StartseiteRegionalRegion LindauLindauFrau wird von ihrem Ehemann geschlagen - wie ihr geholfen wird

Krisenintervention

Frau wird von ihrem Ehemann geschlagen - wie ihr geholfen wird

Lindau / Lesedauer: 5 min

Wie Krisenintervention Frauen rettet – Aktionstag macht aufmerksam auf Situation von Frauen in häuslicher Gewalt
Veröffentlicht:24.11.2022, 19:00

Von:
Artikel teilen:

Zuerst sind es nur Schubser, aber bald schon schlägt er sie und versetzt ihr Tritte in den Bauch. Irgendwann zwingt er sie zum Sex. Alleine schafft die Frau aus der Ukraine es nicht, von ihrem Ehemann loszukommen. Erst, als ein Nachbar die Polizei ruft und die die Krisenintervention informiert, bekommt sie Hilfe. Dass ihr Fall ans Licht kommt, ist Glück. Meistens bleibt häuslicher Gewalt unentdeckt.

Als Marion Stockner-Stengele das Fax von der Polizei erreicht, weiß sie, dass es schnell gehen muss. Wenn sie sich innerhalb von 72 Stunden bei der hilfsbedürftigen Frau meldet, ist die Wahrscheinlichkeit umso größer, dass ihre Arbeit Erfolg hat.

Die Mitarbeiterin des Memminger Frauenhauses kümmert sich mit dem Verein Hilfe für Frauen in Not um Frauen im Kreis Lindau , die Gewalt erleben. „Ich möchte den Frauen klarmachen: Es gibt einen Ausweg, auch wenn sie jetzt nicht die Kraft dazu haben, auszubrechen“, sagt sie. Oft fehle den Frauen der Mut, selbst aktiv zu werden.

Gewalterfahrungen sind schambesetzt

So war es auch bei Oksana. Ihr Fall steht für viele andere. Um ihn anonym zu halten und sie zu schützen, wurde ihr Name von der Redaktion geändert. Denn was sie erlebt hat, passiert in Deutschland tagein, tagaus und ist dennoch oft mit Scham besetzt.

Ihren Mann habe die Frau aus der Ukraine bei einem Urlaub in Deutschland kennengelernt, erzählt Marion Stockner-Stengele, die Oksana im Rahmen ihrer Arbeit kennenlernte und begleitete. Zurück in ihrer Heimat schrieben die Frau und ihre Urlaubsbekanntschaft sich Briefe und telefonierten viel. Sie verliebten sich und heirateten schließlich. Nach der Hochzeit sei sie mit ihm nach Deutschland gegangen und bei ihm eingezogen, so Stockner-Stengele.

Im vergangenen Jahr hat der Zonta-Club das Alte Rathaus in orange illuminiert, anlässlich des internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen. In diesem Jahr stellen sie orangene Bank vor der Inselhalle auf. (Foto: Christian Flemming/Schwäbische.de)

Was dann folgt, ist keine Ehe auf Augenhöhe, sondern Erniedrigung und Schikane. Die Phase der Verliebtheit zwischen dem Ehepaar sei schnell vorbei gewesen, erzählt die Sozialpädagogin. Der Mann habe verhindert, dass seine Frau einen Sprachkurs machte und Deutsch lernte. Er habe sie isoliert und als Putzfrau und Pflegekraft für seine Mutter benutzt.

Diese Bank stellt der Zonta-Club Bodensee in diesem Jahr vor der Inselhalle auf. (Foto: Zonta-Club Bodensee/Schwäbische.de)

„Die Demütigung hat sich nach und nach eingeschlichen“, sagt Stockner-Stengele. Machte die Frau in den Augen ihres Ehemannes einen Fehler, schubste er sie. Schon bald ging er noch einen Schritt weiter. Lief mal etwas nicht, wie er es sich wünschte, nahm er das zum Anlass, seine Frau zu schlagen.

Er habe sie geohrfeigt und ihr in den Bauch getreten. Der Gipfel seiner Schikane: Er zwang sie zum Geschlechtsverkehr. Als Marion Stockner-Stengele die Frau kennenlernt, hat sie Blutergüsse im ganzen Gesicht, erzählt sie.

Nur 20 Prozent suchen selbst Hilfe

Selbst auf ihre Situation aufmerksam machen, konnte die Ukrainerin nicht. „So ist das meistens“, sagt Marion Stockner-Stengele. Die Frauen steckten in einer Gewaltspirale, aus der sie es alleine nicht herausschaffen. Von 140.000 solcher Fälle in Deutschland pro Jahr suchten nur ein Fünftel der Frauen selbst Hilfe auf.

Zumindest einige davon möchte die Mitarbeiterin der proaktiven Beratung erreichen. Sie kümmert sich um die Krisenintervention nach dem Polizeieinsatz. Sie nimmt Kontakt zu den Frauen auf, hört sich ihre Geschichte an, trifft sich mit ihnen oder begleitet sie bei Amtsgängen. Denn von den Frauenhäusern könne das nicht geleistet werden.

Im Landkreis Lindau wurde die Stelle, die von einer ausgebildeten Kraft ausgeführt werden muss, erst vor drei Jahren eingeführt. „Weil es nötig war“, sagt die Sozialpädagogin, deren Klientinnen und auch Klienten von Jahr zu Jahr mehr werden. Nötig sei die Arbeit auch, weil das Thema noch immer ein Tabu sei und gesellschaftlich totgeschwiegen werde.

Oksana Nachbarn schwiegen nicht. Sie bekamen von den Auseinandersetzungen nebenan mit. „Zunächst wollten die nicht die Polizei rufen und wendeten sich ans Frauenhaus“, erzählt die Sozialpädagogin. Dort habe man ihnen geraten, die 112 zu wählen, wenn es wieder zu einem Vorfall kommt. Das taten sie.

Wie das Gewaltschutzgesetz hilft

Als die Polizei kam, haben sie dem Täter einen Platzverweis ausgesprochen, er musste die gemeinsame Wohnung verlassen, so Stockner-Stengele. Für die kommenden zehn Tage konnten die Beamten außerdem ein Kontaktverbot verhängen. Dann kam Marion Stockner-Stengele ins Spiel.

Wie in anderen Fällen nahm sie Kontakt auf und klärt sie über ihre Rechte auf. „Über das Gewaltschutzgesetz kann ein Näherungs- und Kontaktverbot verhängt werden“, sagt sie. Über den Arbeitskreis Wege aus der Gewalt im Landkreis habe sie Kontakte zu anderen Hilfsangeboten und verweise die Frauen an die entsprechenden Stellen weiter. „Ich muss dann herausfinden, welche Hilfe sinnvoll ist“, sagt die Sozialpädagogin. Im Fall der Frau aus der Ukraine, die in die Wohnung des Mannes nicht bleiben wollte, sei eine Unterbringung im Frauenhaus richtig gewesen.

Mittlerweile ist Oksana von der Abhängigkeit zu ihrem Ehemann losgekommen. Sie habe sich ein eigenes Leben aufgebaut, erzählt Marion Stockner-Stengele. Sie mache Sport, besuche einen Integrationskurs, bekomme Leistungen vom Jobcenter und suche sich gerade eine Arbeitsstelle. Ihren Mann hat sie angezeigt. Auch wenn der Vorfall über ein Jahr her ist – das Strafverfahren laufe noch, sagt Stockner-Stengele. „Das ist meistens ein langer und zäher Prozess und belastend für die Frauen.“