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Urgestein im Einzelhandel

Barbie war der Star bei Fischingers

Ravensburg / Lesedauer: 5 min

In 100 Jahren hat sich das Portfolio des Ravensburger Familienunternehmens verändert: Die Körbe von früher gibt es nicht mehr. Inzwischen ist die dritte Generation am Drücker.
Veröffentlicht:28.09.2023, 17:00

Von:
  • Ruth Auchter-Stellmann
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Vor 100 Jahren haben Alois Fischinger und sein Spezi Franz Schwarz in der Herrenstraße 32 Körbe, Schirme und Stöcke feil geboten. Seither ist eine Menge passiert und vieles hat sich verändert. Inzwischen sind mit dem Standort Herrenstraße auch die Körbe und Schirme verschwunden ‐ sie wurden von Teddys, Tiptois und Markisen abgelöst. Außerdem sind aus dem ursprünglichen Unternehmen zwei Fischinger-Firmen geworden. Heute sind die Enkel von Firmengründer Fischinger am Zug. Sie fühlen sich immer noch als Teile eines geschichtsträchtigen Familienbetriebs.

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Eigentlich, gesteht Jochen Fischinger (Jahrgang 1966), sei er mit seinem Jura-Studium überqualifiziert fürs Leiten eines Spielwarengeschäfts. Aber: „Wir sind familientraditionsbewusst“, sagt sein Cousin Jürgen Fischinger (Jahrgang 1964). Beide seien sie mit dem Betrieb auf- und daher reingewachsen. „Schon morgens beim Frühstück war das Geschäft Thema“, erinnert sich Jochen Fischinger. Ebenso an die Adventssamstage, an denen im Spielwarenladen die Hölle los war. Zeitweise haben in der Kirchstraße 14 Verkäufer auf zwei Etagen Kunden bedient. Schon vor Jahrzehnten sei Barbie, die durch den jüngsten Film grade in aller Munde ist, der Star in vielen Kinderzimmern gewesen.

Weiden angebaut und zu Körben geflochten

Zunächst aber waren Schirme und Körbe dran: Sie wurden nicht nur im Ursprungsgeschäft in der Herrenstraße verkauft, sondern damals auch selbst hergestellt. Dort, wo sich heute die Firma Schindele befindet, wurden von 1935 bis 1956 Weiden angebaut. Und später in riesige Wasserzuber gepackt, um sie schön biegsam zu machen. Bis 1945 diente auch der Katzenlieselesturm in der Oberstadt als Lager für die Weiden. Denn während des Zweiten Weltkriegs brauchte man die Körbe von Schwarz & Fischinger nicht zuletzt für den Transport von Granaten: Jeden Monat wurden am Ravensburger Bahnhof zwei Waggonladungen Weidenkörbe verladen, heißt es in der Familienchronik.

Fühlen sich immer noch als Teile eines Familienbetriebs (von links): Jürgen und Jochen Fischinger. (Foto: Ruth Auchter-Stellmann )

1938 kam der zweite Standort in der Kirchstraße 12 dazu ‐ dort ist noch heute der Spielwarenladen. Zunächst gab es dort freilich Garten- und Marktschirme, die nun die Produktpalette von Schwarz & Fischinger erweiterten. Nach dem Krieg richtete die französische Armee in der Kirchstraße 12 drei Jahre lang ein Medizindepot ein.

Die zweite Generation steigt ein

Weiter ging’s in der Kirchstraße dann 1948: Alle vier Kinder von Alois Fischinger waren in den Betrieb eingestiegen ‐ darunter auch Jochen Fischingers Vater Walter und Jürgen Fischingers Vater Herbert. In den Wirtschaftswunderjahren verlagerte sich das Portfolio immer mehr von Korbwaren über Kinder- und Puppenwagen hin zu Spielwaren; Gartenmöbel rundeten das Angebot ab. Im Lauf der 1950er-Jahre war es dann vorbei mit Korbwaren und Korbproduktion: Sie seien beispielsweise in Polen günstiger hergestellt worden, wie Jürgen Fischinger berichtet.

Dafür startete man mit der Markisenfabrikation durch, und zwar im Deisenfang: Dort baute Herbert Fischinger, einer der letzten Schirmmachermeister, 1956 ein Lager- und Produktionsgebäude. Sein Vater sei ein Tüftler gewesen, erinnert sich Jürgen Fischinger. Unter anderem habe er die „Servoöffnung“ für den Knirps-Schirm erfunden: Seitdem lasse sich der Taschenschirm ohne Schütteln aufspannen. Die Produktion verlagerte sich im Lauf der Jahre allerdings hin zu größeren Marktschirmen und Markisen. 1974 wurden Markisen-Fischinger und Spielwaren-Fischinger offiziell aufgeteilt.

Auch ihn habe Technik schon immer fasziniert, berichtet Jürgen Fischinger, der 1990 ins Geschäft eingetreten ist und sich in Sachen Markisen immer wieder Verbesserungskniffs einfallen lässt. Beispielsweise wenn er für einen Käufer aus New York City eine Sonderanfertigung macht, die sich dann kaum verschicken lässt: „Wir mussten das Ding halbieren.“ Da habe er kurzerhand ein Stecksystem für den Transport entwickelt.

Heute kommen die Kinder und Enkel der einstigen Stammkunden

Tatsächlich kann er über mangelnde Nachfrage nicht klagen: Abgesehen von den vielen Stammkunden kämen nun auch viele Kinder und Enkel von Leuten in den Deisenfang, die Häuser geerbt hätten, auf deren Markisen noch immer Fischinger-Aufkleber prangen. In der Regel sei eine neue Tuchbespannung nötig.

Wir haben eine eigene Markisentuchnäherei und produzieren selber ‐ das unterscheidet uns von vielen Mitbewerbern,

sagt Jürgen Fischinger.

Er betreibt die GmbH mit seiner Frau Brigitte und sechs Mitarbeitern, von denen die meisten schon Jahrzehnte mit im Boot seien.

Ans Aufhören denkt Jürgen Fischinger nicht, im Gegenteil: Sein Job mache ihm noch immer Spaß; er sehe ständig neue Gesichter, wenn er im Umkreis von rund 50 Kilometern für Aufmaß und Beratung zu den Kunden ‐ darunter viele Freibäder, Kindergärten oder Restaurants ‐ fahre.

Sein Cousin Jochen Fischinger will in Zeiten, in denen Innenstädte mit einer schrumpfenden Kundenfrequenz zu kämpfen haben, ebenfalls „mit Elan weiter machen“. 1995 hat er den Laden mit seiner heutigen Frau Ute Heyler übernommen. Unterstützt werden sie von drei Mitarbeitern und zwei Azubis. Klar, das Internet habe das Kaufverhalten verändert. Trotzdem kämen immer noch viele in sein Traditionsgeschäft in der Kirchstraße ‐ insbesondere Stammkunden.

„Sie gehören irgendwie zur Familie“

Immer wieder passiere es, dass jemand reinkomme, der oder die schon als Kind im Laden gestöbert habe ‐ und dort nun Geschenke für seine eigenen Kinder oder Enkel kaufe. „Sie gehören irgendwie zur Familie“, habe letztens eine ältere Dame zu ihm gesagt. „Sowas“, sagt Jochen Fischinger, „freut mich sehr.“


Am Samstag, 7. Oktober, wird das 100-jährige Fischinger-Jubiläum im Deisenfang 61 gefeiert. Von 9 bis 16 Uhr gibt’s für die Bevölkerung außer Bewirtung und Kinderangeboten auch ein Schaunähen. Der Bewirtungserlös wird an die Sonja Reischmann Stiftung und den Jugendhilfeverein Ravensburg gespendet.