StartseiteRegionalRegion LindauSigmarszellDroht den Baugebieten in  Sigmarszell das Aus?

Nach Urteil auf Bundesebene

Droht den Baugebieten in  Sigmarszell das Aus?

Sigmarszell / Lesedauer: 5 min

Die Gemeinde Sigmarszell bekommt die Folgen des gekippten Bau-Paragrafen 13b zu spüren. Nur die Häuslebauer in zwei Baugebieten können aufatmen.
Veröffentlicht:19.10.2023, 05:00

Von:
  • Ruth Eberhardt
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Möglichst schnell Wohnraum schaffen: Mit diesem Ziel wurde 2017 der Paragraf 13b ins Baugesetzbuch geschrieben. Er erlaubte den Kommunen, kleine Baugebiete im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung auszuweisen. Die Gemeinde Sigmarszell hat diese Möglichkeit besonders oft genutzt: für sechs Baugebiete. Doch vor Kurzem hat das Bundesverwaltungsgericht den Paragrafen 13b gekippt. Was dies für die Sigmarszeller Baugebiete bedeutet.

Landauf landab haben Städte und Gemeinden an einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig zu knabbern. Es stellte im Juli 2023 fest, dass der Paragraf 13b nicht mit dem Europarecht vereinbar ist, wonach eine Umweltprüfung zwingend erforderlich ist. Ausgerechnet dieser Punkt war aber in Paragraf 13b ausgenommen: Von 2017 bis Ende 2022 ermöglichte er den Kommunen, Wohngebiete am Siedlungsrand ohne Umweltprüfung und ökologischen Ausgleich in einem beschleunigten Verfahren auszuweisen ‐ allerdings nur zum Wohnen, nur direkt an den Ort angrenzend und nur bis maximal 10.000 Quadratmeter.

Politische Reaktion auf Zuzug vieler Flüchtlinge

Der Gesetzgeber wollte damit als Reaktion auf den Zuzug vieler Flüchtlinge in Folge des Syrienkriegs ermöglichen, schnell provisorischen Wohnraum am Stadtrand zu schaffen. Bald bemerkten viele Kommunen jedoch, dass sie dank des neuen Paragrafen Baugebiete viel billiger und schneller als im Regelverfahren schaffen konnten. So manche Kommune, darunter auch Sigmarszell, fasste sogar kurz vor Ende des Jahres 2022 noch schnell einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan, um sich die 13b-Bestimmungen zu sichern. Denn sie waren bis Ende 2022 befristet.

Und jetzt? Was bedeutet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts für die noch laufenden Bebauungsplanverfahren nach 13b, für bereits erschlossene 13b-Baugebiete und für die Baugenehmigungen der Häuslesbauer? Die Unsicherheit war bundesweit groß, viele Bebauungspläne wurden vorerst auf Eis gelegt, zum Teil gibt es immer noch offene Fragen.

Mit diesen beiden Baugebieten sind wir auf der sicheren Seite.

Jörg Agthe

Entwarnung gibt der Sigmarszeller Bürgermeister Jörg Agthe jetzt zumindest für die beiden Baugebiete, die am weitesten entwickelt sind: für die „Sonnalpstraße“ in Niederstaufen, wo derzeit bereits an mehreren Häuser gebaut wird, sowie für das kleinere Baugebiet „An der Wiesenstraße“ in Schlachters, wo aktuell ein Rohbau steht.

„Mit diesen beiden Baugebieten sind wir auf der sicheren Seite“, erklärt Agthe. Aus zwei Gründen. Beide Bebauungspläne seien zwar nach 13b erstellt worden. „Aber der Planer hat uns damals geraten, trotzdem einen Umweltbericht zu machen“, sagt Agthe, der dem Planer für diesen Rat heute sehr dankbar ist. „Damit sind diese Baugebiete ganz nah dran, im Einklang mit dem EU-Recht zu sein.“ Entscheidend aber sei, dass die öffentliche Auslegung der Bebauungspläne „Sonnalpstraße“ und „An der Wiesenstraße“ bereits mehr als ein Jahr zurückliegt. Denn nach dieser Zwölf-Monatsfrist gelten laut Agthe alle eventuellen Verfahrensmängel (außer groben Rechtswidrigkeiten) als geheilt.

Für die Häuslesbauer in diesen beiden Baugebieten bedeutet dies: „Alle Baugenehmigungen, auch in der Genehmigungsfreistellung, sind rechtsgültig und nicht anfechtbar“, betont Agthe, der sich diesbezüglich auch beim bayerischen Gemeindetag erkundigt hatte.

Vier Baugebiete sind unsicher

Anders verhält sich die Situation bei den vier weiteren geplanten Baugebieten in der Gemeinde Sigmarszell ‐ je nachdem, in welchem Verfahrensstadium sie sich gerade befinden

Für das Gebiet „An der Wiesenstraße II“ in Schlachters wurde das Bebauungsplanverfahren im November 2022 in Gang gesetzt. Derzeit läuft die Beteiligung der Behörden und Träger öffentlicher Belange. Agthe geht davon aus, dass die Gemeinde hier in ein anderes Verfahren wechselt ‐ voraussichtlich in das beschleunigte Verfahren nach Paragraf 13a. Er ermögliche ebenfalls verkürzte Fristen, verlange aber einen Umweltbericht und Ausgleichsbilanzen. Zudem könne der Flächennutzungsplan nicht einfach angepasst, sondern müsse in einem Parallelverfahren geändert werden. Welchen Weg die Gemeinde hier einschlägt, müsse der Gemeinderat erst noch festlegen.

Baugebiet „Kurzenbühel“ steht auf der Kippe

Das Baugebiet „Kurzenbühel“ am Ortsausgang von Niederstaufen (in Richtung Opfenbach) steht indes auf der Kippe. Den Aufstellungsbeschluss hierzu hatte der Gemeinderat im Dezember 2022 gefasst ‐ als „Vorratsbeschluss, der die Türen offenhält“, wie Agthe damals gesagt hatte. Die Gemeinde wollte sich damit kurz vor knapp noch die 13b-Bestimmungen sichern. „Bei Kurzenbühel ist die Frage, ob es überhaupt noch kommt“, sagt der Bürgermeister jetzt auch im Hinblick auf das Baugebiet, das inzwischen im Zusammenhang mit einem Dorfgemeinschaftshaus angedacht ist.

Ebenfalls in Niederstaufen vorgesehen ist das Baugebiet „An der Sulzerwiese II“. Von Anfang an war klar, dass diese Bauplätze erst dann zur Verfügung stehen sollen, wenn die „Sonnalpstraße“ vollständig bebaut ist. Die „Sulzerwiese II“ hat das Bebauungsplanverfahren bereits vollständig durchlaufen, sogar die Satzung ist bereits beschlossen. Aber sie ist noch nicht bekanntgegeben und damit noch nicht rechtskräftig. Der Grund für diese Zurückhaltung: „Es steht noch eine Einigung mit Grundstückseigentümern aus“, erklärt Agthe. Könnte es im Extremfall passieren, dass dieser Bebauungsplan eingestampft werden muss? Der Bürgermeister beantwortet diese Frage mit „Ja“.

Das wäre auch gegenüber den Bürgern nicht fair.

Jörg Agthe

Auch das Baugebiet Witzigmänn-Egghalden beruht auf dem Paragrafen 13b. Auch hier ist der Bebauungsplan fertig, die Satzung aber noch nicht bekannt gemacht ‐ wegen des Leipziger Urteils. Das Risiko, dass dieser Bebauungsplan gerügt wird, ist dem Bürgermeister zu hoch. „Das wäre auch gegenüber den Bürgern nicht fair“, sagt Agthe. Deshalb will er abwarten, wie der Bundesgesetzgeber mit den 13b-Bestimmungen umgeht. Falls dieses Gebiet ein neues Bebauungsplanverfahren durchlaufen müsse, hätte dies einen entsprechendem Kosten- und Zeitaufwand zur Folge.

Für den diesjährigen Haushaltsplan der Gemeinde Sigmarszell hat das Leipziger Urteil nach Angaben von Bürgermeister Agthe noch keine Folgen ‐ etwa im Hinblick auf Grundstückserlöse oder Planungskosten. „In der Finanzplanung für die folgenden Jahre werden wir es aber berücksichtigen müssen. Das wird sich in Einnahmen und Ausgaben auswirken“, sagt er.