Rätsel um Stadtwappen gelöst?

Archäologen in Ravensburg machen spektakulären Fund

Ravensburg / Lesedauer: 4 min

Ein bisschen Indiana Jones in Oberschwaben: Neben dem Ravensburger Rathaus haben Bauarbeiten möglicherweise ein altes Rätsel aufgedeckt.
Veröffentlicht:01.09.2023, 19:00

Von:
  • Frank Hautumm
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Was Wirte, Händler, Anwohner und Passanten mitunter nervt, versetzt Archäologen derzeit regelrecht in Euphorie: Die umfangreichen Bauarbeiten für die Nahwärme im historischen Ravensburger Zentrum fördern eine wahre Fundgrube für die Wissenschaftler zutage. An einer Baustelle direkt neben dem Rathaus sind jetzt massive Reste der alten staufischen Stadtbefestigung entdeckt worden. Ein bisschen ist es noch Spekulation, aber vielleicht bahnt sich dort gerade sogar ein Sensationsfund an.

Andreas Willmy steht an diesem regnerischen Nachmittag am Fuße der Grube direkt neben dem frisch gestrichenen Rathaus und markiert blaue Punkte an verschiedenen Stellen. Auch für den Laien gut erkennbar ist dort zwei Meter unter dem Marienplatz eine massive Mauer ausgegraben worden. Den Archäologen und Historiker aus Rottenburg am Neckar („Institut für Kulturvermittlung“) und seine Mitarbeiterin Wiebke Griebel hat das Jagdfieber gepackt.

Areal ist geschichtsträchtig

Willmy verfolgt die Arbeiten der Technischen Werke im Ravensburger Zentrum im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege schon seit 2022 kontinuierlich. „Archäologische Baubegleitung“ nennt sich das, erklärt Judith Baldauf, Referentin für Mittelalter– und Neuzeitarchäologie beim Landesamt für Denkmalpflege. „Uns war klar, dass wir in Ravensburg Entdeckungen machen würden. Das ist ganz fantastisch, was man hier findet.“ Das Areal, in dem gearbeitet wird, ist besonders geschichtsträchtig, und für die Nahwärme müssen größere Gräben gezogen werden, oft auch in bislang bei früheren Arbeiten ungenutzten und damit unberührten Bereichen.

Die Reste einer massiven Mauer sind gut erkennbar. (Foto: Siegfried Heiss )

Vor einem Jahr schon ist man auf Mauerreste direkt am Rathaus gestoßen, die Willmy elektrisiert haben. Der Fund passte nämlich gut zu einer Skizze aus dem Jahr 1959, die im Stadtarchiv lagert und ebenfalls Fundamente einer großen Mauer direkt unter dem Amtssitz von Oberbürgermeister Daniel Rapp dokumentiert. Damals hatte man hier in drei bis vier Metern Tiefe einen Hauptkanal durchgeschlagen und dabei die Anlagen entdeckt. In den vergangenen Tagen haben Andreas Willmy und Wiebke Griebel an der vor einem Jahr zunächst wieder verschlossenen Grube weitergearbeitet.

Direkt an der Nahtstelle

Für die beiden Archäologen ist klar, dass es sich um einen wichtigen Teil der staufischen Stadtbefestigung handeln muss. Denn die Wissenschaftler graben im Grunde direkt an der Nahtstelle zwischen dem stauferzeitlichen Ravensburg und der Stadterweiterung im 14. Jahrhundert.

Vermutlich wurde Mitte des 13. Jahrhunderts die Stadt erstmals ummauert. Die erste Befestigung bezog nur die Oberstadt ein, der heutige Blaserturm kann als Marke dienen. Erst Mitte des 14. Jahrhunderts erfolgte dann die Ummauerung der neu angelegten Unterstadt. Bei dieser Erweiterung entstand der Marienplatz. Vorhandene Tore und Wehrtürme wurden nun durch andere ersetzt, die stauferzeitliche Stadtanlage wurde funktionslos.

Die Mauer haben die Stadtherren damals durchbrochen oder in neue Bebauung einbezogen. In den 80er–Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat man dann auch bei der Renovierung des Waaghauses eine Stadtmauer freigelegt, wie Erhardt Schmidt in einer Dokumentation der Kreissparkasse 1988 schreibt. Auch auf eine Art Turm an dieser Stelle gibt es Hinweise.

Ein massiver Turm

Und genau ein solcher Turm hat offenbar auch an der Stelle neben dem Rathaus gestanden, an der Willmy jetzt gräbt. Genauer: „Ein Stadtmauerturm mit wohl über acht Metern Kantenlänge und einer starken Mauer von 1,80 Meter, das ist schon enorm“, sagt er beim Ortstermin. Das Bauwerk muss offenbar eine besondere Bedeutung oder Funktion gehabt haben.

Und an dieser Stelle traut sich der nüchterne Wissenschaftler Willmy ein bisschen zu spekulieren: Wenn man einen massiven Turm hier und einen ebensolchen beim heutigen Waaghaus annimmt, dann spricht einiges dafür, dass man 2023 auf nichts weniger als das ehemalige Stadttor Ravensburg gestoßen ist — jenes, das sich im Stadtwappen findet: zwei runde Türme mit einem Torbogen in der Mitte. „Zumindest könnte es sich um das historische Vorbild für diese bekannte Darstellung gehandelt haben“, sagt der Archäologe.

Das Wappen (rechts) am Erker des Rathauses. Hat man jetzt das historische Vorbild gefunden? (Foto: Frank Hautumm )

Ein Puzzle könnte sich da gerade zusammenfügen, wenn man die Skizze aus den 50er–, die Untersuchungen aus den 80er–Jahren und die aktuellen Funde zusammenpackt.

Alte Wasserrohre gefunden

Andere aktuelle Entdeckungen sind da nicht ganz so spektakulär, aber ebenfalls reizvoll. Beispielsweise die Rohre mit der Aufschrift „1843 Stadtwasser Ravensburg“, auf die Wiebke Griebel in der Grube zeigt. Vielleicht finden sie künftig einen Platz im Museum Humpisquartier.

Andreas Willmy und seine Mitarbeiterin haben viel fotografiert und dokumentiert. Fürs Erste müssen sie die Instrumente und die Drohne wieder einpacken. Für „Ravensburg spielt“ ist die Grube vorerst zugeschüttet worden. Doch bald könnte die Entdeckungsreise im historischen Zentrum noch weitergehen.