Wohnungsknappheit
Denkmalschutz und Vorzüge für Einheimische: Darum stehen Wohnungen leer
Lindau / Lesedauer: 8 min

Julia Baumann
In manchen Häusern wohnen einzelne Menschen auf vielen Quadratmetern, andere sind komplett unbewohnt. Leerstand ist ein Phänomen, das es in fast allen deutschen Städten gibt. Auch in solchen wie Lindau, wo Wohnraum knapp ist. Warum ist das so und wie lässt sich das ändern? Dazu forscht ein Team der Technischen Universität München am Beispiel Landkreis Dachau. Professorin Elisabeth Wacker über erste Ergebnisse, die sich auch auf unsere Region übertragen lassen.
Frau Wacker, welche Rolle spielen Leerstände für die Wohnraumversorgung?
Leerstand ist definitiv ein Segment der Wohnraumversorgung. Was man schon hat, braucht man nicht zu bauen. In den vergangenen Jahren ist das Thema dringlicher geworden. Denn bevor irgendwas gebaut wird, gibt es eine gigantische Zeit der Vorbereitung.
Heiß diskutiert haben Experten über das Thema Wohnen in Lindau. Hier gibt es das Video.
Und trotzdem stehen in allen Städten und Gemeinden Wohnungen leer. Warum ist das so?
Es gibt eine gewisse Leerstandsquote, die als normal gilt. Das sind so drei bis vier Prozent. Ansonsten könnte niemals jemand umziehen oder eine Wohnung gestrichen werden. Ohne diese Fluktuation herrschte Stillstand.
Es gibt aber auch Häuser und Wohnungen, die Monate oder gar Jahre leer stehen.
Ja, und das ist auch in Regionen wie Ihrer der Fall, wo die Menschen ja eigentlich gern hinziehen und leben möchten. Man muss genau hinsehen, um zu verstehen, was dort zu Leerstand führt. Für unsere Studie haben wir mit 17 Gemeinden im Landkreis Dachau zusammengearbeitet. Wir hatten das Glück, dass sie selbst über ihre Situation Bescheid wissen wollten. Wir haben Begehungen gemacht und mit Menschen gesprochen, die ihre Wohnungen leer stehen lassen.
Welche Gründe gibt es für Leerstand?
Häuser werden mit der Zeit automatisch wertvoller. Darum gibt es Investoren, die Gebäude kaufen, und sie dann einfach stehen lassen. Bei etwa der Hälfte der leer stehenden Wohnungen und Häuser geht es aber um etwas Anderes, und das hat etwas mit Eigentum und Familie zu tun.
Elisabeth WackerZunächst einmal muss man ernst nehmen, dass es sich hier um Eigentümer handelt. Sie dürfen mit ihren Häusern an sich machen, was sie möchten.
Viele bauen und haben die Vorstellung, dass ihr Haus sie ihr Leben lang begleitet. Am Ende wohnen in diesen Häusern alleinstehende, ältere Frauen. Das bezeichnen wir als untergenutzten Wohnraum. Oft liegen die Gebäude im Ortskern und haben noch eine Einliegerwohnung, die nicht vermietet wird, weil die Hausbesitzerinnen sich Sorgen machen, was dann auf sie zukommt. Sie haben zum Beispiel Angst vor Mietnomaden. In manchen Städten gibt es ganze Siedlungen, in denen sich dieses Phänomen zeitgleich zeigt. Gemeinden weisen dann oft Neubaugebiete aus, in die wieder junge Familien ziehen. Das Problem wiederholt sich somit einige Jahre später.
Was halten Sie von Tauschbörsen, wo Menschen ihre großen Häuser und Wohnungen gegen kleine eintauschen sollen?
Ich finde das eher ein bisschen romantisch gedacht und ehrlich gesagt auch ein wenig übergriffig. Und wenn man das im großen Stil macht, zerfällt die Gemeinschaft eines Stadtviertels.

Wie kann man Hausbesitzerinnen dann dazu bringen, ihre Häuser und Wohnungen zu vermieten oder zu verkaufen?
Zunächst einmal muss man ernst nehmen, dass es sich hier um Eigentümer handelt. Sie dürfen mit ihren Häusern an sich machen, was sie möchten. Viele wollen das Haus an ihre Enkel vererben. Die wollen darin aber vielleicht gar nicht leben.
Oder es gibt Erbengemeinschaften, die sich nicht sofort einigen oder einander auslösen können. Das dauert dann Jahre. Und Zwischenmiete kommt eher nicht infrage, aus Sorge, dass man die Leute nicht mehr losbekommt. Nicht zu Unrecht, denn befristet zu vermieten, ist in Deutschland schwierig. Manche vererben auch an die Kirche, die Häuser dann oft lässt. Die Kirche ist eben kein Vermieter. Wer glaubt, dass er etwas Gutes tut, wenn er sein Haus an die Kirche vermietet, muss sein Erbe mit der Auflage verbinden, dass es vermietet werden muss.
Und dann sind da noch die Einheimischenmodelle, die es in vielen Gemeinden gibt.
Wie meinen Sie das? Die sind doch eine gute Sache — oder nicht?
Die Gemeinden versuchen, ihren Bürgern zu helfen, indem sie über Einheimischenmodelle günstige Kredite ermöglichen. Wenn aber etwas schiefgeht, ein beruflicher Wechsel ansteht oder ein Ehepaar sich trennt, können viele gar nicht anders, als das Haus leerstehen zu lassen oder allein darin zu wohnen. Denn die Bindung ist meist personenbezogen.
In Lindau berichten Vermieter, dass sie Wohnungen nicht vermieten, weil sie eigentlich sanierungsbedürftig sind. Die Sanierung lohnt sich aber nicht, weil die Auflagen für den Denkmalschutz hoch und vor allem teuer sind. Welche Rolle spielt Denkmalschutz für den Leerstand?
Der Denkmalschutz spielt eine Rolle, wenn auch sicher nicht die größte. Aber natürlich kommt es darauf an, wie viele denkmalgeschützte Gebäude es in einer Stadt gibt.
Muss es in Sachen Denkmalschutz ein Umdenken geben?
Ämter müssen Flexibilität lernen. Ich glaube aber, dass sich da bald was bewegen wird, allein schon wegen der Energiethemen, die sich mit strengen Denkmalschutzverordnungen oft nicht vereinbaren lassen. Das kann in dem Fall auch eine Chance sein.
Welche Lösungen gibt es für all die anderen Probleme, die Sie angesprochen haben?
Wir glauben nicht, dass man irgendetwas löst, indem man mit dem Finger auf die Leute zeigt, die Wohnungen oder Häuser leerstehen lassen. Denn oft gibt es da überhaupt kein Unrechtsbewusstsein.
Muss man dieses Unrechtsbewusstsein schaffen?
Man muss den Menschen zeigen, dass Wohnraum eine Ressource ist, die der Gemeinschaft dient. Dass sie also den Ast absägen, auf dem sie sitzen, wenn sie an die gewünschte Infrastruktur denken. Wenn zum Beispiel der Arzt zumacht, weil er kein Personal bekommt, weil das Personal wiederum keine Wohnung bekommt, wird es unangenehm. Und dieser Punkt ist eigentlich schon erreicht.
Menschen, die einen Dienst in der Gemeinde tun sollen, finden keinen bezahlbaren Wohnraum. Dafür muss Bewusstsein geschaffen werden. Wir haben bei unseren Erhebungen keinen einzigen Menschen getroffen, der gesagt hat: Was schert mich der Rest der Welt. Wir haben übrigens auch keine Mietnomaden getroffen. Oder Menschen, die wirklich am allerliebsten alleine leben. Man muss den Menschen Mut machen, Mieten zuzulassen.
Welche Rolle spielen dabei Verwaltung und Kommunalpolitik?
Ob man nur noch Leute bei sich wohnen lässt, die es sich leisten können, ist eine politische Entscheidung. Ein Beispiel: Es ist wichtig, dass es in Gewerbegebieten die Möglichkeit für Betriebsleiterwohnungen gibt. Die Gemeinden müssen ihre eigene Bequemlichkeit abbauen und einen Teil der Aufgabe übernehmen. Man muss die Menschen motivieren, gute Beispiele zu geben. Am besten über alle Kanäle, über Gemeindebriefe und Mitmach–Aktionen. Verhalten ändert sich durch Aufklärung und durch spannende Vorbilder.
Haben Sie den ultimativen Tipp, wie man das Leerstandsproblem lösen könnte?
Den gibt es leider nicht. Aber es gibt gute Ansätze. Wir haben mit jemandem gesprochen, der Menschen in sein Gehöft einziehen lassen hat — und das war die beste Zeit seines Lebens.
Das Forschungsprojekt zum Leerstand im Landkreis Dachau
Seit drei Jahren verfolgen Elisabeth Wacker und ihre Kollegen in dem Forschungsprojekt „Wohnungsleerstand wandeln — Partizipative Entwicklung neuer Konzepte zum Umgang mit un(ter)genutztem Wohnraum im Landkreis Dachau“ die Frage, wie Leerstände dort wieder genutzt werden können. Die Forscher haben verschiedene Studien sowie viele Interviews zu ungenutztem Wohnraum gemacht.
Damit sei der Landkreis Dachau besonders gut aufgestellt, so Wacker. „Weil er frühzeitig erkannt hat, dass vor allem Fragen von Wohnen und Verbundenheit seine Zukunft bestimmen werden.“ In einer der Studien haben sich Fachleute mit der Situation auf dem lokalen Wohnungsmarkt sowie mit möglichen und nötigen Lösungen auseinandergesetzt.
Auf die Forschungsergebnisse gebe es international und national große Resonanz. „Denn viele andere Regionen sehen sich vor ähnlichen Herausforderungen im Umgang mit Wohnraumgestaltung und -nutzung.“ In Dachau seien bereits Ziele formuliert worden. Auch der laufende Austausch zu Erkenntnissen habe bereits Wirkung gezeigt, zum Beispiel bei der Ausgestaltung von Bauvorhaben und der Vergabeform von Wohnraum. „Gemeinschaft lässt sich nicht einfach konsumieren, sie wird gelebt“, sagt Wacker.
Zugleich gebe es Aufgaben, die nicht nur durch Zusammenhalt gelöst werden können, sondern auf der regionalen, der überregionalen Ebene und in den gesetzlichen Regelungen einen Wandel erfordern.