Hilfswerk
Warum sich das Hilfswerk Bodensee immer stärker in der Ukraine statt in Deutschland engagiert
Lindau / Lesedauer: 5 min

Die beiden Frauen und ihre drei Kinder stöbern in den Regalen nach Röcken und luftigen T-Shirts. Es ist einer der letzten Besuche ukrainischer Flüchtlinge in der Boutique des Hilfswerks Bodensees in der Ludig-Kick-Straße. Demnächst wird die Boutique schließen.
Einerseits deshalb, weil der Eigentümer die Räume nun selbst wieder benötigt. Und andererseits, weil immer weniger ukrainische Flüchtlinge nach Deutschland kommen und versorgt werden müssen. „Die Flüchtlinge, die privat untergebracht wurden, werden jetzt auch von den Nachbarn oder den Vermietern versorgt“, erklärt Aurel Sommerlad , der Vorsitzende des Vereins Hilfswerk Bodensee.
Da seien richtige Freundschaften entstanden. Insofern sei die Schließung der „Boutique“, wie der Verein den Raum nannte, in dem sie gespendete Kleidung, Spielsachen und Alltagsbedarf anboten, kein großer Verlust.
Räumung der Boutique ist am 2. Juli
Was jetzt noch in der Boutique an den selbstgebauten Kleiderstangen hängt, soll in den kommenden Tagen verteilt werden. Am 2. Juli soll die letzte große Räumungsausgabe stattfinden. „Was dann noch übrig ist, übergeben wir an eine Rumänienhilfe“, erklärt Maren Riekmann , „oder wir lagern es im ehemaligen Coca-Cola Areal ein, wo wir einen Raum zur Verfügung gestellt bekommen haben.“

Von dieser alten Fabrikhalle aus will das Hilfswerk in Zukunft operieren. Es ist nicht hübsch dort, aber es ist trocken – und das zählt. Medikamente und medizinische Produkte sollen hier gesammelt und gelagert werden, bis sie in die Ukraine transportiert werden können.
Aurel Sommerlad, Vorsitzender des Vereins Hilfswerk BodenseeEs ist eher so, dass Menschen uns fragen, ob wir sie nicht wieder mit in die Ukraine nehmen können.
Die Hilfsarbeit verlagert sich also: von Deutschland in die Ukraine. Weil sich die Notwendigkeiten verlagern: „Der Bedarf, Flüchtlinge von der Grenze hierher zu bringen, gibt es nicht mehr“, sagt Sommerlad. „Die Fahrten wird es wohl eher nicht mehr geben. Es ist eher so, dass Menschen uns fragen, ob wir sie nicht wieder mit in die Ukraine nehmen können.“
Ehrenamtler sammeln jetzt hauptsächlich für Kinderheim
Jetzt geht es also weniger darum, die Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, sondern die Menschen, die noch in der Ukraine sind, mit dem Nötigsten zu versorgen. Ein Kinderheim zum Beispiel. Dafür sammeln die Ehrenamtlichen vom Hilfswerk Bodensee nun vornehmlich.
Empfohlen hatte es eine Hilfsorganisation aus Wien, mit der das Hilfswerk Bodensee gut vernetzt ist: „Youcraine“ heißt sie und wurde von jungen Ukrainern in Österreich gegründet, um im Krieg schnelle Hilfe zu leisten. Aber Sommerlad wollte sich noch ein eigenes Bild vor Ort machen und stattete dem Heim bei einer Fahrt in die Ukraine einen Besuch ab. Jetzt ist er überzeugt, dass die Hilfe an der richtigen Stelle ankommt.
Hilfe in Lindau weiter notwendig
Aber das alles bedeutet nicht, dass es am Bodensee gar nichts mehr zu tun gibt. Denn die insgesamt etwa 100 Frauen und Kinder, die vom Hilfswerk Bodensee nach Deutschland gebracht worden sind, sind noch nicht in der Lage, sich komplett selbstständig zu versorgen. Da geht es vor allen Dingen um Nahrungsmittel. Denn die sind teuer geworden.
Und die Lindauer Tafel, die von der Caritas betrieben wird, hatte keine andere Wahl mehr als einen vorübergehenden Aufnahmestopp zu verhängen. Die Preissteigerungen und die zunehmende Nachfrage überfordern die Tafeln.
Also mussten sich die Männer und Frauen des Hilfswerks etwas einfallen lassen. Die erste Idee lautete zunächst, eine eigene Tafel nur für Flüchtlinge anzubieten. Der Lebensmittelhändler Früchte Jorg aus Isny hatte bereits zugesagt, Obst und Gemüse zum Einkaufspreis auszuhändigen. Es hätte lediglich abgeholt werden müssen. Aber das hätte nicht unerhebliche Arbeitszeit und Fahrtkosten bedeutet. Benzin ist auch alles andere als billig zurzeit.

Also beschloss das Hilfswerk, das gespendete Geld sinnvoller einzusetzen, und Einkaufsgutscheine an die Flüchtlinge zum Einkaufen bei Discountern auszugeben. Der Plan sei, dass die Flüchtlinge diese Einkaufsgutscheine über die Internetseite des Hilfswerks beantragen sollen. Auf diese Weise solle auch gewährleistet werden, dass nur diejenigen Gutscheine bekommen, die sie auch wirklich benötigen.
Einfach machen
In der Hilfe müssen man flexibel sein, sagt Maren Riekmann. Was notwendig und wichtig sei, könne sich jeden Tag verändern. „Unser Motto lautete immer ‚Einfach machen‘“, sagt sie, „und so gehen wir die Sachen immer an. Wir machen einfach mal und der Rest ergibt sich dann schon von allein.“
Die Frauen und Kinder sind in der Boutique übrigens fündig geworden. Als sie kamen, brauchten sie dringend Wintersachen, denn es war Winter und kalt. Nun ist es Sommer und sie brauchen luftige Kleidung. So lange dauert der Krieg bereits. Hoffentlich werden sie nicht weitere Winterkleidung benötigen.