Feldbetten und kaum Privatsphäre
Notunterkünfte in Lindau sind voll: Wird noch eine Turnhalle belegt?
Lindau / Lesedauer: 4 min

Yvonne Roither
In den Notunterkünften gibt es keine freien Plätze mehr. Wenn noch mehr Geflüchtete in den Landkreis Lindau kommen, könnte eine weitere Turnhalle belegt werden. Wird der Asyl-Kompromiss von Bund und Ländern Erleichterungen bringen?
Vor der Halle stehen fünf Stühle. Auch wenn Dauerregen und Temperaturen von sieben Grad nicht einladend wirken, bleiben sie nicht lange leer. Drei Frauen setzen sich, um zu rauchen und miteinander zu sprechen. Eine kleine Auszeit aus der Enge in der Fos-Turnhalle, in der sie leben.
Wenn Menschen „dauerhaft“ in Turnhallen untergebracht werden müssten, zeige dies: „Wir haben im Landkreis die Grenzen des Möglichen erreicht“, sagt Elmar Stegmann. Der Landrat hat schon wiederholt Alarm geschlagen, genutzt hat es bisher nichts. Immer wieder kommen neue Geflüchtete in den Landkreis.
Dezentrale Unterbringung hat sich bewährt, stößt aber an Grenzen
Nach Auskunft des Landratsamtes leben derzeit (Stand 13. November) 1254 Menschen in den angemieteten Unterkünften. Hinzu kommen die Bewohner der beiden Gemeinschaftsunterkünfte der Regierung von Schwaben mit zusammen etwa 130 Menschen sowie 1014 ukrainische Flüchtlinge, die teilweise in staatlichen Unterkünften und teilweise privat wohnen.

Das bewährte Konzept, Geflüchtete dezentral unterzubringen, ist im Landkreis an seine Grenzen gestoßen. Es gelinge dem Landratsamt zwar immer wieder, solche Unterkünfte anzumieten, doch diese würden „aufgrund der hohen wöchentlichen Zuweisungszahlen sofort wieder aufgebraucht“, schreibt Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Landratsamtes, auf Nachfrage der Lindauer Zeitung.
Statt Durchgangsstation Dauerlösung?
Inzwischen gibt es sogar in den Notunterkünften keinen Platz mehr. In Sauters leben momentan 69 Männer und in der Fos-Turnhalle, wo Familien untergebracht sind, 77 Geflüchtete. Auf engstem Raum. Was eigentlich als Durchgangsstation gedacht war, wird zur Dauerlösung.
Feldbetten, Gemeinschaftsduschen und kaum Privatsphäre: Das Zusammenleben ist „schwierig“, weiß Ehreiser. Vor allem im Winter, wo es noch weniger Ausweichmöglichkeiten für Frauen, Männer und Kinder gibt. Auch die Ausstattung der Einrichtung, die nicht für eine Dauerunterbringung geeignet ist, führe „zur Unzufriedenheit der Bewohner“, schreibt sie. „Darüber hinaus tragen verschiedene Nationalitäten Probleme beziehungsweise Rivalitäten hier ebenso aus, wie zuvor in ihren Heimatländern.“
Jetzt sind Gemeinden gefragt
Wie viele Geflüchtete noch in den Landkreis kommen, hänge von der Situation in den Anker-Zentren ab. Aktuell habe der Landkreis aber keine Unterbringungsmöglichkeiten. Bei der letzten Besprechung mit den Bürgermeistern habe Stegmann diese nochmal „nachdrücklich“ gebeten, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ansonsten müssten „alternative Unterbringungsmöglichkeiten“ gesucht werden. „Dies kann auch bedeuten, dass eine gemeindliche Halle belegt wird“, schreibt Ehreiser.

Werden die Änderungen, die das Bundeskabinett im Ausländerrecht beschlossen hat, dem Landkreis helfen? Dass Asylsuchende schneller arbeiten dürfen, hält Stegmann für richtig. „Jeder, der einer Arbeit nachgeht, entlastet das System, und dies ist dringend notwendig.“ Das gelte auch für ukrainische Flüchtlinge, die Bürgergeld und freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben, deren Erwerbsquote aber bei nur etwa 19 Prozent liege.
Elmar StegmannFür Wirtschaftsflüchtlinge müssen dringend die Anreize reduziert werden.
Für ihn ist der Zugang zum Arbeitsmarkt aber nur eine Stellschraube, die verändert werden müsse. „Für Wirtschaftsflüchtlinge müssen dringend die Anreize, nach Deutschland zu kommen, reduziert werden“, sagt Stegmann.
Er begrüße die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer und eine Verschärfung der Strafvorschriften für Schleuser. Ob diese Maßnahmen ebenso wie die 7500 Euro, die der Bund pro Geflüchteten den Kommunen zahlen soll, den Landkreis entlasten, werde sich erst zeigen.
Die finanzielle Belastung sei jedenfalls „enorm“, betont Stegmann. Allein für das kommende Jahr müsse das Landratsamt für das Ausländerwesen drei weitere Vollzeitstellen beantragen. In diesem Jahr seien schon etwa 165.000 Euro in der ambulanten Krankenhilfe für ukrainische Flüchtlinge über den Landkreishaushalt finanziert worden.
Kitas und Schulen stoßen an Grenzen
Auch die Kosten, die für die Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern anfallen, müssten von den örtlichen Jugendämtern getragen werden. In Lindau leben derzeit 31 junge Menschen, die ohne ihre Eltern eingereist sind. Damit sei zwar die Sollquote übertroffen. Das Landratsamt werde aber laut Ehreiser täglich von der Bundespolizei oder Grenzpolizei hinzugerufen, um vorläufige Inobhutnahmen zu klären.
Sorgen bereiteten Stegmann nicht nur finanzielle Belastung und fehlender Wohnraum. Ob klassische Integrationsleistungen, Besuch von Kitas und Schulen oder ärztliche Versorgung: Der Landkreis habe bei der Betreuung und Versorgung der Menschen „die Grenze überschritten“. Stegmann: „Der Kinderschutz bei Migrationsfamilien ist zwischenzeitlich fast zentrales Thema der Jugendämter vor Ort und bindet enormen personelle und wirtschaftliche Ressourcen.“
„Migration muss gesteuert und gelenkt werden“
Migration dürfe nicht als „eine Art Naturkatastrophe“ verstanden werden, die über das Land hereinbreche, sagt Stegmann. „Migration muss gesteuert und gelenkt werden.“ Das sei Aufgabe der Bundesregierung.
Die Frauen vor der Fos-Turnhalle drücken ihre Zigaretten aus. Sie gehen wieder rein, in ihr neues Zuhause. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Deutschland begleitet sie.