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Flucht vor dem IS

Aus dem Irak nach Oberschwaben: Wie ein Kriegsflüchtling auf einem Bauernhof anpackt

Bodnegg / Lesedauer: 7 min

Ibrahim Khalo Alali musste aus dem Irak vor dem IS fliehen. Mittlerweile arbeitet er in Bodnegg auf einem Bauernhof.
Veröffentlicht:08.01.2023, 12:00

Von:
  • Simon Müller
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Ibrahim Khalo Alali läuft der Schweiß die Stirn hinunter. Er gräbt mit einer Schaufel den Boden einer Anbaufläche um – und das bei über 30 Grad an diesem heißen Montag Ende August.

Aber heiße Tage ist Ibrahim gewöhnt. Er kommt ursprünglich aus dem Irak und hat auch dort schon in der Landwirtschaft gearbeitet. „Nachmittags war es in meiner Heimat oft sogar zu heiß, um zu arbeiten“, sagt Ibrahim.

Verfolgung im Irak

Doch das ist schon mehr als acht Jahre her. Mittlerweile unterstützt er den landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Abler in Buch, einen Hof nahe Bodnegg im Landkreis Ravensburg.

Dass er einmal auf einem oberschwäbischen Bauernhof arbeiten würde, war nie im Lebensplan des mittlerweile 51-jährigen vorgesehen. Krieg und Terror haben ihm und seiner Familie aber keine andere Wahl gelassen. „Weil wir Jesiden sind, werden wir im Irak verfolgt“, erklärt Ibrahim.

Flucht vor dem IS

Als sogenannte „Ungläubige“ werden Jesiden von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verfolgt und ermordet. IS-Terroristen marschierten 2014 im Nordirak ein und zerstörten auch Ibrahims Leben. Sie nahmen ihm seine Schafe und Ziegen und zerbombten seinen kleinen Hof. Sein Bruder kam bei dem Angriff der IS-Truppen ums Leben. „Sie haben mir alles genommen, ich hatte nichts mehr“, erzählt Ibrahim.

Ibrahim Khalo Alali arbeitet im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Abler in Buch, einem Hof nahe Bodnegg im Landkreis Ravensburg. (Foto: Abler/Abler)

Doch er konnte noch rechtzeitig mit seiner Frau und den gemeinsamen Kindern ins Gebirge fliehen. „Da haben wir eine Woche gelebt, dann sind wir nach Kurdistan weiter geflohen“, berichtet er. Kurdistan, ein nicht genau begrenztes Gebiet in Vorderasien, gilt als historisches Siedlungsgebiet der Kurden. Dort können Jesiden als ethnische Minderheit sicherer leben.

Der Weg nach Deutschland

„Wir haben bei Verwandten gewohnt. Ich habe dort einem Bauern ein bisschen geholfen, aber das Geld hat nicht gereicht, um meine Familie zu ernähren“, erzählt Ibrahim. Der letzte Ausweg: die Flucht nach Europa, nach Deutschland – so wie es schon viele Jesiden vor ihm gemacht haben. Seit 2015 sind über 75.000 Jesiden aus dem Irak nach Deutschland geflohen.

Inzwischen sind fast fünf Jahre vergangen, seit Ibrahim in Deutschland ankam. Zuerst landete er in der Landeserstaufnahmestelle in Sigmaringen, später wurde er nach Rosenharz bei Bodnegg weitergeschickt.

Ibrahim kommt zum Hof

Ein Mann aus der Flüchtlingsunterkunft vermittelte ihm dann den Hof der Ablers. Ibrahim arbeitete auf Probe, überzeugte und ist seit drei Jahren beim landwirtschaftlichen Betrieb der Ablers angestellt.

„Wir wollten das mit Ibrahim ganz bewusst versuchen“, sagt Angela Abler (49), die den Hof gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang (51) bewirtschaftet. Auf einer acht Hektar großen Fläche wird reine Biolandwirtschaft betrieben. „Der Hof als alleiniger Verdienst würde nicht reichen. Deswegen haben wir auch andere Standbeine“, sagt Abler und meint den Hofladen und ein Kochstudio, in dem sie Seminare geben.

Das Konzept auf dem Hof

Doch neben ihrer wirtschaftlichen Säule, wollen sie auch eine soziale Komponente ins Hofleben integrieren. Sie wohnen in einem Mehrgenerationenhaus und haben neben dem geflüchteten Ibrahim auch noch einen Autisten angestellt.  „Wir wollen mit unserem kleinen Hof eine Gemeinschaft sein und Lösungen zeigen, wie Landwirtschaft auch funktionieren kann.“

Ibrahim macht inzwischen eine Pause vom Graben. Er setzt sich unter die Laube im Hofgarten, erholt sich im Schatten und trinkt einen großen Schluck Wasser.

Es ist gut, dass Ibrahim schon im Irak in der Landwirtschaft gearbeitet hat.

Angela Abler

Mit seiner Arbeit auf dem Hof sind die Ablers mehr als zufrieden. „Es ist gut, dass Ibrahim schon im Irak in der Landwirtschaft gearbeitet hat“, sagt Angela Abler. Im Irak hat sich Ibrahim um mehr als 150 Schafe gekümmert und Gemüse angebaut. Er weiß, wie die Arbeit draußen ist.

„Man macht hier manches anders, aber vieles ist auch ähnlich“, erklärt er in gebrochenem Deutsch. Ibrahim geht die Dinge selbstbewusst an. „Er hilft die Schafe einzuzäunen, den Rasen zu mähen, zu ernten, aber auch mal den Hofladen zu saugen oder unterstützt uns bei Veranstaltungen“, erklärt Angela Abler.

Sie meint, Geflüchtete wie Ibrahim hätten für den deutschen Arbeitsmarkt ein enormes Potenzial, das noch viel zu wenig genutzt wird. „Ich glaube Flüchtlinge zu integrieren, gerade auch in der Landwirtschaft, ist für viele Betriebe interessant.“

Und trotzdem scheitert die Integration Geflüchteter in die Arbeitswelt immer wieder. Gibt es mit Ibrahim etwa keine Probleme?

Probleme bei der Arbeit

„Doch, wir haben natürlich auch einige Schwierigkeiten gehabt“, gibt Angela Abler zu. Zum einen die Sprache: Ibrahim spricht kaum Deutsch. „Ich verstehe auch vieles nicht“, sagt er. Es passieren immer wieder Fehler, „die man deswegen akzeptieren muss. Da muss man eine gewisse Toleranz mitbringen“, so Angela Abler.

Außerdem merke sie immer wieder, dass Ibrahim aus einem anderen Kulturkreis stamme. So sei er überrascht gewesen, dass auch Frauen auf dem Hof mitarbeiten. In seiner Heimat sei das „Männersache“. Auch dass Angela seine Chefin ist, daran musste er sich gewöhnen. „Er hat zu mir am Anfang immer wieder gesagt: Du gehst in die Küche, ich mache das“, erzählt sie amüsiert.

Eine 40-Stunden-Woche mit fünf Arbeitstagen à acht Stunden kannte Ibrahim Khalo Alali bisher nicht. (Foto: Abler)

In seiner Heimat war Ibrahims Tätigkeit in der Landwirtschaft weniger durchgetaktet. Eine 40-Stunden-Woche mit fünf Arbeitstagen à acht Stunden kannte er nicht. „Deswegen war es wichtig, das richtige Arbeitspensum für ihn festzulegen“, sagt Abler. Ibrahim ist mit einem Halbtagesvertag angestellt – fünf Tage die Woche, je vier Stunden.

Der Schlüssel zur Integration

Mittlerweile sind die beiden ein eingespieltes Team – trotz der kulturellen und sprachlichen Barrieren. „Heute arbeiten wir fast wie Bruder und Schwester zusammen“, sagt die Landwirtin.

Für sie liegt der Schlüssel für eine gelingende Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt darin, sich auf Lösungen zu konzentrieren – und nicht auf die Probleme.

Mit seiner Arbeit auf dem Hof sind die Ablers mehr als zufrieden. (Foto: Abler/Abler)

Dann sind Geflüchtete auch keine Arbeiter auf Zeit, nur für eine Saison oder ein paar Monate, sondern können dauerhaft integriert werden, ist sich Abler sicher. Und das werde - angesichts des enormen Fachkräftemangels in Deutschland - immer wichtiger.

Die neue Generation

„Und die Kinder wachsen schon in unser Arbeitsmodell und unsere Werte hinein, wenn die Eltern integriert sind und sich heimisch fühlen“, sagt Abler.

Bei Ibrahim und seiner Familie ist das der Fall. Seine beiden jüngsten Töchter – Hayam (17) und Parwenn (12) - sprechen perfekt Deutsch und gehen hier zur Schule. Hayam will Erzieherin werden.

Die ganze Familie sieht ihre Zukunft in Deutschland. Seit zwei Jahren wohnen sie in einem kleinen Häuschen mitten im Bodnegger Wohngebiet. In der Nachbarschaft ist Ibrahim beliebt. Angela Abler weiß: „Er hat keine Berührungsängste, geht auf die Menschen zu und hilft überall mit.“

Zuhause sitzen und schlafen, das ist langweilig.

Ibrahim Khalo Alali

Auch dem über 90-jährigen Hof-Opa Bernhard Abler hilft Ibrahim – zum Beispiel beim Holzspalten. „Die Arbeitsteilung zwischen Ibrahim und einem 90-jährigen oberschwäbischen Landwirt zu beobachten, das ist schon cool“, sagt Abler.

Ibrahim möchte in Oberschwaben heimisch werden. (Foto: Abler)

Ihr ist klar, dass Ibrahim ein Glücksgriff war. „Zuhause sitzen und schlafen, das ist langweilig“, sagt er, der fest vorhat, hier in Oberschwaben heimisch zu werden.

Der beste Chef

Ob Ibrahim noch woanders in der Region arbeiten will?  „Nein. Hier gefällt es mir. Denn mein Chef ist sehr gut“, sagt er und schaut zu Angela Abler hinüber. „Ibrahim macht schon wieder Sprüche“, erwidert sie.

Ibrahim grinst schelmisch, steht auf und macht sich wieder an die Arbeit – schließlich hat er noch ein ordentliches Stück Bodenfläche umzugraben.