Polizeipräsident zu Videoüberwachung
Mehr Kameras im öffentlichen Raum, um Straftaten effektiver aufzuklären
Ravensburg / Lesedauer: 5 min

- Robin Halle
Nicht zuletzt nach dem Mord an einer Frau vor zwei Jahren am Ravensburger Bahnhof wird in der Stadt intensiv über Videoüberwachung diskutiert, um die Sicherheit im öffentlichen Raum zu erhöhen. Polizeipräsident Uwe Stürmer ist ein klarer Verfechter dieser Maßnahmen, hat er im Interview Robin Halle gesagt.
Auf wie viele Kameras kann die Polizei aktuell im öffentlichen Raum zugreifen?
Aufschalten können wir uns beim Polizeipräsidium Ravensburg nur bei der Videoüberwachung in Straßentunneln oder an objektschutzrelevanten Orten. Aber ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Vor allem, wenn es bewegte Bilder sind. Sehr häufig können wir Straftaten aufklären und dabei exakt nachvollziehen, wie die Tat genau ablief und den oder die Täter identifizieren, wenn Bild- oder Videoaufzeichnungen vorliegen.
Auf wie viele private Kameras kann die Polizei zugreifen?
Wenn wir eine konkrete Straftat haben, prüfen wir, ob irgendwo in der Nähe eine Videoaufzeichnung erfolgt. Dort werden wir dann vorstellig und bitten darum, uns das Material zu überlassen beziehungsweise beschlagnahmen es bei Vorliegen der Voraussetzungen auch.
Diesen Aufwand betreiben wir natürlich nur, wenn es sich um habhafte Delikte handelt. Darüber hinaus hat die Polizei die Möglichkeit, bei herausragenden Einsatzlagen eine Plattform freizuschalten, wo Bürgerinnen und Bürger getätigte Handy- oder Videoaufzeichnungen den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen können.
Welche herausragenden Fälle konnten in der Region mithilfe von Videoaufzeichnungen gelöst werden?
Ohne die Videoaufzeichnung eines Supermarktes hätte der spektakuläre Babybrei-Erpressungsfall aus dem Jahr 2016 mutmaßlich nicht aufgeklärt und damit eine extrem große Lebensgefahr für Kleinkinder nicht beseitigt werden können.
Ebenso der Raubmord an einer Frau vor zwei Jahren am Bahnhof Ravensburg, aber auch Raubüberfälle auf Spielhallen, Schlägereien, Einbrüche, unbezahlte Tankbetrügereien, Sachbeschädigungen und jüngst auch eine Pferdeschändung ‐ es vergeht keine Woche, wo wir nicht über Videomitschnitte teils schwere Straftaten aufklären können.
Niemand will eine flächendeckende Überwachung des öffentlichen Raums. Und niemand will Bürger unter Generalverdacht stellen oder nutzlose Datenfriedhöfe anlegen. Auch wollen wir niemanden ausspionieren. Um was es geht, ist im Ernstfall Straftaten schnell und effektiv aufklären und Tatverdächtige dingfest machen zu können.
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt werden, um auf private Kameras zuzugreifen?
Wir brauchen ein Ermittlungsverfahren oder es muss um konkrete Gefahrenabwehr gehen und die Erhebung muss verhältnismäßig sein. Wir haben nach der Strafprozessordnung eine Ermittlungs- und Aufklärungspflicht und müssen alle erfolgversprechenden Ermittlungen vornehmen, um Straftaten aufklären zu können. Hier sind die Hürden also nicht hoch.
Weil mittels Videoaufzeichnung im Falle eines Falles beweissicher nachvollziehbar ist, was passiert ist, ohne gleich beispielsweise teures Geld für Security-Personal auszugeben, haben sich viele Geschäfte, Unternehmen und auch Privatpersonen längst entschieden, bestimmte Bereiche mittels Videotechnik zu überwachen und dabei auch aufzuzeichnen.
Nehmen Sie Banken, Tankstellen, Ladengeschäfte, Gaststätten, Parkhäuser ‐ an ganz vielen dieser „halböffentlichen Orte“ wird ganz selbstverständlich aufgezeichnet ‐ und das teilweise seit Jahrzehnten. Gleiches gilt für viele Bahnhöfe, für den ÖPNV und andere Verkehrsbetriebe. Warum man also in Stuttgart in jeder Straßenbahn gefilmt wird und das am Ravensburger Bahnhofsvorplatz nicht zulässig ist, versteht niemand.
Wie viele Kameras wären nötig, um eine flächendeckende Kontrolle sicherzustellen?
Es geht nicht um eine flächendeckende Kontrolle. Das wäre völlig überzogen und weder sinnvoll noch notwendig. Um was es geht, ist eine maßvolle Ausdehnung der Anwendungsmöglichkeiten auch im öffentlichen Raum. Im Kern geht es darum, mit einer maßvollen Ausweitung der Videoüberwachung deren präventive Wirkung insbesondere an Kriminalitätsschwerpunkten zu nutzen, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern und Kommissar Zufall auf die Sprünge zu helfen.
Wie viele Straftaten könnten zusätzlich aufgeklärt werden, wenn die Polizei in Baden-Württemberg mehr Zugriff auf Kameras hätte?
Das lässt sich nicht quantifizieren. Klar ist aber, dass sich die Ermittlungsaufwände reduzieren und etliche Straftaten zusätzlich aufgeklärt werden könnten.
Ist es aktuell möglich, auf Kameras im ÖPNV zuzugreifen?
Bei uns derzeit online nicht. Wir können aber Aufzeichnungen erheben und dann auswerten. Wobei man dabei natürlich schon aus Aufwandsgründen versucht, den relevanten Zeitraum so gut wie möglich einzugrenzen. Nach dem Polizeigesetz Baden-Württemberg ist eine Videoüberwachung rechtlich nur möglich, wenn es sich um einen Kriminalitätsbrennpunkt handelt.
Hierfür sind die rechtlichen Voraussetzungen so hoch, dass wir faktisch keine Videoüberwachung vornehmen können. Für mich ist es völlig unverständlich und aus der Zeit gefallen, dass wir ständig auf privates Videomaterial zurückgreifen, das Instrument von behördlicher Seite als ein Baustein für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum aber so gut wie nie nutzen können. Damit hängt es letztlich vom Zufall ab, ob wir irgendwo an Videomaterial kommen. Hier sollte nachgebessert werden.
Wenn Sie sich ganz normal in Städten bewegen, werden Sie vermutlich dutzende Male aufgezeichnet, ohne dass sich darüber jemand echauffiert. Die Geschäftswelt hat in Videotechnik investiert, weil diese dazu beiträgt, beispielsweise Ladendiebstähle zu reduzieren oder potenzielle Täter abzuschrecken.
Wie gestaltet sich die Rechtslage in anderen Bundesländern oder europäischen Ländern?
Sehr unterschiedlich. In anderen Ländern ist man da nach meiner Kenntnis weitaus weniger zurückhaltend. Ob es Sinn macht, nun gleich allerorten Kameras aufzuhängen, da wäre ich skeptisch und eher mit Augenmaß unterwegs.
Wann werden die Daten gelöscht?
Auch das ist unterschiedlich. Wir als Polizei löschen Aufzeichnungen, sobald sie für Beweiszwecke nicht mehr benötigt werden oder wenn keine Straftat erkennbar ist. Für mich handelt es sich dabei um einen minimalinvasiven Eingriff, der objektiv nachvollziehbar macht, was vorgefallen ist und auch dazu beitragen kann, fälschlich erhobene Vorwürfe zu entkräften. Es ist schade, dass die Debatte um Videotechnik leider stark ideologisch geprägt und nicht sachlich-fachlich geführt wird.
Wie bewerten Sie das Thema Datenschutz im Zusammenhang mit den Videoaufzeichnungen?
Für mich ist es ein deutlicher Wertungswiderspruch: Im privaten und halböffentlichen Bereich geht fast alles und ab der Bordsteinkante ist es dann umgekehrt. Die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen sind so hoch, dass sie den Einsatz von Videotechnik praktisch nahezu ausschließen. Ich bin durchaus für Datenschutz, aber auch hier mit Augenmaß und im Sinne und letztlich zum Wohle des Bürgers. Hier muss nachjustiert werden.