Es hagelt Kritik
Mediziner sprechen Klartext: die wahren Gründe für den Hausarztmangel
Kreis Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Paul Martin
Das „perfekte Match“ wollte der Landkreis am Montagabend in der Ravensburger Zehntscheuer ermöglichen: Junge Mediziner sollten auf Hausärzte treffen, die bald zwecks Ruhestandsplanung ihre Praxis übergeben wollen. Insgesamt drei junge Ärzte haben sich unter den mehr als 50 anwesenden als niederlassungswillig zu erkennen gegeben.
Doch im Zentrum des Abends stand nicht, wie die Praxisübergabe gelingen kann oder wie Kommunen Ärzte unterstützen: Von der Ärzteschaft gab es in erster Linie harsche Kritik an ihrer eigenen Kassenärztlichen Vereinigung ‐ und ein Stück weit an der OSK und der Schließung des Waldseer Krankenhauses.
Die Zahlen sind schockierend
Die Ausgangssituation ist besorgniserregend. Über ein Drittel der Ärzte im Kreis ist über 60. Viele denken über die Praxisüber- beziehungsweise -aufgabe nach. Kein Wunder, dass sich inzwischen auch die Kommunalpolitik um die künftige Versorgung ihrer Bürger Gedanken macht.

„Über Jahrzehnte war es sicher, dass jeder im Kreis einen Hausarzt hat, der vor Ort ansprechbar ist“, sagte Landrat Harald Sievers zu Beginn des Abends. „Diese Gewissheit gilt punktuell schon jetzt nicht mehr.“ Deshalb will der Kreis, der eigentlich nicht für die hausärztliche Versorgung zuständig ist, Abhilfe schaffen. Zur besseren Vernetzung wird im Kreis-Gesundheitsamt demnächst eine Stelle „Hausärztliche Versorgung“ ausgeschrieben, so die Ankündigung.
Wer muss nachbessern?
Doch die meisten „Hausaufgaben“ haben die Ärzte an dem Abend nicht der Kreisverwaltung, sondern dem Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), Bezirksbeirat Holger Woehrle, mitgegeben. Der sagte eingangs: „Die KV ist nicht der Spielverderber, wenn es um Abrechnungen und Sitze geht. Sie achtet auf ein ständiges Qualitätsmanagement.“ Nachwuchssorgen seien, so Woehrle, kein regionales, sondern ein bundesweites Problem. „Die Infrastruktur in unseren Praxen wirkt nicht immer attraktiv“, sagte er. Außerdem gebe es ‐ auch durch mehr Frauen im Ärzteberuf ‐ eine veränderte Erwartungshaltung. „Kaum einer arbeitet mehr Vollzeit. Es braucht größere Strukturen, in denen man sich besser vertreten kann, auch in puncto Mutterschutz und Elternzeit.“ Von der KV gebe es dazu zahlreiche Services und Fördermöglichkeiten.
Nicht nur junge Ärzte wollen Work-Life-Balance
Doch schon beim Thema „Work-Life-Balance“ mit Blick auf die junge Ärzte-Generation gab es Widerspruch aus dem Publikum. Der Vogter Arzt Hans Bürger sagte etwa: „Das wollen nicht nur die Jungen, das will auch ich.“ Eine andere Ärztin gab zu bedenken, dass es auch für Ärzte im Rentenalter Möglichkeiten zur Mitarbeit in einer Praxis geben sollte: „Vielleicht einen oder zwei Tage in der Woche.“
sagte einer der Ärzte„Der Landkreis würde doch nicht rührig werden, wenn er sich sicher wäre, dass die Versorgung bei der KV in besten Händen ist.“
Man hätte früher aktiv werden müssen, gestand KV-Vertreter Woehrle. Die KV habe ein Image-Problem. „Im Moment ist unsere Strategie, den Beruf des niedergelassenen Arztes attraktiver zu machen.“ Die Alternative dazu wäre, die Selbstständigkeit ein Stück weit aufzugeben und mehr Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren anzustellen.
Ist die Bewerbung unattraktiv?
Zur betonten Attraktivität der Niederlassung sagte eine Kinderärztin, die diesen Schritt gewagt hat: „Ich musste mich mehr oder weniger blind auf eine Chiffre-Nummer bewerben. Erst drei Monate vorher wird über die Vergabe des Sitzes entschieden. Ich musste als Klinikärztin aber schon sechs Monate vorher kündigen und hoffen, dass ich den Sitz bekomme.“ Applaus bekam sie für ihre Feststellung: „Da gibt es hausgemachte Hürden, die die Niederlassung unattraktiv machen.“
Kritik kommt aus Bad Waldsee
Ein grundsätzliches Problem beschrieb der Bad Waldseer Arzt Ralph-Michael Reuther. „Es darf in Deutschland einfach nicht mehr in dieser Menge ärztliche Arbeit in Anspruch genommen werden.“ Man müsse mehr an nicht-ärztliches Personal delegieren können, so sein Schluss. Außerdem gebe es „absurd viel Verwaltungsaufwand“ bei den Krankenkassen, der das Gesundheitssystem fianziell und personell belaste.
Applaus gab es auch dafür, dass Hausärzte ihre Arbeit nur mit einer guten Notaufnahme eines Krankenhauses „in greifbarer Nähe“ machen könnten. „Es kann doch nicht sein, dass ein 85-jähriger Schwerkranker in eine der wenigen, zentralen Notaufnahmen eingeliefert und zwei Stunden später wieder nachhause geschickt wird.“ Zum Krankenhaus-Thema sagte KV-Vertreter Woehrle: „Man muss sich genau fragen, was es dezentral in der Fläche braucht und was in Spezialzentren eine viel höhere Qualität hat.“
Nicht für alles ist die Kassenärztliche Vereinigung verantwortlich
Dem widersprach der Waldseer Arzt Reuther, mit Verweis auf die ehemals hochgelobte Endoprothetik in seiner Stadt. „Die Qualität hängt doch nicht an der Größe des Hauses, sondern schlicht am Operateur. Auch kleine Standorte können sehr gute Arbeit leisten.“ Die Rechnung „hohe Fallzahlen gleich hohe Qualität“ stimme nicht. Seine Verdacht:
Ralph-Michael Reuther, Arzt in Bad Waldsee„In großen Häusern sterben natürlich weniger Herzinfarkt-Patienten. Die sterben bei einer halben Stunde Anfahrt schon auf der Strecke.“
Die damit kritisierten Veränderungen in der stationären Versorgung in Oberschwaben liegen allerdings nicht in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung. Sondern im konkreten Waldseer Fall beim Landkreis Ravensburg, der zu diesem Vernetzungstreffen eingeladen hatte.