

Der Baumkronenraum ist eine Sperre, die den Austausch zwischen Atmosphäre, Bestandesraum und Boden stark reduziert. Man kann also nicht grundsätzlich davon ausgehen, dass eine rotierende Windenergieanlage vom Rotor bis an den Erdboden ungehindert Prozesse im Wald beeinflussen kann, weil der Kronenraum als Riegel wirkt. Bisher gibt es zu dieser Thematik allerdings keine generalisierbaren Erkenntnisse.

Befürworter von Windkraft sprechen gar davon, dass die Aufforstung eine Chance für einen ökologischen Waldumbau sein kann. Wie sehen Sie das?

Ich würde das nicht in der Dimension eines Waldumbaus sehen. Für mich ist etwas anderes wichtig: Wenn wir uns jetzt nicht um den Klimaschutz durch die Nutzung von Erneuerbaren Energien kümmern ‐ und das gelingt in Deutschland vor allem durch den radikalen Ausbau von Solar-PV und Windenergie –, dann kann es sein, dass man den Wald, den man jetzt erhalten und schützen möchte, in 10, 20 oder 30 Jahren verliert, weil sich Baden-Württemberg durch Klimawandel enorm erwärmt und die Niederschlagsmengen seit mehreren Jahrzehnten zurückgehen.

Unter Umständen ist das Waldbild, das man heute vor Augen hat, im Laufe des Jahrhunderts gar nicht mehr realisierbar. Das wäre für mich das viel wichtigere Argument für den Ausbau der Windenergie. Unter Umständen könnte es sein, dass wir uns in den nächsten Jahrzehnten für Baumarten entscheiden müssen, die viel wärmeliebender und trockentoleranter sind als die bislang in Baden-Württemberg vorkommenden Baumarten, weil diese dann nicht mehr im Land wachsen. Ohne die Nutzung der Erneuerbaren Energien haben wir in Deutschland kaum Möglichkeiten, im großen Umfang zum Klimaschutz beizutragen. Auch deshalb ist das Klima für mich das wichtigste Schutzgut, das man dringend priorisieren müsste.

Für die Windräder müssen enorme Fundamente gebaut werden, und für den Bau wird es Schwerlastverkehr geben. Welche Auswirkungen hat die Bodenverdichtung auf den Wald?

Da kann ich mir nur eine weitere Verdichtung der Wege und der Rangierflächen vorstellen, wobei die Rangierflächen nicht als Ganzes dauerhaft verdichtet sind. Die nicht permanent benötigten Flächen werden wieder bewaldet. Für die Zuwegung zu den Anlagen werden in der Regel die vorhandenen Forstwege genutzt, und diese sind schon immer unnatürlich verdichtet. Daher würde ich keine besonderen Auswirkungen erwarten.

Welche Ratschläge würden Sie den Windparkprojektierern geben?

Ich würde eher am regulatorischen Werk etwas ändern und Politik und Verwaltung empfehlen, sich auf Standorte zu konzentrieren, die die besten Windressourcen aufweisen. Im Prinzip bräuchten wir Zonen, in denen die Nutzung von Erneuerbaren Energien vor allen anderen Schutzgütern priorisiert wird. In diesen Zonen würden die Windparkprojektier dann die besten Bedingungen vorfinden. Jedes Unternehmen ist daran interessiert, die besten Standorte zu entwickeln, weil dort die Windenergieerträge am höchsten sind. Aber das geht nur, wenn diese Standorte zugänglich und entwickelbar sind.

Die effizientesten Standorte in Baden-Württemberg sind welche?

Das sind in der Regel die Höhenzüge der Mittelgebirge. Die besten Standorte gibt es auf den größten Höhen des Schwarzwaldes. Für diese höchstgelegenen Standorte müsste man sich zuallererst überlegen, ob und welche Flächen man in eine Priorisierung der Windenergie einbezieht. Wenn man die Priorisierung nach den höchsten Windgeschwindigkeiten vornimmt, ist die Feldbergregion ideal. Das ist eine Region, in der die Windenergienutzung besonders effizient wäre, allerdings befindet sich dort das älteste Naturschutzgebiet Baden-Württembergs.

Halten Sie die gesetzlichen Vorgaben für die Errichtung von Windparks für ausreichend, um die Umwelt zu schützen?

Die Genehmigungsverfahren sind sehr langwierig und aufwendig. Ich halte die Vorgaben für ausreichend. Für mich stellt sich eher die Frage, warum man im Genehmigungsverfahren nicht viel stärker Klimaschutz priorisiert. Klimaschutz heißt Verringerung von Treibhausgasmissionen verbunden mit der Nutzung von Energie. Letztendlich müssen dafür immer die Standorte entwickelt werden, an denen Windenergieanlagen am effizientesten betrieben werden können, weil dann die Substitutionseffekte gegenüber der Nutzung von konventionellen Energieträgern am höchsten sind.

Bei der Regionalplanung werden doch die windhöffigsten Standorte bereits priorisiert.

In vielen Regionen scheiden effiziente Standorte von vornherein aus und kommen durch die Priorisierung anderer Schutzgüter als das Klima gar nicht erst in die Planung. Das sind zum Beispiel Flächen, die als besonders schützenswert gelten. Die Frage, die sich die Gesellschaft stellen muss: Welches Schutzgut möchte man prioritär schützen? Aus meiner Sicht ist das das Klima.

Das würde bedeuten, die Windenergie etwa über den Artenschutz zu stellen.

An den Standorten, die besonders für die Nutzung von Windenergie geeignet sind, ja. An anderen Standorten, die für Windenergienutzung weniger geeignet sind, würde ich es anders machen. Man müsste die Standorte, die besonders geeignet sind, priorisieren, weil man dort mit weniger Anlagen auskommen kann. Ein Flächenziel oder eine bestimmte Anzahl an geforderten Anlagen ist sicherlich die falsche Herangehensweise. Man müsste sich am Windpotenzial orientieren.

Sie haben sich in einer Studie mit den Klimaveränderungen in der Zukunft beschäftigt und herausgefunden, dass bis 2060 mit weniger Wind zu rechnen ist. Welche Handlungsempfehlungen können Sie aus Ihren Erkenntnissen ableiten?

In Deutschland haben wir den Pfad der Nutzung von Wind- und Solarenergie zur Energieversorgung eingeschlagen. Klimawandelbedingt muss man allerdings auch mit einer Abnahme der Windgeschwindigkeiten rechnen. Dadurch könnte irgendwann ein wesentlicher Beitrag zur Stromerzeugung fehlen.

Dass wir nicht nur in den nächsten 30 Jahren mit Wind Strom erzeugen müssen, sondern auch darüber hinaus, wurde bisher nur in sehr wenigen wissenschaftlichen Studien thematisiert. Deswegen sollte auch hier die langfristige Effizienz der Windenergienutzung bei der Standortwahl im Vordergrund stehen.

Effiziente Anlagen hätten dann vermutlich eine höhere Akzeptanz zur Folge.

Ich kann die Menschen verstehen, die sich fragen, warum man Windenergieanlagen, die an wenig effizienten Standorten errichtet worden sind, dort platziert hat. Ist ersichtlich, dass Windenergieanlagen effizient betrieben werden können und erkennbar zur Energiewende beitragen, würde das die Akzeptanz sicherlich erhöhen.