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Silvester

Beim Feuerwerk explodieren die Feinstaub-Werte

Ravensburg / Lesedauer: 6 min

Beim Feuerwerk explodieren die Feinstaub-Werte
Veröffentlicht:01.01.2018, 18:31

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Die Region hat das neue Jahr mit Böllern und Raketen gefeiert  – und prompt sind die Feinstaubwerte angestiegen. An einer Messstation der Schwäbischen Zeitung in Ravensburg wurde der EU-Grenzwert um fast 30 Prozent überschritten, zeitweise lagen die Werte sogar um das 35-fache höher. Der Europäischen Umweltagentur zufolge sterben allein in Deutschland jährlich rund 66.000 Menschen vorzeitig durch Feinstaub.

Das Jahr 2018 begann auch in Ravensburg mit einer Grenzüberschreitung – auch wenn diese nicht so extrem ausgefallen ist wie noch im vergangenen Jahr: Damals, so hat das Umweltbundesamt berechnet, wurden bundesweit 5000 Tonnen Feinstaub durch Feuerwerkskörper freigesetzt. Das entspricht 17 Prozent der Menge, die der gesamte Straßenverkehr während eines Jahres in die Luft bläst. Anders als 2016, als eine besonders hartnäckige Inversionswetterlage im Land geherrscht hatte, wehte in der Silvesternacht 2017 jedoch ein kräftiger Wind. Dieser blies beispielsweise in Stuttgart den Feinstaub des Feuerwerks schnell wieder aus dem Talkessel; das ergaben offizielle Messungen der Landesanstalt für Umwelt (LUBW), die an rund 35 Standorten in Baden-Württemberg regelmäßig die Feinstaub-Entwicklung beobachtet.

Extreme Schadstoffwerte

Eine Messung der Schwäbischen Zeitung in 4,5 Metern Höhe an der Karlstraße/Ecke Charlottenstraße in Ravensburg liefert ein ähnliches Ergebnis: Dank der günstigen Wetterlage hielten sich die Schadstoffe auch dort nicht lange in der Luft. Der Feinstaub-Sensor zeigte am 31. Dezember dennoch zum Teil extreme Schadstoff-Werte an.

Der Feinstaubsensor der Schwäbischen Zeitung.

Zwar wurde das zulässige Tagesmittel von Feinstaub-Partikel bis zu einem Durchmesser von zehn Mikrometern Durchmesser (PM10) von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nur um sechs Prozent überschritten. Punktuell, etwa um 23.15 Uhr, befanden sich mit 872 Mikogramm pro Kubikmeter aber um mehr als das 17-fache erhöhte Werte in der Luft. Auch im Vergleich zum Vortag war das Tagesmittel um das 13-fache höher. PM10-Stundenwerte über 1000 Mikrogramm, wie sie in der ersten Stunde des neuen Jahres in Großstädten üblich sind, wurden hingegen nicht erreicht.

Je kleiner, desto gefährlicher

Bei den kleineren Feinstaub-Partikeln der Größe PM2,5 lag das gemessene Tagesmittel um fast 30 Prozent über dem EU-Grenzwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter – und um fast das 16-fache über dem Wert vom Vortag. Partikel dieser Größe gelten als besonders gefährlich, weil sie bis in die Lunge vordringen können. Um 23.09 Uhr maß der Sensor sogar kurzzeitig 891 Mikrogramm pro Kubikmeter –  dieser Wert liegt um das 35-fache höher als das zulässige Tagesmittel. Hohe PM2,5-Werte um die 400 Mikrogramm pro Kubikmeter hielten sich bis in die Nacht hinein. Ab 0.50 Uhr sanken sie dann rasch ab, gegen 2 Uhr erreichten die Feinstaub-Werte wieder ungefähr das Niveau vom Vortag.

Ist Feinstaub in Ravensburg nur an Silvester ein Problem?

Ravensburg gehört zu jenen 14 Städten in Baden-Württemberg, die es neben Stuttgart nicht schaffen, die Grenzwerte für saubere Luft einzuhalten. Die LUBW hat zwar Messgeräte im ganzen Bundesland verteilt - allerdings nicht in Ravensburg. Im Schussental wurde Feinstaub zuletzt im Frühjahr 2016 großflächig gemessen. In einem Zeitraum von zwei Wochen wurde dabei der EU-Grenzwert an 12 von 16 Messpunkten in der Altstadt überschritten, zum Teil sogar deutlich: am Marienplatz um 57 Mikrogramm, an der Leonhard-Straße um 142 Mikrogramm. Das entspricht einer Grenzwertüberschreitung von 184 Prozent.

Was tut die Stadt gegen Feinstaub?

Um die Luft in Ravensburg zu verbessern, bekommt die Stadt vom Regierungspräsidium Tübingen (RP) einen Luftreinhalteplan verordnet. Ende Oktober 2017 hat die Stadt einen Katalog an Ideenvorschlägen beim RP eingereicht. An den Vorschlägen waren im Vorfeld neben den Gemeinderatsfraktionen auch Bürger sowie Vereine und Verbände beteiligt. Derzeit werden im RP mögliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung in Ravensburg geprüft. Ein Gutachten dazu soll im April oder Mai dieses Jahres vorliegen. Im Frühjahr 2019 soll der Luftreinhalteplan dann umgesetzt werden.

Was hat es mit den Grenzwerten auf sich?

Laut EU-Recht darf der Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter nur an 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Der zulässige Jahresmittelwert beträgt 40 Mikrogramm. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind schon 20 Mikrogramm Feinstaub langfristig schädlich. Bei Feinstaub der Partikelgröße PM2,5 liegt der Grenzwert inzwischen bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Was ist überhaupt Feinstaub?

Feinstaub besteht aus einem komplexen Gemisch verschiedener Schadstoffe wie Ruß und Kohlenwasserstoffen. In den Städten entsteht er vor allem im Straßenverkehr, bei Produktionsprozessen und auf Baustellen, besonders bei Gebäudesanierungen. Auch Kraft- und Fernheizwerke sowie Holzfeuerungsanlagen pusten Schadstoffe in die Luft. Auf dem Land sorgt häufig die Landwirtschaft für höhere Schadstoffwerte. Ist die Belastung langfristig hoch, steigt die Wahrscheinlichkeit für Erkrankungen der Atemwege und des Herz-Kreislaufsystems. Feinstaub der Partikelgöße PM10 kann bis in die Nasenhöhle,​ kleinere PM2,5-Teilchen bis in die Lunge vordringen. Ultrafeine Partikel gelangen sogar in den Blutkreislauf. Der Europäischen Umweltagentur zufolge sterben in Deutschland jährlich rund 66.000 Menschen vorzeitig durch Feinstaub.

Und was ist mit den Stickoxiden?

Wenn die Belastung mit Feinstaub hoch ist, sind in der Regel die Stickoxid-Werte ebenfalls hoch. Anders als beim Feinstaub ist Stickstoffdioxid (NO2) auch im Sommer ein Problem. Im Jahr 2016 beauftragte die Stadt Ravensburg deshalb die Prüfgesellschaft Dekra, in der Schussenstraße die Belastung mit Stickoxiden zu messen. Das Ergebnis: An allen drei Messpunkten wurde der zulässige Jahresgrenzwert von 40 Mikogramm pro Kubikmeter überschritten. An 18 Stunden im Jahr erlaubt es der Gesetzgeber, dass der Stundengrenzwert von 200 Mikrogramm überschritten wird.

Kann ich Feinstaub auch selber messen?

Die Schwäbische Zeitung misst den Feinstaub alle zweieinhalb Minuten mit einem Sensor des OK Lab Stuttgart . Der rund 30 Euro teure Bausatz besteht neben dem eigentlichen Feinstaub-Sensor – ursprünglich ein Ersatzteil für eine japanische Klimaanlage – aus einem Prozessor mit WLAN-Chip, einer USB-Stromversorgung und zwei Plastik-Röhren als Wetterschutz. Auf einer Karte des Feinstaub-Projekts zeigen Sensoren die örtliche Partikel-Belastung in Echtzeit.

Wie genau misst der Feinstaub-Sensor der Schwäbischen Zeitung?

An der Materialprüfanstalt der Uni Stuttgart haben Wissenschaftler eine "erstaunlich gute Übereinstimmung" zwischen den Messergebnissen der "Volks-Feinstaub-Sensoren" des OK Lab und  teuren Profi-Geräten festgestellt. Bei gröberen Partikeln (PM10) seien sie – im Gegensatz zu den gefährlicheren Partikeln der Größe PM2,5 – allerdings noch recht ungenau.

Zudem neigen die Sensoren des OK Lab bei besonders kalter und feuchter Umgebungsluft dazu, überhöhte Werte zu messen. Aktuelle Wetter- und Winddaten, die einen erheblichen Einfluss auf die Feinstaubkonzentration haben, werden ebenfalls noch nicht automatisch mit den gemessenen Feinstaubdaten korreliert. Aber: "Dadurch, dass wir einen Temperatur- und Feuchtigkeitssensor miteingebaut haben, können wir ab einer gewissen Luftfeuchtigkeit und -Temperatur mithilfe von mathematischen Formeln Korrekturmaßnahmen einleiten", erklärt Frank Riedel vom OK Lab, der an der Entwicklung des Bausatzes beteiligt war. Noch werden die Daten allerdings nur mitgemessen. "Wir sind gerade dabei die Software so zu programmieren, dass auf unserer Feinstaub-Karte dann die korrigierten Werte erscheinen."

Ebenfalls mit Vorsicht zu genießen sind Kurzzeitwerte. Frank Riedel: "Wenn jemand unter dem Sensor raucht, der Nachbar brennt einen alten Holzofen an, es wird gegrillt – das alles misst der Sensor natürlich."

Eignen sich die hier gemessenen Werte für rechtliche Auseinandersetzungen?

Nein. Bislang eignen sich die von den selbstgebauten Geräten gemessenen Werte lediglich zur Orientierung.