Ausnahmesituation
Restaurant-Tester schildert die Ausnahmesituation des Alleine-Essens
Ravensburg / Lesedauer: 3 min

Machen wir uns nichts vor: Die Gastronomie hat’s nach Corona und mit zunehmend verunsicherten Gäste, die mit ihrem Geld höchst vorsichtig umgehen, reichlich schwer. Und da haben wir von Krieg, Energiekosten sowie Tod und Teufel noch gar nicht gesprochen.
Manche sagen sogar, das Ausmaß der Probleme sei derart kolossal, dass das Konzept von Gastronomie, wie wir es kennen, insgesamt auf dem Spiel steht.
Ein gewisses Gefälle besteht traditionell zwischen größeren Städten und dem Land. Denn je urbaner das Leben, umso weniger versorgen sich die Menschen selbst in ihren eigenen Küchen, sofern sie überhaupt noch eine funktionstüchtige haben.
Das kann bedeuten, dass auch in schlechten Zeiten noch genügend Gäste kommen. Womit wir bei einem Phänomen wären, welches in der Regel in den Gegenden auftritt, wo viele Leute ihre Mahlzeiten auswärts einnehmen: den Alleine-Esser.
Argwohn und Mitleid
Wer in unseren Breiten und noch dazu im ländlichen Raum eine Gaststube betritt und der Bedienung bei der Begrüßung offenbart, niemanden dabeizuhaben, löst vor allem abends oft Irritation aus.
Meistens in Form von Stirnrunzeln. Am Einzeltisch platziert, fühlt man sich dann wie einer, mit dem keiner spielen will. Wie der Einsame unter den Paaren und Gruppen. Ein bisschen außenseiterhaft. Und bisweilen ruhen Blicke zwischen Argwohn und Mitleid auf solchen Solo-Essern.
Ein Sonderfall unter dieser Spezies ist der Restaurant-Tester. Er tritt nämlich nicht nur meistens mutterseelenallein auf, sondern er bestellt auch noch ungewöhnlich viel und lässt dann gezwungenermaßen eine Menge auf den Tellern zurück, sodass Bedienungen noch irritierter reagieren: Allein kommen, für drei spachteln wollen – und es dann nicht aufgegessen kriegen. Typisch!
Dabei hat das Alleinsein im Restaurant durchaus seinen Zauber: Niemand nötigt einen nach einem langen Tag zu einer Konversation. Keiner verlangt, dass man unterhaltsam oder witzig ist. Niemand redet einem bei der Bestellung rein und mahnt etwa, ja nicht zu wenig Gemüse zu ordern. Der wichtigste Vorteil ist aber, dass man sich wirklich ganz und gar auf das konzentrieren kann, was da aus der Küche geschickt wird.
Die ganze Aufmerksamkeit gilt dem Essen
Das Alleinsein erlaubt es, sich auf die Speisen einzulassen, wie man das in Begleitung meist nicht so gut könnte. Denn bei einem anregenden Gespräch wird das Essen naturgemäß zur Nebensache. Und gerade bei der Beurteilung eines Restaurants, dessen Angebot man unter die Lupe zu nehmen hat, braucht es eine gewisse Konzentration. Um möglichst wenig Fehler beim Riechen und Schmecken zu machen – und damit die Gefahr zu minimieren, einem Koch später beim Schreiben Unrecht zu tun.
Ein weiterer Vorteil des einsamen Essengehens ist folgender: Man hat Zeit, Menschen zu beobachten. Da gibt es zum Beispiel die stillen Paare – offenbar sehr lange, wenn nicht zu lange, verheiratet. Menschen, die es tatsächlich schaffen, während eines Drei-Gang-Menüs untereinander kein einziges Wort zu wechseln.
Im Kontrast zu ihnen stehen die frisch Verliebten, die auch eher wenig sprechen, damit sie mehr Zeit zum gegenseitigen Anhimmeln haben. Menschen zu beobachten, über die man rein gar nichts weiß, regt die Fantasie an. Um sich auszumalen, wer da mit im Restaurant sitzt, hat man nichts weiter als ihr Verhalten und den diskreten Blick auf ihre Teller.
Streng genommen ist man in einem Restaurant ja nie wirklich allein. Es wäre schön und wichtig, wenn das auch in Zukunft so bliebe – allen Krisen zum Trotz.