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Ravensburg

Liebes-Lüge mit fatalen Folgen: Wenn der Freund zum Zuhälter wird

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

Loverboys treiben auch in Oberschwaben ihr manipulatives Spiel mit jungen Mädchen
Veröffentlicht:16.09.2022, 12:00

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Loverboys sind in der Regel junge, gutaussehende Typen Anfang 20, die sich vor allem an minderjährige Mädchen heranmachen. Sie gaukeln ihnen die große Liebe vor, machen sie emotional abhängig - und schicken sie am Ende auf den Strich.

Dieses Phänomen gibt es auch in Oberschwaben und am Bodensee. Streetworkerinnen gehen jetzt an Schulen, um darüber aufzuklären.

Wir haben schon etliche Frauen betreut, die dieser Masche zum Opfer gefallen sind

sagt Elisabeth Sittner , beim Verein Arkade für das Streetwork-Projekt MISA zuständig. Sie begleitet Prostituierte im Kreis Ravensburg, im Bodenseekreis tut das ihre Kollegin Lisa Morgenstern.

Obschon es nach Auskunft eines Pressesprechers im Bereich des Polizeipräsidiums Ravensburg bislang kein Ermittlungsverfahren gegen einen sogenannten Loverboy gab, weiß Sittner: „Das passiert auch jungen Mädchen, die hier aufwachsen und zur Schule gehen.“ Mehr noch: Sie schätzt, dass die Hälfte aller Prostituierten aus Liebe zu einem Loverboy ins Gewerbe eingestiegen sind.

 Streetworkerin Elisabeth Sittner hat viel mit Prostituierten im Landkreis Ravensburg zu tun. Sie weiß: Viele Frauen gehen wegen eines Loverboys anschaffen.

Um zu verhindern, dass noch mehr junge Mädchen skrupellosen Loverboys ins Netz gehen, haben sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Arkade ein Präventionsprojekt auf die Beine gestellt: Sie klären in Schulen in den Kreisen Ravensburg und Bodensee jeweils 90 Minuten lang über das Phänomen auf.

„Wir wollen Schüler, Lehrer, Eltern sensibilisieren – es muss ein Umdenken passieren“, sagt Sittner. Nach der Edith-Stein-Schule in Ravensburg und der Ludwig-Dürr-Schule in Friedrichshafen sollen im Herbst weitere Schulen folgen.

Schema ist fast immer dasselbe

Was passiert, läuft laut Sittner meist nach einem ähnlichen Schema ab: Ein hübscher, charmanter Loverboy knüpft Kontakt zu einer Minderjährigen – im Schnitt sind die Opfer um die 15 Jahre alt. Sei es, dass er sie in einem Club oder Café anspricht oder sie über soziale Medien wie Snapchat oder TikTok anschreibt.

Dann überhäuft er sie mit Komplimenten und Aufmerksamkeit, vielleicht auch mit Geschenken – vor allem aber mit vorgegaukelter Zuneigung und dem Versprechen einer glücklichen gemeinsamen Zukunft.

Die Beziehung, inklusive Sex, baut sich schnell auf. Größtenteils suchen sich Loverboys laut Sittner eher ruhigere, zurückhaltende Mädchen aus, in deren Leben sie der erste Mann sind. Was es ihnen erleichtere, die Betroffenen systematisch emotional von sich abhängig zu machen. Ein Baustein dieser Taktik: Die Mädchen werden langsam, aber sicher von Freunden und Familie isoliert.

Emotionale Erpressung mit Zuckerbrot und Peitsche

Irgendwann kommt dann der Schwenk: Um dem Loverboy aus vermeintlicher finanzieller Not zu helfen, sollen die jungen Frauen mit anderen Männern schlafen – für Geld. Viele tun das. Aus Liebe. Häufig werden Loverboys aber auch gewalttätig. Dann beginnt ein Kreislauf der emotionalen Erpressung von Zuckerbrot und Peitsche, der bei den betroffenen Frauen die Hoffnung schürt, alles werde wieder so wie am Anfang, wenn sie nur oft genug ihre Liebe beweisen.

Diese Zusammenhänge im typischen Teufelskreis einer Loverboy-Beziehung macht der gemeinnützige Verein Lightup Germany mit Sitz in Kirchberg an der Murr transparent, der auf Menschenhandel und emotionale sowie sexuelle Ausbeutung hinweist.

Auch das Bundeskriminalamt (BKA) macht im Netz deutlich, dass im Jahr 2017 sexuelle Ausbeutung die häufigste Form von Menschenhandel war: Mehr als ein Viertel der Betroffenen, die überwiegend aus Deutschland, Bulgarien und Rumänien stammen, seien Opfer der Loverboy-Methode gewesen. Laut BKA „sorgen Drohungen wie auch die Anwendung physischer und psychischer Gewalt dafür, dass die Menschenhändler die Kontrolle über die Frauen behalten“.

Enorm hohe Dunkelziffer

Anzeige erstatten die wenigsten der Frauen: Weil sie Angst vor ihrem mittlerweile zum Zuhälter mutierten Liebhaber haben. Oder davor, dass er heimlich gedrehte Videos von ihr beim Sex mit Freiern ins Netz stellt. Auch Scham hält laut der Ravensburger Streetworkerin Elisabeth Sittner viele Frauen davon ab, zur Polizei zu gehen. Oder es sei ihnen gar nicht klar, dass der Loverboy sie systematisch ausbeute.

Manche wollten auch schlicht nicht glauben, dass die Liebesgeschichte eine einzige große Lüge war. Oder sie lieben den Mann immer noch. Darüber, dass ein Loverboy in der Regel mehrere Mädchen am Start habe, wüssten laut Sittner die wenigsten der jungen Frauen Bescheid. Das BKA schätzt die Dunkelziffer in diesem Kriminalitätsbereich als sehr hoch ein.

 Sogenannte Loverboys machen sich an junge Mädchen ran, gaukeln ihnen die große Liebe vor – und schicken sie dann auf den Strich.

Um all das mehr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, stellt Sittner bei den Terminen an den Schulen das typische Loverboy-Schema vor und spricht auch an, wann Außenstehende hellhörig werden sollten.

Hängt eine Freundin beispielsweise immer nur am Handy, zieht sich aus der Clique zurück, kleidet sich anders als bisher (eventuell um blaue Flecken zu verstecken) oder schreckt zusammen, wenn das Handy klingelt (weil der Loverboy sie kontrolliert und drangsaliert), könnten das laut Sittner Anzeichen dafür sein, dass sie in die Prostitution abrutscht.

Wer den Verdacht hegt, dass die Freundin oder Tochter in die Fänge eines Loverboys geraten ist, kann sich an Beratungsstellen wie die Arkade, die Polizei oder den Weißen Ring wenden.

Betroffenen besser keine Vorwürfe machen

Mit Vorwürfen den Betroffenen gegenüber sollte man sich aber zurückhalten. Denn es sei wichtig, „dass der Kontakt nicht komplett abbricht“, rät Sittner. Häufig sei den jungen Frauen nämlich gar nicht klar, dass sie praktisch in der Falle sitzen. Stattdessen „suchen sie die Schuld bei sich“.