Endstation Lindau
Internationaler Nahverkehr am Bodensee: Darum klappt es nicht
Baden-Württemberg / Lesedauer: 5 min

Ulrich Mendelin
Wer mit dem Regionalzug von Baden-Württemberg nach Vorarlberg fahren will oder umgekehrt, muss umsteigen ‐ immer. Ob aus dem Allgäu, vom schwäbischen Bodensee oder aus dem Vorarlberger Rheintal, alle Nahverkehrszüge enden in Lindau.
Umsteigefrei werden Oberschwaben und Vorarlberg nur von einem ICE und einem ÖBB-Railjet pro Tag und Richtung verbunden. Ansonsten ist in Lindau ein Zugwechsel fällig, der angesichts knapper Umsteigezeiten oft misslingt.
Diese Unbequemlichkeit will das baden-württembergische Verkehrsministerium beheben, mit einer Direktverbindung Friedrichshafen-Bludenz. Doch bei der Umsetzung droht ein Stolperstein: Die notorische Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn.
„Gemeinsam mit unseren Partnern in Bayern und Vorarlberg treiben wir (...) eine Direktverbindung von Friedrichshafen nach Bludenz voran“, hatte Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kürzlich im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ gesagt.
Derzeit verkehrt tagsüber alle halbe Stunde ein Regionalexpress oder eine S-Bahn zwischen Bludenz und Lindau-Insel. Den Planungen zufolge soll der Zug aus Bludenz alle zwei Stunden bis Friedrichshafen-Stadt verlängert werden, wobei er dann in Lindau nur noch am Festlandbahnhof Reutin hält und den Inselbahnhof links liegen lässt.
Durchgehender Zug ab 2028?
Aus deutscher Sicht könnte die geplante Regionalzugverbindung insbesondere für Tagesausflügler in die Vorarlberger Alpen interessant sein. Aber es dauert noch. „Die Einführung der Linie Friedrichshafen ‐ Bludenz wird für das Jahr 2028 angestrebt“, teilt eine Sprecherin Hermanns auf Nachfrage mit. „Aktuell finden konkrete Abstimmungen mit dem Land Bayern, dem Land Vorarlberg sowie den österreichischen Bundesbehörden statt.“
Ein jahrelanger Vorlauf ist beim Erstellen von Zugfahrplänen nicht ungewöhnlich. In diesem Fall könnte aber ein spezieller Grund hinzukommen: Hinter vorgehaltener Hand wird daran gezweifelt, ob die Österreicher an Direktverbindungen jenseits des Fernverkehrs überhaupt ein Interesse haben. Die Befürchtung sei, dass Züge aus Deutschland Verspätungen ins österreichische Netz einschleppen und dort den Fahrplan durcheinander bringen.
Diplomatische Worte aus Bregenz
Offiziell sagt das niemand so deutlich. Der Vorarlberger Verkehrslandesrat Daniel Zadra wählt seine Worte diplomatisch. „Die Verbesserung des grenzüberschreitenden Verkehrs ist ein wichtiges Ziel für Vorarlberg ebenso wie die Beibehaltung der hohen Pünktlichkeit im Vorarlberger Schienenverkehr“, teilt der Grünen-Politiker mit. „Bei den weiteren Prüfungen und Planungen werden wir beide Aspekte berücksichtigen.“
Ähnlich äußert sich Christoph Gasser-Mair, Sprecher der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB): „Dem ÖBB Personenverkehr Vorarlberg ist Pünktlichkeit sehr wichtig, da wir einen dichten integralen Takt anbieten.“
Züge in Österreich sind zuverlässiger
Bei der Zuverlässigkeit der Züge hängen die Österreicher Deutschland locker ab. 2022 waren in Vorarlberg 96,6 Prozent der Züge pünktlich ‐ das war auch innerhalb der Alpenrepublik der Spitzenwert. Ein Zug gilt dort als pünktlich, wenn er einen Bahnhof höchstens 5 Minuten und 29 Sekunden später erreicht als vorgegeben. Künftig wird dieser Wert auf 2 Minuten und 29 Sekunden gesenkt.
Bei der Deutschen Bahn gilt hingegen alles als pünktlich, was weniger als sechs Minuten verspätet ankommt. Das war bei den RE-Zügen auf der Südbahn vergangenes Jahr in 82,1 Prozent der Fälle der Fall ‐ mit starken Schwankungen. Bei der Bodenseegürtelbahn kamen immerhin 86,2 Prozent der Züge nach Fahrplan an.
Würde ein verspäteter Zug aus Deutschland nach Vorarlberg fahren, würde er dort die Strecke für einen anderen Zug blockieren, der dort eigentlich zu diesem Zeitpunkt unterwegs sein sollte. So können sich Dominoeffekte entwickeln, die ein ganzes Netz durcheinander bringen.
Fahrgastverband beklagt Organisationsmängel
Beim Fahrgastverband Pro Bahn herrscht Ärger darüber, dass es mit dem grenzüberschreitenden Nahverkehr so schleppend vorwärts geht.
„Technisch gesehen kann ein Zug von Lappland bis nach Sizilien fahren. Organisatorisch bekommen es die Aufgabenträger heute kaum mehr hin, eine innerdeutsche Landesgrenze, geschweige denn eine Staatsgrenze, nahtlos zu überwinden und aus dem Bewusstsein der Fahrgäste verschwinden zu lassen“, kritisiert Matthias Beß, Vize-Chef von Pro Bahn im Südwesten. „Fast überall gibt es einen starken Einbruch bei Qualität und Quantität und viele Züge schaffen es nur ein paar Kilometer über die Grenze oder enden kurz davor.“
Störungen am Bahnhof Konstanz
Auch andere Nachbarn haben ihre Not mit dem deutschen Schienennetz. So vermeldete das Kreuzlinger Unternehmen Thurbo, das Nahverkehr in großen Teilen der Nordostschweiz betreibt, 96,9 Prozent pünktliche Züge im Jahr 2022 ‐ in der Schweiz darf ein Zug dafür höchstens 2 Minuten und 59 Sekunden verspätet sein.
Einziger Ausreißer war die S-Bahn-Strecke am südlichen Bodenseeufer. Denn dort müssen sich die S-Bahnen eine eingleisige Trasse mit Regionalzügen teilen, die am Hauptbahnhof Konstanz starten. Und in Konstanz, heißt es von Thurbo, habe es nun einmal „zahlreiche Störungen an der Bahninfrastruktur“ mit entsprechenden Verspätungen gegeben.
Es gibt aber auch eine gute Nachricht im grenzüberschreitenden Nahverkehr: Die S-Bahn-Linie 7 von Romanshorn bis Lindau, das erste internationale Teilstück einer für die Zukunft angedachten internationalen Bodensee-S-Bahn, fährt bald häufiger. Bisher verkehrt sie nur an Wochenenden im Zwei-Stunden-Takt, ab Dezember auch an Wochentagen: montags bis donnerstags dreimal und freitags viermal je Richtung.
Keine zusätzlichen Züge auf die Insel
Allerdings endet die Bahn aber in Lindau-Reutin statt am touristisch attraktiveren Inselbahnhof. In Lindau muss zunächst ein von Gleisen umschlossenes Wohngebiet, das nur über einen beschrankten Bahnübergang erreichbar ist, eine neue Straßenzufahrt bekommen. Bis die gebaut ist, dürfen zwischen Reutin und Inselbahnhof keine zusätzlichen Züge rollen, sonst wäre das Wohngebiet zu oft abgeschnitten.
Eigentlich hätte zumindest eine Übergangs-Zufahrt bis Ende des Jahres fertig sein sollen. Doch der Bau verzögert sich.