Forschungsprojekt
Was Forscher über den Stadtsee herausgefunden haben
Bad Waldsee / Lesedauer: 4 min

- Dorothee Kammel
Für die Waldseer ist der Stadtsee nicht irgendein See. Das ist beim Vortrag des Teams rund um Sigrid Hirbodian, Professorin der Geschichtswissenschaften an der Universität Tübingen, und Geowissenschaftsprofessor Matthias Hinderer von der technischen Universität Darmstadt wieder einmal deutlich geworden. Ein Team aus über 20 Wissenschaftlern, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, untersucht den Stadtsee seit Monaten. An diesem Abend teilten die Forscher erste, konkrete Ergebnisse mit.
Mehr als 100 Stühle hatte Claus Neher vom Museumsverein im großen Saal des Kornmuseums aufgestellt. Doch sie reichten nicht aus. Schnell wurden weitere Stühle hereingekarrt ‐ auch diese waren sofort besetzt. Das Interesse war riesig und so strömten vielen Besucher in das charmante alte Gebäude, um in die wissenschaftlichen Tiefen des Stadtsees einzutauchen. Bürgermeisterin Ludy begrüßte alle und wurde direkt ein wenig emotional. Sie sei am Stadtsee aufgewachsen. Man möge es ihr nachsehen.
Glücksfall für die Wissenschaft
„Bad Waldsee ist ein Glücksfall für die Wissenschaft“, betonte Wissenschaftlerin Hirbodian, die den Anfang machte. Sowas hörten die Waldseer natürlich gerne und klatschen begeistert.
Doch was macht den See und die Stadt so einzigartig, dass sich Wissenschaftler dermaßen dafür begeistern, mit großen Rohren anrücken, um im Schlick herumzubohren und monatelang Archiveinträge zur Stadtgeschichte wälzen? Wie oft in der Wissenschaft, erscheint das Ziel zunächst ein wenig abstrakt. Man möchte Sedimentablagerungen aus den Tiefen des Sees mit historischen Quellen zur Stadtgeschichte abgleichen, um wichtige Ereignisse aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit besser einordnen zu können.

Im Klartext heißt das: Der Stadtsee dient als Zeuge von Kriegen, Seuchen, wachsender und schrumpfender Bevölkerung und Handwerk. Aber nicht nur das. Die Forschungsergebnisse helfen auch dabei, einen Standard für natürliche Wasserqualität festlegen zu können ‐ wichtig für EU-Gewässer-Richtlinien ‐ wie Professor Hinderer im Anschluss an den Vortrag betonte. Vorindustrielle Ablagerungen können hierbei wichtige Informationen liefern und zeigen, wie sensibel die Umwelt auf Krisensituationen reagiert hat, zum Beispiel während des Dreißigjährigen Kriegs. „Das sind wichtige Erkenntnisse für Anpassungsstrategien beim heutigen Klimawandel“, so Hinderer.
Spannender Spurt durch Waldsees Geschichte
Der Stadtsee hatte das große Los unter vielen Seen in Oberschwaben gezogen, da er optimale Bedingungen für die Forschung mitbringt. Er liegt direkt am mittelalterlichen Stadtkern. Das Wasser ist hart, was in diesem Fall positiv ist, da die Teilchen, die als Sedimente auf den Grund des Sees sinken, gut erhalten bleiben. Bis auf die Jahre genau können so die Schichten in der Tiefe analysiert werden ‐ vergleichbar mit den Jahresringen eines Baums. Auch die Jahreszeiten bilden sich klar im trockenen Sediment ab. Die Projektion an der Wand des früheren Kornhauses zeigt klar abgegrenzte helle und dunkle Streifen. Hell für Sommer, dunkel für Winter.
Die beiden Redner verzahnten anschaulich die Ergebnisse aus den Geistes- und Naturwissenschaften. Hirbodian spurtete im Schnelldurchlauf durch Waldsees Mittelalter, nahm die konzentrierten Zuhörerinnen mit ins Jahr 1298, als die Stadt das Stadtrecht verliehen bekam. Sie erklärte anschaulich, wie sich das Marktrecht auswirkte und welche Stürme die Stadt unter verschiedenen Herren und Fürsten erleiden musste.

Professor Hinderer war für den geowissenschaftlichen Teil zuständig und tauchte mit den Zuhörern in die Tiefen des Stadtsees ab. Er und verschiedene Teams hatten mit langen Rohren bis zu acht Meter tief in den untersten Schlickschichten gebohrt und Sedimente heraufgeholt. Das entspricht 5000 Jahren Umweltgeschichte. Wobei vor allem die letzten 1000 Jahre für dieses Projekt interessant sind. „Das Rohr muss danach sofort verschlossen werden“, so Hinderer. Die getrockneten und biochemisch behandelten Schichten verraten viel über Nähr- und Schadstoffe im Wasser vor hunderten von Jahren.
Beweismittel auf dem Seegrund
Dann übernahm Hirbodian wieder und sprang zurück in die Geschichte der Stadt. Sie führte die Zuhörer in den 30-jährigen Krieg, erzählte von Plünderungen und einquartierten Soldaten, was eine große Seuchengefahr bedeutete. Auch die Landbevölkerung wurde zum Problem, da sie versuchte, sich hinter die Stadtmauern zu retten. Der Stadtsee bekam all dies zu spüren. Mehr Menschen, mehr Produktion, mehr Verunreinigung im Wasser und somit viele historische Beweismittel, darunter Kohlepartikel durch Stadtbrände oder Chemikalien durch Bleiche für die Leinenproduktion, die sachte auf den Grund des Sees sanken.
Als der Vortrag endet, ist es still im Saal. So viel geballte Stadt- und Seegeschichte muss erst einmal verarbeitet werden. Zu Kräften kommen die Besucher aber schnell wieder bei liebevoll belegten Schnitten mit Schinken, Rote-Beete-Couscous-Salat und exotischer Tunfischcreme. Angeregtes Stimmengewirr bei wissenschaftlichem und wissbegierigem Austausch füllt noch eine ganze Weile den Raum.