Angespannt
Weite Wege, lange Wartezeiten: So dramatische ist die Ärzte-Situation
Nonnenhorn / Lesedauer: 4 min

Olaf Winkler
Auf dem Papier ist der Landkreis Lindau mit Ärzten überversorgt. Doch Patienten erleben es ganz anders: Lange Wartezeiten auf Facharzt–Termine und weite Wege zu einem Hausarzt sind die Regel. Mit diesem Thema hat sich jetzt der Kreisverband des Bayerischen Gemeindetages beschäftigt. Nach einstündigen Diskussion war klar: Die Möglichkeiten der Kommunen, an der Situation etwas zu verbessern, sind sehr beschränkt.
Die Zahlen lesen sich zunächst gut: Der obere Landkreis gilt mit 25 Hausärzten zu gut 94 Prozent als versorgt, im unteren Landkreis sind es mehr als 132 Prozent. Dort sind 35 Hausärzte aktiv. Doch Axel Olaf Kern von der Hochschule Ravensburg Weingarten schränkt ein: „50 Prozent davon sind in zehn Jahren weg“. Denn schon heute sind in Lindau 40 Prozent der Ärzte 60 Jahre oder älter.
Hinzu kommt: Auch die Bevölkerung im Landkreis wird immer älter — und benötigt deshalb immer häufiger einen Arzt. Ein weiteres Problem aus Sicht von Kern ist die ungleiche Verteilung der Ärzte: Im östlichen Landkreis gibt es nur noch eine Praxis, in Hergensweiler gar keine.
Augenärzte und Psychotherapeuten fehlen besonders
Auch bei den Fachärzten sind Defizite unübersehbar. Für den Lindenberger Bürgermeister Eric Ballerstedt ist ein Augenarzt das „Hauptthema“. Denn hier sei absehbar, dass es in wenigen Jahren keine Versorgung im oberen Landkreis mehr gibt.
Martin Schwarz, Bürgermeister MeierhöfenWarum soll sich ein Arzt hier niederlassen, wenn er andernorts mehr Geld verdienen kann?
Auch die Versorgung beispielsweise mit Apotheken und Psychotherapeuten hat Kern in einer Studie beleuchtet. Das Defizite ist besonders in den kleineren Kommunen groß. Dabei liege der Landkreis bei der Suizidrate in Deutschland weit vorn. Auffällig jedoch ist die Vielzahl der Psychotherapeuten in Stiefenhofen.
Für den Kreisvorsitzenden des Ärzteverbandes, Klaus Adams, ist die sinkenden Zahl der Medizin–Studienplätze eine der Ursachen des Problems. Sie lag um 1990 noch bei 17.000, aktuell sind es 11.000.
Bekommen Ärzte zu wenig Geld?
In der Schaffung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) sieht er keine Lösung. Manches MVZ schließe nach einigen Jahren wieder. Denn: „Wenn Ärzte dort nur 38,5 Stunden arbeiten, ist das nicht kostendeckend“.
Problematisch aus seiner Sicht ist auch, dass „die Vergütung der Ärzte im Privatbereich seit fast 30 Jahren unverändert geblieben ist“. Mit Blick auf die Inflation sei auch die Anhebung der Vergütungen im Kassenbereich um zwei Prozent „nicht kostendeckend“.
Nachfolger fehlen
Und der Zahnarzt Ralf Hartmann aus Heimenkirch monierte den ständig steigenden Verwaltungsaufwand: „Die Digitalisierung ist ein Klotz“, der bereits zwischen 20 und 30 Prozent der Arbeitszeit ausmache. Die Folge: Mehr und mehr Praxisinhaber finden keinen Nachfolger.
Maierhöfens Bürgermeister Martin Schwarz fragte in die Runde, ob es nun die Gemeinden seien, „die das kranke System gesund machen müssen“. Gerade kleinen Kommunen werde es nicht gelingen, Ärzte in die Region zu bringen. Denn: „Warum soll sich ein Arzt hier niederlassen, wenn er andernorts mehr Geld verdienen kann?“.
Denkbar sei zwar, dass beispielsweise die Argentalgemeinden einen Zweckverband für ein MVZ gründen. Aber: „Es krankt woanders“. Viele Milliarden seien im System: „Und nun sollen wir als Gemeinden mit Steuergeldern dieses System unterstützen?“. Sein Fazit: „Da passt doch etwas nicht“.
Patienten können helfen
In einem Punkt könnten auch Patienten helfen, den Landkreis für Ärzte attraktiver zu machen, waren sich die Bürgermeister Markus Eugler (Grünenbach) und Felix Eisenbach (Bodolz) einig. Die Zeiten, „in denen ein Landarzt 24 Stunden für Patienten da ist“, seien vorbei, sagte Eugler. Und so gelte es, „den Arzt auch mal in Ruhe zu lassen, beispielsweise am Wochenende“, forderte Eisenbach.
Für den Leiter der „Gesundheitsregion Plus“ im Landratsamt, Thomas Kaleja, ist klar, dass es „überregionale Stellschrauben gibt, an denen wir nichts ändern können“. Sehr wohl aber könnte es Bereiche geben, in denen auch auf Landkreisebene eine Zusammenarbeit möglich ist. Denkbar seien Kooperationen beispielsweise mit Unternehmen, die im Gesundheitssektor arbeiten.
Der Vorsitzende des Kreisverbandes des Gemeindetages, der Scheidegger Bürgermeister Ulrich Pfanner, möchte von Kern und Kaleja gerne mehr zu Beispielen aus anderen Regionen hören, die Vorbild sein können. Dies könnte bei einer Besprechung innerhalb des „Gesundheitsregion Plus“-Projekts erfolgen.