Kann eine komplette Stadt verblöden? Na gut, die Frage muss erlaubt sein. Gibt es zur Schwarmintelligenz auch eine Schwarmdemenz? Vermutlich. Zumindest wenn es nach der Kabaräh-Truppe um Götz Rauch geht. Mit „Voll blöd?“ feierte ihr neues Programm am Freitagabend eine viel umjubelte Premiere im Club Vaudeville . Zweieinhalb Stunden lang sezierten sie lustvoll das Geschehen der vergangenen eineinhalb Jahre. Eine endgültige Antwort auf die Eingangsfrage fanden sie nicht, was aber auch daran liegen könnte, dass Verblödung ja ein steter, schleichender Prozess ist.
Dabei lassen Rauch & Co von Beginn an die Sau raus oder besser an den Grill. Schließlich sorgte der Spanferkel-Grill-Weltrekord von „Wir in Aeschach“ für eine weltweiten Aufruhr im Internet, inklusive rustikalem Aufeinandertreffen von Veranstalter und Reportern. Die entsprechende Videosequenz im Internet spielen die Kabarähler detailgetreu nach. Manchmal schlägt die Wirklichkeit die Satire um Längen.
Das ist das Erfolgsrezept des Ensembles. Sie haben ein feines Gespür dafür, wann die Realität nicht mehr durch Ironie getoppt werden kann. So sind Äußerungen wie „Das eine sind die Beschlüsse, das andere die Realität“ von Stadtrat Roland Freiberg ( CSU ) an sich schon Perlen des unfreiwilligen Humors. Zum genauen Blick für die Absurdität mancher Äußerung kommt im Fall der Kabarähtisten auch eine große Lust an der Parodie. Katrin Seeberger gibt mit Pelzmütze und süffisanten Grinsen eine Kopie des CSU-OB-Kandidaten Klaus Tappeser. Ein Mann mit geschwärztem Heer statt mit rotem Fuß, der „der Reizwäsche dieser Stadt sofort erlegen ist“.
Mit der Karriere als „Lindauer“, der Tappeser zu gern werden wollte, ist es ja nichts geworden. Doch auch die bisherige Amtsinhaberin Petra Seidl bekommt von Werner „Franz“ Waltenberger ihr Fett weg. „Ihr könnt mich mal“, variieren sie den Wahlslogan Seidls. Wobei Waltenberger sich als durchaus wandelbar zeigt. Denn er gibt auch als OB Gerhard Ecker eine fast schon beängstigend treffende Figur ab.
Fehlt da jetzt noch einer? Klar, Max Strauß, OB-Kandidat der Bunten Liste. Waltenberger packt sich auch ihn, um frei nach Peter Fox zu singen: „Am Ende der Straße ich das Rathaus seh“. Wäre fast schon ein Sparvorschlag: Bei den nächsten OB-Wahlen sparen sich die Lindauer die Kandidatenvielfalt und lassen einfach alle von Waltenberger darstellen. Genügend Worthülsen dürfte er bis dahin aufgeschnappt haben.
Nun ist es aber nicht so, dass das von Henni Gantert an diversen Musikinstrumenten unterstützte Quartett nur Probleme anprangert und keine Lösungen anbietet. Vor allem die Idee eines geteilten Festplatzes hätte wohl durchaus Chancen, mehrheitsfähig zu werden. Wie das funktioniert? Ganz einfach: „Die Rockband spielt in Zech, das Publikum ist auf der Hinteren Insel.“
Piraten am Horizont
Allerdings wir in Zukunft ohnehin alles besser, wie Bärbel Heumann, Katrin Seeberger und Götz Rauch klarmachen. Als politische Nachwuchshoffnungen der Piraten stellen sie klar: „Wissen verhindert freies Denken.“ Warum die OB-Kandidatur der Piraten gescheitert ist? „Unsere Leute sind es einfach nicht gewohnt, auf echtem Papier zu unterschreiben.“ Jetzt haben es die Piraten zwar nicht ins Rathaus, aber ins Kabaräh geschafft. Auch eine Karriere.
So reiht sich auch in diesem Programm Pointe an Pointe. Das Ensemble überzeugt gesanglich wie schauspielerisch, die üblichen Unebenheiten und Texthänger werden im Bühnenbild von Uli Kaiser eher genüsslich ausgedappt als verborgen. Kurz: Es ist mal wieder ein Kabaräh-Abend in bester Tradition. Nicht voll blöd, sondern voll lustig.