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Zeitarbeit

Personalexperte: „Ein gutes Gehalt zieht an, bindet aber nicht“

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Peter Blersch vom Personaldienstleister Adecco über Jobperspektiven, Bezahlung und das Image von Zeitarbeit
Veröffentlicht:09.01.2023, 17:46

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Der Jahreswechsel ist für viele auch immer Anlaß, die eigene berufliche Situation zu hinterfragen. Wie steht es mit der Zufriedenheit im Job? Lässt sich die nächste Stufe auf der Karriereleiter erklimmen? Oder sind die Perspektiven im Unternehmen endlich?

Peter Blersch, Deutschland-Chef des Schweizer Personaldienstleisters Adecco , sagt, dass die Zeit für berufliche Veränderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer noch nie so gut war wie jetzt. Welche Jobs besonders gefragt sind, warum Zeitarbeit eine Alternative zur Festanstellung sein kann, welche Rolle das Gehalt spielt und was er Bewerberinnen und Bewerbern rät, erklärt der Personalexperte im Internview mit der „Schwäbischen Zeitung“.

Herr Blersch , dem deutschen Arbeitsmarkt gehen bis 2025 sieben Millionen Arbeitskräfte verloren, wenn nicht kräftig gegengesteuert wird. Das hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Anfang Dezember prognostiziert. Keine guten Aussichten für die Zeitarbeitsbranche, oder?

Ja und nein. Ja, denn der Mangel an Arbeitskräften begrenzt auch unser Wachstum. Wir haben inzwischen nicht mehr nur einen Fachkräfte- sondern einen echten Arbeitskräftemangel. Es fehlen nicht nur IT-Spezialisten, auch in der Logistik beispielsweise herrscht akute Not.

Überall sind die Kapazitäten zu knapp. Die Situation hat für Personaldienstleister wie Adecco aber auch etwas Positives, denn die Auftragslage ist entsprechend gut. Die Kunst ist jetzt, in diesem Umfeld Kandidaten zu gewinnen und zu halten.

Gelingt Ihnen das?

In der klassischen Zeitarbeit wird es immer schwieriger. Rund 40 Prozent unserer Mitarbeitenden werden nach Auftragsende vom Kunden übernommen. Das ist für den Einzelnen eine gute Sache, uns nimmt es jedoch Kapazitäten für Wachstum.

Wegen des Arbeitskräftemangels und der demografischen Entwicklung wird die Zeitarbeit mittelfristig nur noch die Hälfte des Geschäfts von Adecco ausmachen. Stattdessen gewinnen neue Dienstleistungen, etwa die Personalvermittlung oder die Platzierung von freiberuflichen Spezialisten, an Bedeutung.

Zeitarbeit galt in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit als eine Möglichkeit, die Rückkehr in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Das kann inzwischen nicht mehr das Hauptmotiv sein. Warum sollten Jobsuchende überhaupt noch bei Zeitarbeitsfirmen anheuern?

Viele entscheiden sich bewusst für die Zeitarbeit, um erst einmal Erfahrungen im Job zu sammeln. Passt alles, hat er oder sie nach der Einsatzdauer gute Chancen, vom Unternehmen übernommen zu werden.

Von Absolventen wiederum höre ich oft, dass sie sich erst einmal in verschiedenen Jobs ausprobieren möchten, um zu schauen, was zu ihnen passt. Die Beweggründe für Zeitarbeit sind heute vielschichtiger und die positiven Lernerfahrungen größer als früher.

Welche Mitarbeiter sucht Adecco denn aktuell besonders stark?

Aktuell haben wir viele offene Stellen in den Bereichen Lager und Logistik, im Gesundheitswesen, in den kaufmännischen und IT-Berufen sowie in der Pflege.

In den USA geht der Begriff der „Great Resignation“ um. Er beschreibt das Phänomen, dass immer mehr Menschen ihren Job sowie ihr Verhältnis zum Arbeitgeber infrage stellen und resigniert über eine Kündigung nachdenken. Ist das in Deutschland ähnlich?

Das ist kein neues Thema. Wegen des Arbeitskräftemangels ist das Problem heute aber drängender und die Alternativen für Arbeitnehmende sind größer. Für Deutschland kann ich sagen, dass die Quote derer, die wegen Unzufriedenheit im Job einen Wechsel aktiv vorantreiben, gestiegen ist.

Sie liegt heute bei rund einem Drittel. Zudem gibt es auch immer mehr Wechselbereite, die eine Veränderung nicht aktiv vorantreiben, sich in Karrierenetzwerken wir Xing oder Linkedin aber als wechselbereit kennzeichnen.

Das müsste Arbeitgeber in Anbetracht der angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt alarmieren. Auf was kommt es denn an, um die Wechselwilligen zu halten?

Das Gehalt ist es nicht. Ein gutes Gehalt zieht an, bindet aber nicht. Um Talente langfristig im Unternehmen zu halten, kommt es heutzutage vor allem auf Flexibilität an, etwa bei Arbeitszeiten und -orten. An zweiter Stelle steht die Karriereentwicklung.

Dazu gehört das regelmäßige Gespräch der Führungskraft mit den Mitarbeitenden, mit Blick darauf was er oder sie in der Karriere erreichen will. Jeder Dritte quittiert seinen Job, weil er für sich keine Perspektive im Unternehmen sieht.

Sind diese Botschaften in der Unternehmerschaft angekommen?

Sicher noch nicht in der Breite. Als Unternehmen die Augen offen zu halten, was wettbewerbsfähige Gehälter sind, ist aus unserer Sicht ein Aspekt, die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden zu fördern, ein anderer.

Was das Thema Flexibilität im Arbeitsalltag angeht, merken wir, dass viele Unternehmen inzwischen mehr zulassen und die neuen Möglichkeiten wie Homeoffice aufgreifen. Gerade abseits der Ballungszentren ist das eine Chance, qualifizierte Arbeitskräfte zu gewinnen.

Was raten sie Suchenden, die Zweifel haben, sich auf eine Stelle zu bewerben, weil die eigene Qualifikation vielleicht nicht hundertprozentig zum ausgeschriebenen Jobprofil passt?

Zweifel sind momentan nicht angebracht. Man sollte einfach den Mut haben sich auf Positionen zu bewerben, auch wenn hier und da vielleicht noch etwas fehlt. Wichtig sind der Wille, die Anforderungen des Jobprofils zu schaffen, und die grundsätzliche Qualifikation. Die Engpässe auf dem deutschen Arbeitsmarkt werden bleiben – was gut ist für Arbeitnehmende, denn ihre Verhandlungsposition wird stärker.

Welche Jobprofile werden künftig besonders gefragt sein?

Der Trend zu Dienstleistungen wird zunehmen. Industriejobs hingegen stagnieren oder gehen sogar leicht zurück. In anderen Branchen besteht das Risiko, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden, weil wir sie hier nicht mehr besetzen können. Die mechanische Konstruktion im Automobilbau beispielsweise findet heute auch in der Türkei statt; Softwareentwicklung wird häufig in Indien gemacht, China ist stark im Bereich der E-Mobilität. Da müssen wir aufpassen.

Schlüsselindustrien wie den Automobilbau dürfen wir nicht verlieren. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass der Standort Deutschland wettbewerbsfähig bleibt und dem Arbeitsmarkt gut ausgebildete Kräfte zuführen, in dem wir die Qualifizierung stärken, Hürden senken eine Beschäftigung aufzunehmen, aber auch die gezielte Zuwanderung von Fachkräften ermöglichen.